So., 16.06.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Ghana: Hexendörfer
Sie wurden bespuckt, geschlagen, gefoltert, mit dem Tod bedroht. Sie wurden mit Schimpf und Schande aus den Dörfern gejagt. Sie sollen von bösen Geistern besessen sein. Sie werden „Hexen“ genannt. Mittelalterlich mutet es an, was manchen Frauen in Ghana geschieht. Das westafrikanische Land ist eine Vorzeige-Demokratie, ein Boom-Staat – und doch ist in manchen Regionen der Glaube an Hexerei tief verwurzelt. Dabei sind es oft starke und erfolgreiche Frauen, die von Verwandten oder von Geschäftskonkurrenten denunziert werden. Manchmal haben sie keine weitere Chance, als in abgelegene sogenannte Hexendörfer zu ziehen. Eine Art Ghetto für verfemte Frauen. Eine Reportage von Peter Schreiber, ARD Nairobi
Sie haben Mordversuche durch engste Verwandte überlebt. Schläge und Folter. Zumindest hier in Tindang fühlen sie sich sicher. Frauen, die als Hexen verfemt wurden. Zu einer Dorfversammlung kommen sie mit ihren Schemeln. Die über 120 Frauen teilen das gleiche Schicksal. In den Augen der anderen sind sie von bösen Geistern besessen. Pakpema Blenye wurde die Krankheit eines Nachbarn zum Verhängnis. „Mein Nachbar bekam ein Geschwür am Arm. Niemand hatte eine Erklärung dafür. Seine Frau behauptete, ich hätte ihn verhext. Da wollten sie mich umbringen. Und mir blieb nur die Flucht. “
Mal ist es eine rätselhafte Krankheit, mal eine vertrocknete Ernte, für die die Frauen schuld sein sollen. Einige waren früher erfolgreiche Geschäftsfrauen und zogen den Neid auf sich. Andere wurden als Hexen gebrandmarkt, damit ihre Verwandten an das Erbe kommen. Für Tibisi Linsak begannen die Probleme, als ihr Mann starb. „Nach der Beerdigung erzählte meine Schwägerin überall im Dorf, sie habe geträumt, dass ich an dem Tod meines Mannes schuld sei. Da konnte ich nicht mehr bleiben. Ich musste weg und ließ alles zurück: meinen Hof, meine Felder und auch meine Kinder.“
Die Frauen leben in Tindang in einem Ghetto. Um bei der Provinzregierung Unterstützung einzufordern, wählen sie auf der Dorfversammlung zwei Sprecherinnen. Unter ihnen auch Pakpema Belnye. Sie lebt seit 28 Jahren in dem Hexendorf und gehört damit zu den Alteingesessenen. Tibisi Linsak kam erst vor vier Jahren hierher. Trotz Verfolgung und Ächtung lassen sich die beiden nicht den Mund verbieten. Und sie haben im Gegensatz zu fast allen anderen Frauen im Dorf ein kleines Einkommen. Was sie im Wald schlagen, macht eine Nachbarin zu Holzkohle. Und die verkaufen sie dann an der Straße.
In Tindang leben fast ausschließlich Frauen. Die meisten über 70 Jahre alt. Bekämen sie nicht ab und zu Lebensmittel von Kirchen und Hilfsorganisationen, sie müssten verhungern. Sie alle haben Wunden. Aber nur wenige sind sichtbar. Einige sind dement und geistig verwirrt. Alle aber traumatisiert durch Verfolgung und ein jahrhundertealtes Ritual. Um herauszufinden, ob eine Frau eine Hexe ist, schneidet ein Fetisch-Priester einem Huhn den Hals an. Dann wirft er es im hohen Bogen von sich. Verendet das Tier auf dem Bauch, ist dies das endgültige Schuldurteil. Landet das Huhn auf dem Rücken, war es ein Fehlalarm. In Tindang ist der Fetischpriester zugleich das Dorfoberhaupt. Sein Vater hat das Asyl für mutmaßliche Hexen vor fast 50 Jahren gegründet. „Ob jemand eine Hexe ist oder nicht, entscheiden die Geister“, sagt Asana Sheini, der Fetischpriester. „Das Huhn zeigt uns ihr Urteil. Bei einem Schuldspruch geben wir der Frau ein Gemisch aus Hühnerblut, Wasser und heiliger Erde zu trinken. Damit ist die Macht der Hexe gebannt. Ist sie unschuldig, kann sie gehen wohin sie will.“
Hexe oder nicht – die meisten Frauen bleiben in Tindang. Denn ist der Verdacht einmal ausgesprochen, klebt das Stigma wie Pech an ihnen. Die Verfolgung von Hexen ist keine afrikanische Eigenart. Im Mittelalter war in Europa die katholische Kirche dabei eine treibende Kraft. Pfarrer Jabaab aus einem Nachbardorf weiß, dass auch seine Gemeindemitglieder nicht gegen den Hexenglauben gefeit sind. "Wenn es keine wissenschaftliche Erklärung für etwas gibt, fallen die Menschen in alte Muster zurück. Denn nur wenn etwas erklärbar ist, bekommt man eine Situation unter Kontrolle. In Europa sind wissenschaftliche Erklärungen weit verbreitet. Aber nicht bei uns. Der Hexenglaube ist in den Traditionen und der Mentalität der Afrikaner tief verwurzelt. Und es ist sehr schwer, sich davon zu lösen.“
Auf einem Lastenmotorrad machen sich Pakpema und Tibisi auf den Weg in die Provinzhauptstadt. Als Sprecherinnen des Hexendorfs wollen sie bei Behörden Unterstützung, bei der Polizei Hilfe einfordern. Ghanas Regierung wollte die Dörfer der verfolgten Frauen längst schließen. Ein Schandfleck für das demokratische und wirtschaftlich starke Land. Doch niemand wollte die Frauen aufnehmen. Immerhin hat die Polizei kürzlich eine Sondereinheit geschaffen, die Frauen vor Gewalt und Ausgrenzung schützen soll. Wer jemanden der Hexerei bezichtigt, muss inzwischen fürchten vor einem Richter zu landen. „Wenn jemand einen Fall meldet, wo ein Menschenleben in Gefahr ist, werden wir aktiv“, erklärt Emmanuel Hortu, Leiter der Polizeisondereinheit. „Wer also eine Frau als Hexe beschuldigt, muss damit rechnen, dass wir ihn anklagen. Wegen Bedrohung von Leib und Leben, wegen Körperverletzung oder Beschädigung von persönlichem Eigentum.“
Das Leben in der Stadt ist für die beiden Sprecherinnen des Hexendorfs ungewohnt. Höchstens einmal im Jahr kommen sie hierher. Wozu auch – Geld für Einkäufe haben sie nicht. Im Haus der Provinzregierung hat man ihnen immerhin zugehört und Versprechungen gemacht. „Sie wollen sich um bessere Hütten kümmern, einen neuen Brunnen bauen und uns in die staatliche Gesundheitsversicherung aufnehmen“, sagt Pakpema Belnye.“ Vor allem aber hat man uns Lebensmittel versprochen, denn viele von uns im Dorf haben einfach nicht genug zu essen.“
Im Hexendorf Tindang haben sie schon viele Versprechen gehört. Geändert hat sich bislang nichts. Es ist und bleibt ein Hospiz für alte, mittellose Frauen. Fast alle Versuche, sie in ihre Heimatdörfer umzusiedeln, sind gescheitert. Ihre Verfolger wollen sie nicht zurück. Und sie selbst scheuen einen neuen Spießrutenlauf. Hier werden sie zumindest in Ruhe gelassen und können ihre Erfahrungen austauschen. Das hilft ihnen ein wenig, um mit ihrem Trauma zu leben.
Stand: 15.04.2014 11:18 Uhr
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