So., 23.11.14 | 19:20 Uhr
Das Erste
China: Boomende Geisterstädte
Schmiedeeiserne Balkone, verspieltes Dekor, ein Hauch von Frankreich. Selbst den Eiffelturm haben die chinesischen Kopier-Weltmeister nachgebaut, nur etwas kleiner als das Original. „Klein Paris“ im Süden Chinas. Es könnte nett sein, hier zu leben. Allein: es wohnt kaum einer hier.
Seit vier Jahren betreibt Liu Jihuan ihr kleines Restaurant. Und wartet darauf, dass endlich mehr Menschen in diese Neubauviertel ziehen. Bislang vergeblich. Sie sagt: „Der Stadtteil ist abgelegen. Es gibt keine gute Verkehrsanbindung. Keiner will hier wohnen, weil man schlecht zur Arbeit ins Zentrum kommt.“ Der Großteil der Wohnungen steht leer. Dennoch hat der Bauunternehmer gut Geld verdient, denn die meisten Apartments sind verkauft. Die Eigentümer aber haben oft gar kein Interesse, einzuziehen oder zu vermieten. Für wohlhabende Chinesen sind Immobilien vor allem eines: Spekulationsobjekt.
Jia Min, Immobilienexperte vom Institute of International Research Hopkins-Nanjing Center, erklärt: „In den letzten Jahren sind die Preise für Immobilien so rasant gestiegen, dass Eigentümer innerhalb kürzester Zeit Riesengewinne machen konnten. Würden sie die Wohnungen vermieten, dann wären sie langfristig gebunden. Viele Investoren lassen die Apartments lieber leer stehen, damit sie schnell und zum besten Preis verkaufen können“.
So sind im ganzen Land gewaltige Neubauprojekte entstanden. Tausende und Abertausende Wohnblocks irgendwo im Nirgendwo. Geisterstädte, in denen keiner lebt. Schon jetzt stehen landesweit 20% der neuen Wohnungen leer.
Anne Stevenson-Yang, Wirtschaftswissenschaftlerin, meint: „Dazu kommen 60 Millionen neue Einheiten, die sich gerade im Bau befinden. In China werden pro Jahr zweieinhalb Millionen Wohnungen verkauft. Sie können sich vorstellen wie lange es dauert bis das alles weg ist. Und das zusätzlich zu den 20 %, die ohnehin schon leer stehen. Es ist höchste Zeit für einen sofortigen Stopp.“
Trotz aller Warnungen wird munter weiter gebaut. Samstagmorgen in Shanghai. Dutzende Makler tummeln sich am Bussammelplatz, werben um Kunden, locken mit Angeboten. Mit kostenlosen Bustouren werden die Kaufwilligen zu den Immobilienprojekten rund um die Stadt gebracht. Eine Stunde dauert die Fahrt in die Neubaugebiete am Rande der 24 Millionen Metropole. Nur weit draußen sind Apartments für Durchschnittsverdiener noch bezahlbar. Eine Frau sagt: „Ich suche eine Wohnung für meinen Sohn, der heiratet.“
Gerade für junge Paare gehört eine eigene Wohnung bei der Heirat mit dazu. Bezahlt wird oft bar. Meist legen die Eltern beider Familien zusammen.
In schicken Verkaufszentren werben die Bauherren für ihre schöne neue Wohnwelt. Gebaut werden nicht einzelne Wohnblocks sondern gleich ganze Stadtviertel. Glitzernd, grün und scheinbar so hochwertig, zumindest am Modell. Dabei gilt die Bausubstanz in China als meistens ziemlich miserabel. Und zahlen muss man bereits vor Baubeginn.
Die Musterwohnungen: reine Attrappe. Schick auf westlich modern getrimmt. Ob auch die fertige Wohnung so sein wird? Dennoch gelten Immobilien als beste Wertanlage, auch wenn die Preise ins Astronomische gestiegen sind. Eine Frau glaubt: „Ich will die Wohnung leer stehen lassen und hoffe, dass der Preis weiter steigt. Wenn ich das Geld auf der Bank lasse, bringt es mir auch nichts. Die Zinsen schwanken ständig. Eine Wohnung dagegen ist eine echte Wertanlage. Etwas Handfestes.“
Tianjin. Zwei Stunden von Peking entfernt. Ein zweites Manhattan sollte hier entstehen. Ein riesen Finanzzentrum, Banken, Geschäfts- und Wohngebäude. Die Lokalregierung hat Milliarden investiert und viele davon in den Sand gesetzt. Einige Bauunternehmen sind unterdessen bankrott. Was bleibt: Investmentruinen. Denn wer will schon hierher ziehen?
Anne Stevenson-Yang, Wirtschaftswissenschaftlerin, erläutert: „So funktionieren alle Investmentblasen. Solange Menschen Geld verdienen ist das gut. Auch für die Regierung. Das treibt die Wirtschaft an, wenn man Milliarden von der Bank bekommt und in Stahl, Zement, LED- und Solaranlagen investieren kann. Davon profitieren die lokalen Unternehmen, das schafft Arbeitsplätze. Alle haben Geld, können sich Autos kaufen. Großartig. Aber tatsächlich ist nichts dahinter.“
Auch hier ist nichts dahinter. Thames Town. Eine Stadt im britischen Stil. Die meisten Appartements unbewohnt, die Ladenzeilen leer. Am Wochenende aber strömen Touristen hierher und Brautpaare in Scharen. Die lassen hier ihre Hochzeitsfotos machen. Das gilt als schick. Alles prima. Bis die Blase platzt.
Ein Beitrag von ARD-Korrespondentin Christine Adelhardt.
Stand: 24.11.2014 13:24 Uhr
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