So., 23.06.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Russland: BRICS-Spiele statt Olympia
Russlands Alternative zu Olympia
Baden mit Blick auf den Kreml – nicht den von Moskau, sondern den Kreml von Kasan. Mehr als tausend Jahre alt ist die Stadt an der Wolga – eine der schönsten in Russland. Sie ist Hauptstadt der Region Tatarstan, hier leben Muslime und Christen. Im Kreml, in der alten Stadtfestung, steht neben der üblichen orthodoxen Kathedrale auch eine große Moschee. 2018 waren hier Fans aus aller Welt – die Stadt war einer der Austragungsorte der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland. Das Kasaner Sommermärchen. "Wir hatten gehofft, dass es wieder so wird, mit Fans aus der ganzen Welt, aus Brasilien, aus Afrika", sagt Amir. "Aber diesmal ist es anders."
Dabei sollte es auch diesmal ganz groß werden. Die BRICS-Spiele, Russlands Antwort, so hofften viele, auf Olympia. Denn bei Olympia darf das Land seit dem Einmarsch in die Ukraine nicht mehr antreten. Also macht man seine eigenen Spiele. Für die Mitglieder der BRICS-Staatengruppe, aber nicht nur für die. Bei der Eröffnungsfeier vor einer Woche ziehen immer mehr Flaggen ein – darunter viele Staaten, die überhaupt nicht teilnehmen, wie Deutschland zum Beispiel. Oder solche, die international gar nicht anerkannt sind, wie Abchasien oder Südossetien. Völlig unklar, wie viele wirklich dabei sind. Selbst die Gastgeber scheinen nicht abgesprochen zu haben, welche Zahl sie nennen sollen. Ein grandioses Sportereignis, sagt der Moderator, mit Teilnehmern aus 89 Staaten der Welt. Von mehr als 90 Staaten spricht kurz darauf der Sportminister. In Wahrheit dürften es etwa sechzig Länder sein. Venezuela ist da, auch China. Aber nur wenige haben ihre Top-Leute geschickt. Viele bereiten sich stattdessen lieber auf Olympia vor.
Ohne Konkurrenz zur Goldmedaille
Eine Woche dauern die Spiele, ernsthafte Konkurrenz für Russland kommt allenfalls aus Belarus oder China. Am Ende holt der Gastgeber deshalb mehr als zwei Drittel aller Goldmedaillen. Keine Hymne erklingt häufiger als die russische. Sehr oft tritt Russland einfach gegen sich selbst an. Etwa die beiden Olympiasiegerinnen Jegorian und Nikitina. Die absurdeste Situation gibt es aber in einer anderen Disziplin: die Kür im Solo-Synchronschwimmen hat überhaupt nur einen Teilnehmer. Der holt natürlich Gold für Russland. Die BRICS-Spiele laufen auch in den Sportbars von Kasan. Aber abends kommen die Leute für den Fußball her. Wie Pavel und Ruslan. Die Türkei spielt gegen Portugal, die Sympathien sind klar. "Portugal", meint Ruslan. "Weil die stärker sind. Und weil ich Ronaldo-Fan bin." Dass ihr Land auch für die EM gesperrt ist, finden beide nicht richtig. "Sport ist außerhalb von Politik", sagt Pavel. "Aber uns schließt man aus politischen Gründen aus. Das ist unbegründet und ungerecht." Und Ruslan ergänzt: "Es gibt viele Konflikte in der Welt, es gibt unterschiedliche Meinungen. Den Sport da reinzuziehen ist falsch."
Dass Russland einen Krieg gegen sein Nachbarland führt, kann man in Kasan komplett verdrängen. Heute gehen die Spiele zu Ende. Die Feier fällt zusammen mit dem Sabantuj, dem tatarischen Nationalfest. Gute Stimmung beim Team aus Syrien. Brasilien ist da, auch die Taliban haben eine Delegation geschickt. Allerdings: ohne Frauen. Es sei unfair, dass Russland wegen des Kriegs ausgeschlossen werde, das hören wir auch hier. "Das ist nur Politik. Aber wir kommen wieder. Nachdem wir gesiegt haben", sagt ein älterer Mann. Für September plant Russland übrigens ein noch größeres Sportfest, die "Spiele der Freundschaft". Das Internationale Olympische Komitee hat seinen Mitgliedsstaaten von der Teilnahme abgeraten.
Autorin: Ina Ruck
Stand: 24.06.2024 11:09 Uhr
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