So., 09.02.14 | 19:20 Uhr
Das Erste
Schweiz: Luxus-Tourismus als Alpenkiller?
In Andermatt ist die Zeit stehengeblieben. Oder besser: war. Denn seit Dezember steht hier ein hochmodernes Luxushotel, eines von vielen Hotels und Apartments, wenn es nach dem ägyptischen Investor Sawiris geht. Der hat sich des Örtchens angenommen, als die Schweizer Armee ihren riesigen Truppenübungsplatz aufgab und plötzlich nicht mehr Jahr für Jahr verlässlich die Übernachtungsgäste in den veralteten Hotels des Örtchens abstiegen. Der Traum vom Luxusresort, vom zweiten Davos oder St. Moritz, hat viele gepackt – aber nicht alle. Einige Widerspenstige kämpfen gegen Hotels und Skigebiet. Sie wollen, dass ihr Andermatt bleibt wie es war: klein, verschlafen und erschwinglich.
Daniel Hechler, ARD Genf
Umschlossen von bizarrer Bergwelt liegt es tief im Tal. Zugig. Schattig. Und doch einzigartig. Andermatt. Ein Schweizer Bergdorf wie aus dem Bilderbuch. Jahrhundertealte Holzschindelhäuser. Eine prächtige Barockkirche. Verträumte Gässchen. Schlichte Hotels. Das Skigebiet. Ein Geheimtipp für Skicracks und Familien, die Natur pur lieben. Kein High-Tech. Keine Champagnerhütten. Kein Schickimicki. Gerade das aber gefällt vielen hier. "Hier ist es halt gemütlich", sagt ein Skifahrer, "sehr freundliche Leute, freundliche Bedingungen in den Gaststätten, es ist ein Familienskigebiet." Und eine Skifahrerin meint: "Ich kann mir vorstellen, dass ich irgendwann später nicht mehr so oft hierherkomme." Denn das alte Andermatt ist bald Geschichte. Es weicht einem Luxusresort der Superlative. Sechs Nobelhotels, 42 Apartmenthäuser, 25 Villen, ein Kongresszentrum, ein Golfplatz de Luxe. Da, wo Schweizer Soldaten einst schießen lernten, entsteht das größte Tourismusprojekt der Schweiz. Herzstück des Resorts: Das Chedi. Ein Fünf-Sterne-Alpenchalet im XXL-Format. Das Interieur: Internationaler Schick. Das Konzept stammt aus Fernost. Erprobt in Singapur, Oman, den Malediven, Marokko. Nun also auch in Andermatt. Die Spezialität: asiatische Delikatessen vom Sternekoch. Und das mitten in der Zentralschweiz. Sonderlich authentisch wirkt das nicht gerade.
Neu-Andermatt ist sein Baby: Samih Sawiris, ägyptischer Milliardär. Mit Massentourismus am Roten Meer hat er sein Geld gemacht. Die Schweiz: sein zweites Standbein. Das Gelände hat er zum Spottpreis gekauft, ein paar hundert Millionen bereits investiert. Und doch bleibt es für ihn ein bescheidenes Projekt. "Wir werden, wenn das alles gebaut ist, immer noch ganz klein sein, das ist nichts, im Vergleich zu den anderen Destinationen. Die haben 1.500 Einwohner hier, wenn sie danach 2.500 oder 3.000 Einwohner sind, ist das immer noch nichts. Wir haben ja in La Gouna am Roten Meer bereits 20.000 Einwohner. Und das ist auch nicht so groß."
Klar, dass die paar Gäste mehr auch größere Pisten wünschen. Skilegende Bernhard Russi auf PR-Tour. Er soll internationalen Journalisten die Pläne seines Sponsors Sawiris schmackhaft machen. Der will zwei Skigebiete fusionieren, 14 neue Lifte, etliche Schneekanonen. Für jeden Geschmack soll was dabei sein. "Was wir hier wirklich brauchen, wir brauchen sonnige Skihänge, einfache Pisten, Pisten für Familien. Wir brauchen das Skierlebnis in der Safari-Art-und Weise." Mit Safari allerdings hat das aus Sicht von Naturschützern herzlich wenig zu tun. Das neue Resort für Superreiche wird Unmengen an Wasser und Strom verschlingen, fürchtet Pia Tresch von Pro Natura. Und das in Zeiten von Klimawandel und Gletscherschmelze. "Wenn man in Andermatt selber ist, weiß man, es ist ein kleines Bergdorf, das verträgt das einfach nicht, es ist zu groß, man erschließt neue Geländekammern, das ist gigantisch und die Natur wird sich rächen."
Bauboom im Bergdorf. Ein kurioses Kontrastprogramm mit Nebenwirkungen. Besonders übel hat es dieses Altenheim erwischt. 22 Bewohner, die meisten über 80. Einst in idyllischer Lage mit Traumblick. Das ist nun vorbei. Der Heimleiter will so bald wie möglich raus aus dem Gebäude. "Das war ein fantastischer Blick. Da haben wir einerseits da in den Süden Richtung Gemsstock, da hinten ist übrigens die Kirche, die sehen sie auch nicht mehr. Im Osten hatten wir auch die Berge gehabt, die sind auch weg, da im Westen, sehen sie selbst, da sind jetzt Häuser und vom Norden reden wir gar nicht." Trotzdem haben zu Beginn mehr als 90 Prozent im Dorf für das Projekt gestimmt. Seither steigen die Immobilienpreise. Geschäftsleute investieren. Junge Leute ziehen her statt weg. Dennoch: Die Meinungen bleiben geteilt. "Für uns ist das sehr gut, wir können liefern, mehr Arbeit, auch für die Gegend nur ein positives Echo", sagt ein Mann. "Ist zu groß, ein wenig zu groß, sonst ist es gut. Aber ich finde es zu groß", meint eine Frau. "Wird es funktionieren?" "Ja, man lebt in der Hoffnung."
Gegenüber Samih Sawiris aber wagt kaum einer im Dorf Zweifel zu äußern. Er hat den Status eines Popstars, ja des Erlösers. Kritik an seinem Resort ärgert ihn. "Warum soll Andermatt plötzlich sterben, die Armee ist weggegangen, es gibt weniger und weniger Arbeitsplätze, ohne dieses Projekt wären in 10, 20 Jahren alle alt, keine jungen Leute, die hier bleiben, weil sie keine Arbeit haben, plötzlich ist das ein Altersheim und kein Dorf mehr. Ist das fair?" Dorfarzt Schulthess widerspricht da heftig. Andermatt habe immer schon gut vom Tourismus gelebt. Auch ohne Sawiris und seine hässlichen Protzbauten, wie er sagt. "Es war ein Ort für normale Touristen mit normalem Portemonnaie, für Schule, für Gruppen, für diese Freerider aus dem Norden von Europa, die kommen und sich die Knochen brechen. Es hat einen gewissen Charme gehabt und der ist natürlich jetzt zerstört worden durch das überdimensionierte Resort von Herrn Sawiris." Mit Neu-Andermatt geht das Wettrüsten in den Alpen in die nächste Runde. Immer größer, schöner, teurer. Verdrängungswettbewerb auf hohem Niveau. Und mit Konzepten, von denen keiner weiß, ob sie noch zeitgemäß sind, ob sie je aufgehen.
Stand: 15.04.2014 10:46 Uhr
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