So., 15.12.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Grönland: Der Helikopter-Friseur
Tasiilaq, im Osten Grönlands, ist ab Herbst nur noch im Helikopter zu erreichen. Während draußen Huskies Schlitten ziehen, schneidet drinnen Stefán Esjarsson den Einwohnern die Haare. Der Friseur ist für einen Tag eigens aus dem benachbarten Island per Hubschrauber angereist und verpasst den Jugendlich den trendigen Ronaldo-Schnitt, Mädchen den Halfcut, und ihren Mütter Frisuren nach Mustern aus dem Internet. Eine eiskalte Geschichte von Klaus Scherer, NDR.
Es ist eine Anreise, die abenteuerlicher kaum sein könnte – in den Osten Grönlands, nahe am Polarkreis. Dass sich hier überhaupt noch Dörfer finden, scheint schon wie ein kleines Wunder. Tasiilaq ist vom Herbst an nur per Hubschrauber erreichbar. Es ist nicht irgendein Tag, an dem wir ankommen, es ist der wichtigste Sonntag des Jahres in dem Dorf am Fjord... Ein bisschen wie Kirmes klingt es vom Eisufer her, der Tag der Schlittenrennen. Männer, Frauen, Ehepaare gehen nacheinander auf ihre Rennstrecken und lassen sich später als Sieger feiern. Alle Schlitten haben sie selbst gezimmert, alle Hunde selbst gezüchtet. Am Ende bewältigen sogar die Kleinkinder des Ortes noch ihre Kurzstrecke, obwohl sie kaum wissen, was mit ihnen geschieht - der Stolz ihrer Familien.
Im Ort geht derweil aber noch einer zu Werke, der das Wochenende zu einem besonderen Termin macht. Stefán Esjarsson, der aus dem benachbarten Island angereist ist, Tasiilaqs fliegender Friseur. "Sie sehen ja, mit welchen Frisuren wir uns hier sonst begnügen“, lachen die Wartenden, "es wäre schön, wenn er bald öfter käme.“ Haareschneider, die hier kurz Station machten, gab es immer mal wieder, erzählen sie uns. "Zuletzt versuchte einer sogar zu bleiben. Um davon zu leben aber, ist der Ort zu klein.“ "Ich reise sowieso gern und mag Grönland“, sagt Stefán. "Wenn es sich halbwegs rechnet, komme ich gern öfter. Kundschaft scheint ja da zu sein.“
Zunächst kam er auf Wunsch der Dorfchefs , die etwas mehr Gewerbe ansiedeln wollen. Gut 2.000 Menschen leben hier, von den Jüngeren liebäugeln manche selbst mit dem Beruf. Friseurin? Ja, sagt sie, das wäre was. Lange stutzte man sich hier wechselseitig mit der Küchenschere. Heute wollen auch in Grönland Jungs lieber den Ronaldo-Schnitt, Mädchen den Halfcut, und ihre Mütter Frisuren nach Mustern aus dem Internet. Fast vierzig Kunden, die zwischen zehn und zwanzig Euro zahlten. Ein paar hundert Euro also, abzüglich der Reisekosten. Auf dem Rückflug findet Stefán, dass das durchaus einen Trip wert ist.
Nach zwei Flugstunden erscheint unter uns Reikjavik, das auch auf unserer Reiseroute liegt. Warum also nicht noch eben Stefans Friseurladen besuchen? Denn schon im Flieger schwärmte er von seinem antiken Sessel namens Rex. "So wie ich heute die Kinder darauf auf ein Brett setze, saß ich auch selbst als Kind darauf“, sagt er. "Erst wenn du es nicht mehr gebraucht hast, warst du groß.“ Dann reden wir, wie beim Frisör üblich, über Politik. "Die Männer haben mich vor Islands Wirtschaftskrise gerettet“, sagt er. "Die kamen weiter. Nur an aufwendigen Damenfrisuren, mit Strähnchen und so, wurde gespart." Letzte Frage. Wie kam es, dass e r den Friseurberuf lernte, als in Island noch fast jeder Fischer wurde? Er sei als Junge auch zur See gefahren, mit seinem Vater, sagt er uns. „Aber dann nahm mich meine Mutter beiseite und sagte, Junge, hier ist eine Liste mit Berufen, Schreiner, Rechtsanwalt, Friseur und so weiter. Bei Friseur sagte ich, ja." Die Lehrstelle im einzigen Friseurladen von Reikjavik habe ihm die Mutter dann am Telefon besorgt. Mag sein, dass sich die Geschichte nun bald wiederholt – drüben in Grönland. Die neue Bewerberin für eine Lehre hat sich ihm ja dort schon vorgestellt.
Stand: 02.01.2015 13:07 Uhr
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