So., 27.10.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Großbritannien: Die Zocker sind zurück
Immobilienpreise explodieren und die Regierung bürgt für Kredite
Die Konservativen sind auf dem Weg zurück zur Politik Margaret Thatchers. Die Märkte müssten sich selbst überlassen werden; die Regierung von David Cameron garantiert und stützt ab sofort Hauskredite, auch für Käufer, die nur 5% Eigenkapital haben, sich ein Haus also gar nicht leisten können. Damit bekommt der ohnehin überhitzte Londoner Immobilienmarkt neues Feuer. Für normale Briten wird die Stadt zunehmend unerschwinglich. Täglich steigen die Hauspreise um mehr als 1000 Euro. Experten warnen vor einer neuen Immobilienblase. Annette Dittert stellt Feuerwehrmänner vor, die es sich nicht mehr leisten können, in der Stadt zu wohnen, die sie beschützen sollen.
Acht Uhr morgens auf den Bahnhöfen Londons: Mehr als eine Million Pendler quälen sich hier jeden Tag durch, denn leben können die meisten Briten in ihrer Hauptstadt schon lange nicht mehr. Ray hat noch eine halbe Stunde bis zur Ankunft. Aber bereits 3 Stunden hinter sich. Als Feuerwehrmann kann er sich nicht einmal mehr ein Haus im Speckgürtel leisten. „Die allermeisten meiner Kollegen wohnen viele Stunden weit weg. Und selbst dann kommen sie oft kaum hin mit dem Gehalt.“ Seinen Sohn sieht er nur selten, denn wenn Ray nach zwei Tagen Schichtdienst wieder nach Hause kommt, schläft der meist schon. Und so ist er meistens allein – hier in London, in dieser Stadt, die ihn braucht, wenn es brennt, die ihn aber hier nicht leben lässt. Denn die Preise steigen weiter, und bei bis zu 50.000 Euro pro Quadratmeter ist Wohnraum hier mittlerweile zum Spekulations-Spielzeug für Millionäre aus der ganzen Welt geworden.
Gerry, einer von Rays Kollegen in der Feuerwache ist der letzte hier, der sich nicht hat raustreiben lassen und noch in London lebt. Die Feuerwehr war sein Traum, schon als er noch ein kleiner Junge war. Dass er jetzt aber Anlageobjekte und nicht mehr Menschen schützt, das war nicht Teil dieses Traums. „Meistens siehst Du niemanden, wenn Du da hingerufen wirst. Höchstens einen Angestellten, denn die Leute selbst wohnen hier nicht.“ Gerry ist ein Kämpfer, aber es gibt Tage, an denen er nicht weiß, wie das weitergehen soll. „Wir sind bald in einer Situation, wo all die Leute, die diese Stadt zusammenhalten, hier nirgendwo mehr wohnen können. Sondern alle von sonstwoher eingekarrt werden müssen“
Gerry und mit ihm all die anderen normalverdienenden Briten sind seit Jahren Opfer einer Politik, die ganz bewusst das große Geld von überall her durch Steueranreize nach London lockt, und damit die Hauspreise in den Himmel treibt. Und das im Zweifel auch auf Kosten der eigenen Bürger. Jetzt aber hat der Premier David Cameron sein Herz für die Gerrys der Insel, die „hardworking people“, entdeckt, und auch wohl entdeckt, dass in anderthalb Jahren Wahlen sind. „Ihr kennt den alten Satz: ‚your home is your castle‘. Für die meisten jungen Leute heute gilt das nicht mehr“ sagt David Cameron. „Sie mieten. Die jetzige Generation kann nicht mehr kaufen. Millionen sind gefangen in Mietverträgen. Und wir werden jetzt wieder dafür sorgen dass alle wieder ihr eigenes Haus besitzen können.“ Applaus für ein Garantie-Programm, das nun tatsächlich in Kraft getreten ist. Ein Programm, indem Cameron die Briten auffordert, wieder mehr Geld von den Banken zu leihen. 5% Eigenkapital, das sei ab jetzt wieder genug, weitere 15% garantiere er den Banken, erklärt er dem erstaunten Bürger. “Das Paar, das ich hier traf, da hatten beide gute Jobs, sie werden ihre Raten zahlen, sie bekommen nur im Moment keinen Kredit, weil sie kein Startgeld haben. Und das ist doch nicht fair. ”
Die Banken reagierten verwirrt: Genau das sollten sie ja eigentlich auf keinen Fall mehr tun. Riskante Kredite an Menschen vergeben, die das Geld nicht haben. Und selbst die konservativen Thinktanks der Insel zeigten sich entsetzt, das Adam Smith Institute z.B., das seit Margaret Thatchers Zeiten an der Seite der Torys für freie Märkte kämpft. Wenn jemand nur 5% Eigenkapital hat, geht er bankrott, sobald die Zinsen wieder steigen“, meint Eamon Butler vom Adam Smith Institute. “Die sind im Moment historisch niedrig, sie müssen steigen, und wenn das passiert, dann haben wir alle hier ein richtiges Problem mit unserer Wirtschaft.“ Sein junger Kollege unterm Dach, der eine vernichtende Studie zu dem Garantieprogramm verfasst hat, geht noch weiter: „Es ist einfach sehr zynisch, was Cameron macht“, sagt Sam Bowman vom Adam Smith Institute. „Und nur in seinem eigenen Interesse. Menschen riskante Kredite zu garantieren, um sie als Wähler zu bestechen. Und wenn das ganze Ding irgendwann explodiert, dann zahlt die jetzige Regierung dafür nicht mehr den Preis.“
Und noch etwas kommt hinzu: Das Kreditprogramm der Regierung hat den Immobilienmarkt schon jetzt in einen neuen Vollrausch versetzt. Direkt am Hyde Park ist eine 5-Zimmer Wohnung gerade für schlappe 68 Millionen Pfund im Angebot. Dasselbe geschieht aber vor allem ganz unten. Für diese Kellerwohnung möchte der freundliche Makler jetzt mehr als umgerechnet eine halbe Million Euro haben. Und er weiß, er wird sie los, auch wenn der Putz von der Decke kommt und das Wohnzimmer quasi fensterlos ist: „Jeder muss jetzt kaufen, so schnell er kann“ sagt der Makler Mark Lawrinson. „Sonst kriegen sie selbst die 5% nicht mehr zusammen. Die Preise explodieren jetzt wieder, denn das Kreditschema der Regierung hat ja nicht mehr Wohnraum geschaffen, sondern nur künstlich die Nachfrage angeheizt.“
Gerry, der Feuerwehrmann, der sich nicht aus London vertreiben lassen wollte, hatte zunächst gehofft, mit dem Kreditschema eine kleine Wohnung anzahlen zu können, denn das 23qm Zimmer, in dem er mit seiner Frau Gemma und dem dreijährigen Sohn lebt, platzt aus allen Nähten. – Aber Gerry hat schon jetzt ein paar Monate zu lange gewartet: „Ja, denn selbst mit den 20.000, die ich gespart habe, kann ich nichts mehr machen, die sind in den letzten drei Monaten total verbrannt. Nichts mehr wert. Weil die Preise um genau die Summe schon wieder gestiegen sind.“ Es sind eben nicht die „hardworking people“, die von Camerons neuem Kreditschema profitieren. Sondern wieder die, die bereits Immobilien besitzen, und die Banken, die wieder faule Kredite vergeben dürfen, genau wie vor der Rezession. Das diesmal aber auf Geheiß einer Regierung, die kalt berechnend auf die nächsten Wahlen starrt: „Ich denke nicht, dass sie wirklich glauben das sei eine gute Idee. Wenn, wäre es furchtbar, dass sie das Land regieren“, so Sam Bowman vom Adam Smith Institute.
Zocken im Auftrag der Regierung: es scheint, als habe niemand hier auch nur irgendetwas dazugelernt, seit der letzten Finanzkrise, die ja genauso begann. Der nächste große Crash ist damit auf bestem Wege auf der Insel.
Annette Dittert, ARD London
Stand: 15.04.2014 10:52 Uhr
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