So., 16.06.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Jordanien: Verkaufte Mädchen
Aya ist ein junges Mädchen aus Syrien. Als sie ihre Geschichte erzählt, muss sie weinen. Mit ihrer Familie ist sie nach Jordanien geflohen. Wenig später wird sie von einer professionellen Heiratsvermittlerin mit einem wohlhabenden saudischen Mann verkuppelt. Ganz offensichtlich dient im Hintergrund eine arabische Hilfsorganisation als Kontaktbörse. Aya ist 16, ihr Ehemann 70. Umgerechnet 1.500 Euro hat der saudische Geschäftsmann an die Flüchtlingsfamilie bezahlt. Nach wenigen Wochen wird die Ehe geschieden. Einige Tage später sucht die Vermittlerin einen neuen Mann für die junge Frau. Aya teilt ihr Schicksal mit vielen syrischen Flüchtlingskindern, die aus finanzieller Not von ihren Familien in die Prostitution gedrängt werden. „Wenn jemand sein Leben und seinen Körper opfert für seine Familie“ - sagt Ayas Freundin - „dann ist das in Ordnung. Unsere Familien haben auch viel für uns geopfert.“ Eine Reportage von Volker Schwenck, ARD Kairo
Umm Magid ist Heiratsvermittlerin. Das wurde sie erst, nachdem sie aus Syrien nach Jordanien geflohen war. Heute hat sie eine schäbige Wohnung in Amman und von irgendwas muss sie ja leben. Also Heiratsvermittlerin. Ghazal mit ihrer Mutter und Aya sind gekommen. Für die jungen Frauen wird Umm Magid bald auch einen Bräutigam suchen. Aber nicht sofort. Denn beide sind eben erst geschieden. Sie sind 16 und 17 Jahre alt. Ghazal und Aya. Für das Interview möchten die Mädchen - oder junge Frauen - das Gesicht lieber verschleiern. Beide waren nur knapp einen Monat verheiratet, hatten ihren Ehemann vorher nie gesehen. Beide Männer kamen aus Saudi-Arabien. Ghazals Mann war 48 und Ayas Mann war 70 Jahre alt. „Er hat mich zu bestimmten Dingen gezwungen, es war immer nur Zwang“, sagt Aya. „Manchmal habe ich mich schlafend gestellt. Er wollte immer nur das eine von mir. Alle wollen nur das eine. Sie heiraten uns aus einem ganz bestimmten Grund.“ Und Ghazal ergänzt: „Mein Ehemann hat meiner Familie das Brautgeld gegeben, 1500 Dinar, umgerechnet 1600 Euro. Er hatte nochmal so viel versprochen, aber nie gezahlt. Wenn ich es nicht gemacht hätte, hätten sie uns aus der Wohnung geworfen.“ Ghazals Mutter schweigt dazu. Und schämt sich.
Der Krieg in Syrien hat eine weitere Form des Elends geschaffen: junge syrische Frauen verkaufen sich, damit ihre Familien leben können. Es heißt Ehe, aber es ist Prostitution. Nichts anderes. Umm Magid und Ghazal haben wir schon einmal besucht, vor drei Monaten. Vor Ghazals erster Ehe. Damals war die junge Frau ängstlich, aber auch irgendwie optimistisch. Sie wusste nicht, was sie erwartet. Ghazals Mutter war wütend. Ein Mitarbeiter einer islamischen Organisation helfe nur potentiellen Bräuten, sagte sie uns, jungen, hübschen Mädchen wie Ghazal. „Die wollen alle heiraten“, schimpfte Ghazals Mutter damals, „möge Gott diesen Abu Hussein bestrafen! Sie geben dir bei der Organisation nur ein Essenspaket, wenn du ihnen ein hübsches Mädchen bringst. Ist sie nicht hübsch – verschwinde, heißt es dann, für dich gibt es hier nichts.“
„Al Kitab w´as-Sunna“ heißt die Organisation. Sie wird vor allem von Qatar und Saudi-Arabien finanziert. Abu Hussein, auf den Ghazals Mutter so wütend war, ist ein Mitarbeiter. Umm Magid sagt uns, es gehe noch viel weiter. Die Organisation sei quasi die erste Anlaufstelle für Männer aus den Golfstaaten, die eine syrische Frau suchten. Auch eine minderjährige. Der Leiter der Organisation, Scheich Zayed Hammad, widerspricht entschieden. „Das weise ich zurück“, sagt der Scheich. „Es stimmt nicht. Bewohner einiger Golfstaaten nützen nicht die Notlage von Frauen aus Syrien aus - von einem oder zwei Fällen abgesehen. Außerdem würde das ja negative Auswirkungen auf unsere Spenden haben. Die Leute würden sagen: schaut, wie es bei denen zugeht!“ „Genau der ist es und seine Organisation“, beharrt Umm Magid. „Ihr kennt mich doch auch über die. Ein Kontaktmann von denen ruft mich jedes Mal an und sagt: da gibt es einen Bräutigam, einen Ausländer.“
Umm Magid unterwegs zur nächsten Familie. Es läuft meist nach dem gleichen Muster. Am Anfang sind die Männer nett, das Brautgeld wird vereinbart, der Ehevertrag gemacht und es gibt viele Versprechungen: die ganze Familie werde nach Saudi-Arabien in eine schöne Wohnung kommen. Raus aus solchen Löchern. Nach ein paar Wochen im Hotel oder einer billigen Mietwohnung ist dann alles vorbei und die Mädchen sind geschieden. Rhim ist auch gerade mal 16. Die nächste Kandidatin. Fünf Kinder muss Rhims Mutter in der Fremde allein durchbringen. Rhim will Tee kochen für den Gast. Aber das Gas ist aus und Geld haben sie auch keines mehr. Dann gibt es eben Wasser. „Ihr fragt mich, wie es mir dabei geht?“ meint Umm Magid. „Fragt ihr euch auch, wie es ist, wenn der Vermieter klopft und die Miete haben will und ich Wasser und Strom zahlen muss und kein Geld habe? Und wie ich meinen kranken Sohn versorgen kann? Wie sollen wir denn überleben? Wir sind doch die Opfer. Wer fühlt denn mit uns?“
Alle Beteiligten wissen, dass eigentlich falsch ist, was hier passiert. Aber Ghazal wird wohl wieder heiraten, Umm Magid wird diese Ehe wieder anbahnen und Ghazals Mutter wird wieder schweigen. Es ist Krieg und da gelten andere Regeln als im Frieden. Nur die Not treibt die Frauen, zu tun, was sie tun müssen. „Das Syrische Volk ist ein stolzes Volk“, meint Umm Magid. „Nach dem Krieg werden wir uns an den Arabern rächen müssen. Wir verkaufen unsere Töchter. Manche sollen sogar ihre Frauen verkaufen.“ „Wenn jemand sein Leben und seinen Körper opfert für seine Familie“, sagt Ghazal, „dann ist das in Ordnung. Unsere Familien haben auch viel für uns geopfert.“ Ghazal scheint körperlich unversehrt und trotzdem – auch sie hat dieser Krieg schwerst verletzt zurückgelassen.
Stand: 13.05.2015 12:46 Uhr
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