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Ägypten: Die Folter kehrt zurück

Ägypten: Die Folter kehrt zurück | Bild: SWR

Vor gut zwei Jahren haben die Ägypter gegen ein Regime revoltiert, dass die freie Meinung untersagte, das Oppositionelle ins Gefängnis werfen und foltern ließ. Mit dem Ende Mubaraks, des Diktatoren, winkte auch das Ende der Unterdrückung. Doch jetzt, unter Mohamed Mursi, dem neuen, islamistischen Präsidenten, kehrt der Schrecken zurück. In den Folterkellern des neuen Regimes sitzen schon fast so viele Menschen wie einst in denen des alten. Thomas Aders berichtet. ARD Kairo

Polizei mit Waffe
Die Polizei geht oft mit übertriebener Härte gegen Demonstranten vor | Bild: SWR

Menschenjagd. Diese Aufnahmen stammen alle aus diesem Jahr. Demonstranten in Kairo werden von der Polizei blutig geschlagen, getreten bis zur Bewusstlosigkeit, manchmal werden sie zuvor nackt ausgezogen. Mohammed Mahfouz ist entsetzt. Und weil er selbst Polizist war, hat das eine ganz besondere Bedeutung. Er glaubt an einen anderen Staat; einen, in dem die Menschen Rechte haben, und nicht misshandelt werden, wie hier im Februar vor dem Präsidentenpalast. Weil er das auch laut sagt, wurde Mohammed suspendiert. „Die ägyptischen Polizisten dienen dem Regime - egal, wer an der Macht ist. Ansonsten fühlen sie keinerlei Verpflichtung – nicht gegenüber irgendeiner Verfassung oder irgendeinem Gesetz, und schon gar nicht gegenüber den Bürgern.“

Wir fahren aus der Hauptstadt heraus, landwirtschaftliche Grünflächen trennen die Betonwüsten Kairos von den Satellitenstädten draußen. Aziza El Tawil ist Rechtsanwältin und prangert die staatliche Folter an. Ihr Laptop - immer dabei, weil sie immer mehr Opfer zu betreuen hat. „Ich fühle mich wie ein Arzt, der Patienten untersucht, Emotionen sind dabei fehl am Platze. Früher hab ich das alles an mich heran gelassen, und ich bin daran fast zerbrochen. Auch wenn die Geschichten brutal sind – ich versuche, meine Gefühle unter Kontrolle zu haben.“

Polizisten bei Einsatz
Die Umbrüche der letzten Jahre haben an den Strukturen des Polizeistaats wenig geändert | Bild: SWR

Eine der Trabantenstädte, Mehrfamilienhäuser reihen sich aneinander. Hier wohnen Arbeiter und Angestellten, die mit dem Bus oft zwei Stunden brauchen bis nach Kairo - und hier wohnen auch viele der Demonstranten vom Tahrirplatz. Einer von ihnen: Khaled, 20 Jahre alt. Im vergangenen Mai hatten Sicherheitskräfte ihn in einem der berüchtigten Gefängnisse verschwinden lassen, für sechs Monate. Seitdem er wieder draußen ist, kann er ohne Beruhigungsmittel nicht mehr leben, und ohne Medikamente nicht mehr schlafen. Einer, der für den Rest seines Lebens gezeichnet ist. Er musste durch menschliche Exkremente kriechen, und wurde Monate lang geschlagen, aber das war noch nicht das Schlimmste. „Sie haben mich auf den Bauch gelegt, sie haben mich wieder und wieder auf die Beine geschlagen, und den Rücken, und dann haben sie mich sexuell missbraucht.“ „Hat der Polizeioffizier das gemacht?“, fragt die Anwältin. „Ja, der Offizier.“ Frage: „Hat er dich mit einem Stock vergewaltigt?“ „Ja.“ Frage: „Wie lange hat das gedauert? Fünf Minuten? Eine Viertelstunde? Eine halbe Stunde? Eine Stunde?“ „Er hat .... Du wirst nie wieder so etwas wie Würde spüren, haben sie zu mir gesagt. Du wirst nie mehr demonstrieren, und deine Stimme erheben, all das wirst du nie mehr tun. Leider muss ich sagen – sie waren sehr erfolgreich.“ Sexuelle Folter zwei Mal die Woche - fast ein halbes Jahr, und für den Fall, dass er mit anderen über seine Erlebnisse redet, Morddrohungen am Telefon.

Direkt nach der Revolution hatte sich die Menschenrechts-Situation zunächst gebessert. Doch seit dem letzten Sommer – so sagen Anwälte wie Aziza und Menschenrechtler  – häufen sich dramatische Fälle. Für beinahe alle Gefängnisse wie hier im Stadtteil Maadi gilt: die systematische Folter ist zurückgekehrt an den Nil. „Seit etwa sechs Monaten beobachten wir, dass mehr und mehr Demonstranten gefoltert werden“, sagt Heba Morayef von Human Rights Watch. “Und ganz besonders in den letzten beiden Monaten hat sich die Lage verschlechtert. Das heißt: die Frequenz, aber auch die Brutalität der Folter hat in Kairo und Alexandria noch einmal zugenommen. Und darunter sind auch immer mehr Fälle von sexueller Folter.“

Mohamed Mursi
Seit dem Amtsantritt von Präsident Mursi hat die Polizeigewalt zugenommen | Bild: SWR

Gewaltexzesse, gedreht von Videofilmern. Unsere Bitte um eine Stellungnahme der Behörden ist bislang unbeantwortet geblieben. In der Nähe des Tahrirplatzes brüstet sich einer der Präzisionsschützen, einem Demonstranten das Auge ausgeschossen zu haben... Reaktion eines Kollegen: „Bravo!“. Nach der Attacke durch einen Scharfschützen ist auch Mustafa auf einem Auge blind, gefilmt von einem Freund im Krankenhaus. Fälle wie dieser sind an der Tagesordnung im winzigen Büro von Anwältin Aziza. Die Opfer geben sich die Klinke in die Hand. „Folter in Ägypten ist systematisch. Vor allem in den letzten sechs Monaten ist das in immer mehr Fällen zutage getreten, etwa, seitdem Präsident Mursi an der Macht ist. Die Polizei greift zu ... nun, wie soll ich mich ausdrücken... ‚exzessiver Gewalt‘! Obwohl auch dieser Begriff eigentlich noch viel zu milde ist.“

Im Internet gibt es ganze Sammlungen von Opfern staatlicher Folter, Männer, Frauen, Rentner und Schüler. Es ist die Plattform derjenigen, die früher keine Stimme hatten. Stundenlange, bedrückende Interviews, geführt von Menschenrechtsaktivisten. Das Schlimmste, sagt der Deutschägypter Rizk, ist die immerwährende Struktur des undemokratischen, brutalen Polizeistaates. Nicht einmal die Revolution konnte sie beseitigen. „Wir haben es geschafft, diese Struktur anzugreifen, aber diese Struktur existiert noch, sie hat ihr Bild etwas verändert“, erklärt Philip Rizk. „Es bedeutet, dass sie jetzt mehr foltern, als sie es früher getan haben, um zu versuchen, diese Furcht wieder einzuführen.“ Gestern Nachmittag treffen wir auf dem Tahrirplatz noch einmal Khaled. Sein Leben - aus den Fugen geraten, er ist schwer traumatisiert, mit dem Tode bedroht ... Fast kann man nicht begreifen, woher er die Kraft nimmt, trotzdem weiter zu kämpfen - gegen die Willkür der Behörden, damit anderen nicht das gleiche widerfährt wie ihm selbst. Treffen mit Gleichgesinnten, die meisten sind Schüler. Gemeinsam haben sie gerade einen kleinen Verein gegründet, um Widerstand zu leisten. Denn das, was gerade in Ägypten passiert, sagen sie, ist schlimmer als zu Zeiten von Diktator Mubarak. Der Verein heißt „Maa benchafsch“ und bedeutet „Wir haben keine Angst“.

Stand: 22.04.2014 14:04 Uhr

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