So., 27.10.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
USA: Die Polizei, dein Freund und Kameramann
Umstrittenes Beweismittel könnte tödliche Polizei-Einsätze aufklären
Immer wieder sterben in den USA Menschen durch Polizeikugeln, wie erst am Dienstag ein 13-jähriger in Kalifornien. Oder der Fall des 16-jährigen Kemani Grey. Er starb durch Kugeln in den Rücken. Die Polizei sagt, er sei bewaffnet gewesen, Augenzeugen bestreiten das. Eine Kleinst-Kamera am Körper der Polizisten hätte Beweise liefern können. Solche sogenannten Bodycams – Mini-Kameras als Teil der Uniform oder an der Brille von Polizisten – sorgen derzeit in den USA für eine kontroverse Diskussion. Damit könnten sowohl die Polizisten kontrolliert, als auch die Beteiligten identifiziert werden. Ein Pilotversuch in Kalifornien erbrachte einen deutlichen Rückgang der Polizeigewalt und auch weit weniger Beschwerden der Bevölkerung gegen die Polizei.
Ein echter Polizeieinsatz aufgenommen aus zwei Pespektiven. Mit einem Elektrotaser machen zwei Polizisten einen Verdächtigen unschädlich und nehmen ihn im Swimmingpool fest. Mit ihren am Körper getragenen Minikameras dokumentieren die Polizisten lückenlos den Einsatz. Lückenlose Dokumentierung - das lehnen die New Yorker Polizeiführung, die Gewerkschaften, der Bürgermeister der Stadt vehement ab - warum nur ?
Wir sprechen mit einem, der 40 Jahre bei der New Yorker Polizei gearbeitet hat. „Die Polizisten sagen, sie werden schon genug überwacht“, so Edward Mamet, Ex-Captain der NYCPD, „sie sagen, die Kamera behindere sie bei der Arbeit – in Stresssituationen , wenn sie angegriffen werden. Sie könnten dann zögern, zu reagieren, weil nun alles auf Tape festgehalten und gegen sie verwandt werden könnte.“
Trauer um einen 16 jährigen Jungen. An dieser Stelle starb Kimani Gray. Er wurde von New Yorker Polizisten dreimal in den Rücken geschossen. Sechs Monate ist das her – der Fall ist bis heute nicht aufgeklärt. „Warum hat Kimani um sein Leben gebettelt“, fragt sich seine Mutter Carol, „warum rief er, hört auf zu schiessen, warum hat er das gesagt, wenn er doch eine Waffe hatte.“ Laut Polizei war der Junge bewaffnet, hatte eine Pistole gezogen. Augenzeugen bestreiten, dass Kimani eine Pistole in der Hand hielt. Gefeuert haben diese beiden Polizisten. Es ist nicht das erste Mal, das sie als aggressiv aufgefallen sind. Um sie aus anderen Verfahren herauszuhalten, zahlte die Stadt 215 000 Dollar. „Für mich ist es nicht überraschend, dass diese Tragödie mit Kimani passieren konnte“, sagt der Klägeranwalt Brett Klein. Damals gab es schwere Zusammenstösse zwischen Polizei und Demonstranten. 46 Personen wurden festgenommen.
Fälle wie der von Kimani Gray bringen die New Yorker Polizei immer wieder in Verruf. Deshalb hat nun eine New Yorker Richterin angeordnet, die Polizisten sollten mit Kameras ausgerüstet werden, um ihre Einsätze in Bild und Ton lückenlos zu dokumentieren. „Wenn im Kimani Gray-Fall die beiden Polizisten mit einer Kamera am Körper ausgerüstet gewesen wären“, sagt der Anwalt Brett Klein, „dann wäre alles aufgezeichnet, was sie gehört und gesehen haben. Wir wüßten ob der Junge bewaffnet war. So haben wir widersprüchliche Versionen und wir werden wahrscheinlich niemals die Wahrheit herausfinden.“
Längst werden die Kameras in Pilotversuchen getestet. Diese Polizisten tragen sie seit Februar 2012. Das Bewusstsein, dass nun all das, was jetzt passiert, gespeichert wird, hat das Verhältnis zwischen ihnen und den Bürgern entscheidend verändert. Das beweist diese Statistik aus Rialto, einem Ort nahe Los Angeles. Polizisten schlagen und schiessen hier erheblich weniger, verglichen mit dem Vorjahr minus 59 Prozent. Gleichzeitig beschweren sich die Bürger erheblich weniger, minus 88 Prozent. Ob in Kanada, England oder den USA alle Pilotversuche ergeben ein einheitliches Bild, sagt Professor Harris, Polizei und Bürger gehen erheblich friedlicher miteinander um. Professor Harris hat die erste umfassende Studie zum Nutzen von Polizeikameras verfasst. „Diese am Körper getragenen Kameras haben das Potential das Kräfteverhältnis zwischen Polizei und Bürger radikal zu verändern. Vor Gericht es doch so: Wenn Aussage gegen Aussage steht, dann glaubt man in der Regel den Polizisten. Mit der Bodycamera haben wir eine völlig neue Situation. Jetzt gibt es ein zusätzliches Beweismittel vor Gericht “
Fahrerflucht und die Polizei filmt mit. Videomaterial wie dieses, so Professor Harris, ist allerdings nur dann vor Gericht verwertbar, wenn die Polizei klare Einsatzregeln hat, wann genau gefilmt werden muss, wer das Video wo speichert. „Das gesamte Material muss natürlich unabhängig von der Polizei für Anwälte und Richter zugänglich aufbewahrt werden und zwar so, dass die Polizisten an die Aufnahmen nicht mehr herankommen.“ Wir machen die Probe auf‘s Exempel und zeigen unseren Gesprächspartnern dieses Video aus Toronto – aufgezeichnet am 27.Juli von einem Passanten mit einem I-Phone: Deutlich zu hören die Stimmen der Polizisten: „Wirf das Messer weg, wirf das Messer weg“ und undeutlich die Antwort des Mannes in der Bahn: „Du bist doch viel zu feige, du bist ein Feigling“ Es fallen neun Schüsse , der 18- jährige Junge mit dem Messer stirbt. Wir fragen: Hätte eine Bodycamera die Situation verändert? „Ich glaube nicht, dass die Bodycamera hier das Verhalten der Polizisten verändert hätte“, meint der Ex-Polizist Edward Mamet, „das sind Sekundenentscheidungen. Ich denke, diese Polizisten können gut erklären, warum sie geschossen haben.“ Und Professor Harris sagt: „Hätten alle Polizisten die Situation gestochen scharf aufgezeichnet, dann wir wären wir jetzt erheblich weiter. Wir wüssten genau Bescheid, ob der Mann in der Straßenbahn den Polizisten tatsächlich nach dem Leben trachtete. So, wie das Bildmaterial jetzt ist, kann man das nicht eindeutig entscheiden.“
Bodycams für Polizisten - das wäre ein Riesenfortschritt, sagen Bürgerrechtsorganisationen, Staatsanwälte, Richter. Sie könnten die Bürger vor schießwütigen, gewalttätigen Polizisten besser schützen. Und sie könnten für mehr Rechtsfrieden sorgen. Mussten die Polizisten auf Kimani Gray schießen? Die Familie wirft der Polizei Brutalität und blanken Rassismus vor. Mit einer am Körper getragenen Polizeikamera wäre der Fall wahrscheinlich schon längst geklärt.
Markus Schmidt, ARD New York
Stand: 15.04.2014 10:52 Uhr
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