So., 23.06.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Südsudan: Basketball eint das Land
Basketball holt die Kinder von der Straße
Die Sportschuhe kommen als erstes in den Rucksack, dann die Powerbank, bloß nichts Wichtiges vergessen. Auf ihn wartet ein langer Weg. Um fünf Uhr morgens macht sich Hakhim Mayola auf Richtung Training. Aus dem ärmeren Vorort zwei Stunden Richtung Hauptstadt. Sein Traum: Basketballer werden. Geld für den Bus hat er nicht. Und so rennt Hakhim in Flips-Flops bis zum einem der ganz wenigen Sportplätze im Südsudan. "Du darf deinem Verstand nicht sagen, dass du müde bist. Aber wenn du dir einredest, dass du Kraft hast, wird der Körper das glauben. Es geht darum, an der Mentalität zu arbeiten."
Das Niveau auf dem Platz ist hoch, die Konkurrenz riesig. Jugendliche, größer als zwei Meter, sind im Südsudan keine Ausnahme. Und sie sind fleißig: Vierjährige üben stundenlang in der prallen Sonne. Durchhaltevermögen gepaart mit ganz viel Talent. Gar nicht so einfach für den 13-jährigen Hakhim herauszustechen. Er bieten den Kids die Möglichkeit zu trainieren: Deng Biar Deng. Früher hat er selbst gespielt, in den USA, dem Mutterland des Basketballs. Erst nach der Unabhängigkeit vom Sudan 2011, kam er zurück in den Südsudan. Nun will er mit seinem Sportzentrum perspektivlose Kinder von der Straße holen. "Das ist hier ein gutes Umfeld für die Kids. Sie können sich weiterentwickeln, physisch, psychisch. Und so halten sie sich von Ärger fern."
Der Traum ist die NBA
Juba, die Hauptstadt, gilt als gefährlich und arm. Die meisten Eltern verdienen weniger als zwei Dollar pro Tag. Deshalb ist das Training kostenlos. "Wenn wir die Eltern zur Kasse bitten würden, müssten sie abwegen. Und Basketball wird nie höher priorisiert werden als Essen oder Bildung." Viele Kinder verbringen den ganzen Tag auf dem Gelände. Auch dank Spenden aus dem Ausland kriegen sie hier mittags Essen und Trinken. Nach drei Stunden Training hat auch Hakhim einen riesigen Hunger. Danach spielen er und seine Freunde an der Konsole schonmal die Bilderbuchkarriere durch: mit ihren Lieblingsteams der NBA, der stärksten Basketballliga der Welt. Für sie alle bietet vielleicht nur der Basketball die Chance: raus aus dem Südsudan. "Der Traum ist die NBA, klar. Und dann will ich für die südsudanesische Nationalmannschaft spielen. Das sind meine Helden. Wie sie uns repräsentiert haben, sie haben so gut gespielt."
Als einziges Team aus Afrika hat der Südsudan den Durchmarsch geschafft. Über die WM qualifiziert für Olympia. Zum ersten Mal in der Geschichte – historisch! Die Nationalspieler werden nun verehrt, wie es sich der Präsident nur wünschen kann. Ein einziges Basketball-Stadion steht im Südsudan. Und bei einem lokalen Turnier schaut der einzige Nationalspieler, der noch in der Heimat spielt, vorbei. Koch Bar gibt sich vor der ersten Olympia-Teilnahme nahbar für die Fans. Er weiß: Basketball hat eine hohe gesellschaftliche Bedeutung im Südsudan. Er bringt Männer, Frauen, verfeindete Volksgruppen einander näher, die Nuer, die Dinka. "Wir haben so viele Uneinigkeit auf politischer Ebene", sagt der Journalist Marcelo Nazario. "Wir haben uns bekämpft, seit 2013. Das Volk ist gespalten. Nun suchen wir etwas, dass uns eint und ich glaube durch den Sport haben wir das ein bisschen hinbekommen."
Basketballer als Botschafter des Landes
Und Nationalspieler Koch Bar meint: "Um uns herum passiert viel Negatives, aber jetzt haben wir die Chance das Narrativ zu verändern, Geschichte zu schreiben, das ist unsere größte Verantwortung."
Ein Botschafter des Südsudan will er sein, sein Land positiv nach außen repräsentieren. Auch Hakhim ist nach einem langen Trainingstag noch im Stadion, will sich taktisch etwas abschauen. Wie er kommen schier unendlich viele junge Talente nach. Durchschnittsalter im Südsudan: 16 Jahre. "Wir haben die körperliche Größe, es heißt das sind 50 Prozent. Jetzt müssen wir an den anderen 50 Prozent arbeiten. Wir müssen den jungen eine bessere Infrastruktur bieten, besseres Training, dann sind uns keine Grenzen gesetzt, nicht in Afrika, nicht auf der Welt, ich bin gespannt."
Am nächsten Morgen: trainingsfrei – es ist Sonntag. Hakhim verbringt ein paar Stunden zuhause, er lebt zusammen mit 28 Verwandten, Geschwistern, Cousinen, Cousins, seinen Eltern, Onkel und Tanten. Eine Sportlerfamilie sind sie nicht. Der Basketball – lange ein Konfliktthema in der Beziehung Vater-Sohn.
"Ich erinnere mich, Hakim kam und sagte 'Vater ich will Basketballer werden', ich war richtig wütend auf ihn. Es geht uns in diesem Land finanziell nicht gut, wir können Basketball doch gar nicht bezahlen." Der Kauf von neuen Basketballschuhen, zu teuer. Vater Jack wünscht sich für Hakhim eine weiterführende Schule. "Wenn er ein Stipendium kriegt, das würde mich glücklich machen." Deshalb am Nachmittag: wieder ab auf den Trainingsplatz. Von einem Sportstipendium in Amerika träumen sie alle. Ob Hakhim sich gegen die anderen durchsetzen wird – wohl eher schwierig. Aber Basketball gibt ihm so viel mehr: Stolz und die Kraft immer wieder rauszugehen und weiterzumachen.
Autor: Ramin Sina
Stand: 24.06.2024 11:26 Uhr
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