So., 03.03.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Kenia: Die Angst vor der Wahl
Am 4. März wählen die Kenianer ihren Präsidenten und das Parlament. Und hoffen, dass ihnen der Schrecken der letzten Wahl diesmal erspart bleibe. Denn vor fünf Jahren endete der Urnengang in einem Blutbad. 1500 Menschen fielen den Kämpfen rivalisierender Stämme zum Opfer, hunderttausende flohen aus ihrer Heimat. Peter Schreiber porträtiert eines der Opfer von damals. Ihm wurde die rechte Hand abgehackt. Heute arbeitet er als Moderator für ein Ghettoradio und setzt sich für den Frieden ein. (ARD Nairobi)
DJ Talanta hat ein klare Botschaft: „Vote for Peace!“ Wählt den Frieden, sagt der einarmige Moderator. Je näher der Wahltag, umso eindringlicher die Appelle auf Getto Radio. Denn im Getto, in den Slums von Nairobi, gab es nach den Wahlen vor fünf Jahren die meisten Opfer. „Kenianer hört her: Ich habe meinen Arm verloren bei den Unruhen 2007/2008“, sagt der Radio-Moderator DJ Talanta. „So etwas darf sich nicht wiederholen. Und den Regierenden sage ich: Denkt an uns nicht immer nur dann, wenn ihr unsere Stimme braucht.“
Fast die Hälfte von Nairobis drei Millionen Einwohnern lebt in Slums wie Mathare. Erick Kioko oder DJ Talanata wie er sich nennt, ist hier aufgewachsen. Und hier haben ihm fanatische Jugendliche auch einen Arm abgehackt. Das war vor fünf Jahren, als die beiden Spitzenkandidaten gleichauf lagen. So wie jetzt auch. Wahlkampfzeiten sind gefährlich in Kenia. Da ist ein Menschenleben nicht viel wert. Wir treffen einen jungen Mann, der für Morde bezahlt wurde. Seine Auftraggeber sollen Hintermänner bekannter Politiker gewesen sein. Namen will er nicht nennen, auch nicht seinen eigenen. „Bei den letzten Wahlen gab es für einen Mord 500 Schilling, umgerechnet fünf Euro.“ Und heute? „Zur Zeit gibt es für einen Mord sieben Euro. Wenn Du einen Mordauftrag ablehnst, wirst Du selbst umgebracht. Der Auftrag ist also Befehl und Drohung zugleich. Man bekommt Namen und Fotos von Anführern von anderen Volksgruppen. Und das Tage, manchmal Wochen bevor es losgeht.“
Die Wahlkämpfer wollen mit den Auftragsmorden nicht in Verbindung gebracht werden. Sie fliegen mit Hubschraubern ein und verteilen lieber Geschenke: T-Shirts und verdeckt auch mal ein paar Geldscheine. Uhuru Kenyatta ist der Präsidentschaftskandidat der Kikuyu, der größten Volksgruppe in Kenia. Zusammen mit seinem Vize soll er die Gewaltwelle vor fünf Jahren mit angezettelt haben. Gegen beide beginnt im April der Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof. Uhuru ist der Sohn des ersten Präsidenten Kenias nach der Unabhängigkeit. Sein Rivale Raila Odinga der Sohn des ersten Vizepräsidenten. Ihre Familien gehören zu den reichsten im Land. Das verbindet – und das trennt. Denn Raila Odinga vertritt die etwas kleinere Volksgruppe der Luo. Seit Jahrzehnten fühlt sie sich von der Macht ausgeschlossen und will es endlich wissen.
In Kenia ist Politik vor allem eine Sache des Geldes. Das weiß auch der frühere Chef der nationalen Anti-Korruptionsbehörde, Patrick Lumumba: „Geld spielt eine sehr wichtige Rolle. Viele Wähler haben keine gute Schulbildung und denken, dass die Familien-Dynastien quasi ein Vorrecht hätten, das Land zu führen. Neulinge haben es da sehr schwer.“ Vor dem Wahltag haben vor allem die Slumbewohner Angst: Vor fünf Jahren zogen wütende Horden durch die Straßen. Mehr als 1000 Menschen starben, mehr als 300.000 verloren ihr Zuhause. Mit Buschmessern wurde gemordet und verstümmelt. Durch sie verlor auch DJ Talanta seinen Arm. „Ich stand hier und sah wie Luo-Männer eine Kikuyu-Frau vergewaltigt haben. Das war dort drüben in der Ecke. Ich wollte ihr helfen, hatte aber keine Waffe. Also warf ich einen Stein in Richtung der Männer. Plötzlich kamen drei Jugendliche mit Buschmessern. Sie zielten auf meinen Kopf. Ich hob zum Schutz meinen Arm. Das hat mir das Leben gerettet, aber der Arm war ab.“
Im Slum wohnen die Volksgruppen meist getrennt: Kikuyus auf der einen Seite, Luos auf der anderen. Im Wahlkampf werden Nachbarn zu Gegnern. In der Fernsehdebatte der Präsidentschaftskandidaten weisen die Politiker alle Schuld von sich. Man bedauert die Gewalt und schiebt sich die Verantwortung gegenseitig zu. Die Moderatoren haken immer wieder nach. Vergeblich. Die Kandidaten geben sich handzahm und höflich – zumindest wenn Millionen Kenianer zuschauen. Die Debatte wird landesweit ausgestrahlt. DJ Talanta aus dem Mathare-Slum sieht sich die Übertragung bei seiner Schwester an. Doch überzeugt haben ihn die Politiker nicht. „Wer im Slum geboren wurde, kennt die Probleme hier. Die Politiker im Fernsehen aber sprechen englisch. Im Slum verstehen das viele gar nicht. Wie wollen die Politiker uns da helfen? Wir verstehen sie nicht, und sie uns auch nicht.“
Wandmalereien fordern dennoch zur Wahl auf: „Meine Stimme ist unsere Zukunft.“ Im Genick der einfachen Menschen aber sitzen Geier. Stammesführer und Politiker, die – so heißt es - morden und plündern lassen, und dafür auch noch gewählt werden. Die meisten Kenianer wählen ausschließlich Kandidaten ihrer Volksgruppe. Parteiprogramme sind zweitrangig. Auch für die neue Mittelschicht. Sie arbeitet für internationale Organisationen, Großunternehmen und ist doch gefangen in ethnischen Grenzen. Ein gefährlicher Zündstoff. Auch wenn es nach Meinung eines der bekanntesten Kommentatoren Kenias nicht so schlimm kommen muss wie vor fünf Jahren. „Es wird diesmal weniger heiß gekocht“, meint Mutahi Ngunyi. „Es kann Ausschreitungen geben – ja, aber nur für eine kurze Zeit und dann ist Schluss. Wenn sich die Wahl aber über Monate hinzieht, durch Stichwahl und Einsprüche, dann kann es auch zu schweren Gewaltausbrüchen kommen.“
Die Angst vor einer neuen Welle der Gewalt bringt im Stadtpark von Nairobi Zehntausende zusammen. Die Kirchen Kenias haben dazu aufgerufen. Auch DJ Talanta ist gekommen. Bei den Unruhen nach der letzten Wahl hat er durch wild gewordene Jugendliche einen Arm verloren. So etwas darf sich nie wiederholen – da scheinen sich an diesem Tag alle einig. Und dennoch bleiben DJ Talanta Zweifel. „Wenn der Kandidat einer Volksgruppe verliert, dann wirft er der anderen Volksgruppe Wahlbetrug vor. Unsere Politiker nutzen die Rivalität zwischen den verschiedenen Ethnien. Denn sie wissen, damit sind wir groß geworden. Und das macht mir Angst.“ Die Friedensversammlung ist die größte Kundgebung im kenianischen Wahlkampf – überparteilich und friedlich. Und das lässt nicht nur DJ Talanta hoffen.
Stand: 22.04.2014 14:04 Uhr
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