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Irak: Verfolgte Christen

Irak: Verfolgte Christen | Bild: SWR

Die kleine Jude verschläft ihren vielleicht wichtigsten Tag. Mutter Lida hat die Verwandtschaft zusammengetrommelt – zu Judes Taufe. Eine katholische Taufe im irakischen Qaraqosh. "Wir sind so glücklich heute bei diesem besonderen Ereignis", sagt Lida Amar, Christin aus Qaraqosh. "Es ist so schön. Darauf habe ich sehr lange gewartet." Für die Familien der Täuflinge ein seltener Moment des Glücks mitten im Bürgerkrieg. Vor der Kirche schieben kurdische Peshmerga-Kämpfer Wache – auf Bitten des Priesters. Entsicherte Gewehre zum Schutz der Christen.

Ein Soldat der kurdischen Peshmerga-Armee.
Soldaten der kurdischen Peshmerga-Armee schützen die Christen. | Bild: SWR

Die kurdische Peshmerga-Armee eskortiert uns durch das Kleinstädtchen im Nordirak. Bis zu einem Rohbau, in dem gerade Flüchtlinge aus dem nahen Mossul angekommen sind. Drinnen treffen wir Shuhdy und Subhy – zwei koptische Christen. Beide stehen unter Schock. Vor zwei Tagen wurden sie aus Mossul vertrieben. Shuhdy Raouf erzählt: "Stell dir vor: Eine Terrormiliz will dich aus deiner Stadt verjagen. Würdest du bleiben? Wenn sie dir mit dem Tod drohen? Nein! Was blieb mir übrig? Das ist wie Mord."

Gleich nebenan lebt jetzt Familie Edward. So wie allen Christen wurde auch ihnen auf der Flucht das gesamte Hab und Gut abgenommen. Geraubt an den Check-Points der Terrormiliz. "In meinem Bauchtäschchen war unser Gold. Sie nahmen alles, auch die Schecks und das Ersparte", berichtet Laura Edwards, Christin aus Mossul. "Wir sind geflohen, haben geweint. Alles ist weg: unser Geld und unsere Reisetaschen. Sie rissen sogar eine Cent-Münze aus der Hand meines Sohnes." Jetzt sind die Edwards angewiesen auf Kleiderspenden.

Wir fahren nur ein paar hundert Meter weiter und sind schon an der Front. Im Visier der kurdischen Peshmerga-Kämpfer: die Schützengräben der Terrormiliz "Islamischer Staat" – nur einen Kilometer entfernt.Zehntausende Christen flohen hierher: Ainkawa, das Christen-Viertel der Kurden-Hauptstadt Erbil. Seit Generationen Heimat für christliche Händler. Jetzt geht auch hier die Angst um vor der Terrormiliz und deren Hass auf Christen.

Mitten in Ainkawa steht die Kirche St. Josef. Hier fand der Bischof von Mossul, Emilio Nona, Zuflucht. Ob seine Kirche in Mossul noch steht oder womöglich angezündet wurde, weiß er nicht. Emilio Schamon Nona, chaldäisch-katholischer Bischof von Mossul erzählt: "Zum ersten Mal in der Geschichte von Mossul, nach 2.000 Jahren, gibt es dort keine Christen mehr. Das ist sehr traurig und erschreckend, denn die letzten 1.400 Jahre haben doch gezeigt, dass ein friedliches Zusammenleben zwischen Christen und Muslimen möglich ist." Bischof Nona will nur kurz bleiben – bei seinem geistlichen Bruder, dem Bischof von Erbil. Nur bis zu der Diakonen-Weihe, die er morgen hier leiten wird.

Ein Demonstrant hält ein Schild mit der Aufschrift "Stop ISIS" hoch.
Ein Demonstrant hält ein Schild mit der Aufschrift "Stop ISIS" hoch. | Bild: SWR

Kurz darauf in den Straßen von Erbil: Das kurdische Militär sichert eine Demonstration von Christen. Es ist die erste seit ihrer Vertreibung aus Mossul. Niqa Dimos Dant, syrisch orthodoxer Bischof aus Mossul, betont: "Die Christen brauchen Hilfe, um weiterleben zu können. Um ihre Würde wieder herstellen zu können. Denn die Würde wurde uns genommen von den Verbrechern, die alles gestohlen haben." Laustarker Protest – bislang war das nicht die Sache der Christen im Irak. Doch jetzt, wo vieles, vielleicht alles, verloren scheint, fällt die Zurückhaltung.

Solidarität zeigen zumindest die Kurden. Eine Selbstverständlichkeit für diesen kurdischen Clanführer. "Die Christen sind unsere Brüder. Wir sind hier, damit alle Religionen überleben", sagt Scheich Sabah Salee, ein kurdischer Clanführer. "Wir Kurden kennen keinen Unterschied der Religionen – bis heute." Am Ende schließen sich auch führende muslimische Geistliche den Christen an. Seite an Seite fordern sie von den Vereinten Nationen eine Sicherheitszone für Christen im Irak.

Christen so wie Rayan El-Bakos. Letzte Vorbereitungen für seine Weihe zum Diakon. Nicht in seiner Heimat Mossul, sondern notgedrungen hier in Erbil, im Exil. Eine Weihe auf Aramäisch, einer urchristlichen Sprache. Fast alle Anwesenden mussten aus Mossul fliehen. Die Weihe: ein bewegender Moment für Bischof Nona. "Wir sind sehr glücklich. Denn es gibt jetzt einen neuen Diakon in unserer Diözese. Trotz der schwierigen Situation, in der sich unsere Gemeinde befindet, haben wir es geschafft, ihn zu weihen."

Goldschmuck mit Kreuzanhänger.
Das Christentum hat im Nordirak eine lange Tradition. | Bild: SWR

In die Feier mischt sich aber auch Wut und Enttäuschung. Tamima Ibrahim, Christin aus Mossul, sagt: "Diese Zeremonien sind schön, aber wir brauchen keine Zeremonien, sondern gezielte Lösungen. Damit wir zurück können nach Mossul und unser Leben zurück kriegen. "Alles was Bischof Nona nun tun kann, ist den kleinen Rest seiner Gemeinde besuchen, der noch draußen ausharrt. Seelsorge an der umkämpften Front. "Dass ich jetzt bei meiner Gemeinde nahe der Front bin, ist sehr wichtig für die Mitglieder. Ich als Bischof muss in dieser schlimmen Situation bei ihnen sein." Die Anspannung, die Angst merken wir dem Bischof an. Aber diese Reise, so sagt er, ist er seiner Kirche schuldig.

Autor: Matthias Ebert / ARD-Studio Kairo

Stand: 04.08.2014 12:57 Uhr

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