So., 09.02.14 | 19:20 Uhr
Das Erste
USA: Das Dorf bin ich
Sogar eine Bibliothek gibt es in Monowi, einem Dorf im äußersten Norden Nebraskas. Viele Bücher, aber nur eine Leserin. Elsie Eiler ist Bürgermeisterin, Bibliothekarin und Gastwirtin in einer Person, der einzigen nämlich, die hier noch wohnt. Sie ist über die Jahre vielleicht ein bisschen rau geworden, aber einsam ist sie nicht. Schließlich kommen Truckfahrer vorbei, essen und trinken in ihrer Kneipe. Das Dörfchen Monowi erzählt von der Landflucht in den USA, von der Verödung des einst so mühsam besiedelten Landes. Und von der Kunst, an jedem Ort der Welt ein glückliches Leben zu führen.
Tina Hassel, ARD Washington
Willkommen in den großen Weiten, willkommen in Nebraska. Hier begegnet man Trucks und Rindern - ursprünglicher kann Amerika kaum sein. Stundenlang waren wir unterwegs und beinah an unserem Ziel vorbeigefahren. „Monowi“ ist nicht 1 Meile entfernt, sondern hat nur noch eine Bewohnerin. Die Zeit scheint hier irgendwie stehen geblieben. Hier hat sie die Hosen an: Elsie Eiler. Rüstige 80, Inhaberin der einzigen Tavern. Bei Elsie ist immer etwas los. Und ganz nebenbei ist sie auch Bürgermeisterin der Einseelengemeinde. "Wer schlechte Laune hat oder meckert, zahlt 10 Dollar mehr", steht an dem Plakat. Elsie hat Humor und klare Vorgaben: "Elsie sagt wo es lang geht, sie ist hier das Gesetz", sagt Twila. "Aber sie muss nicht streng werden, jeder respektiert und mag sie. Uns allen ist klar, leg dich besser nicht mit ihr an".
Früher hatte sich Elsie Kneipe und Bürgermeisteramt mit ihrem Mann geteilt. Mit Rudy, ihrer großen Liebe. Seit seinem Tod schmeißt sie alles allein. Doch einsam ist Elsie nicht. Wie im Taubenschlag kommen und gehen Freunde. Man kennt sich seit Kindertagen. Auch Gail, ein Farmer aus der Umgebung, ist seit Jahrzehnten dabei. "Das bin ich, mit 8. Und Gail ist der kleine da im Wagen". Auch wir sind schnell aufgenommen, hören Geschichten aus der Blütezeit, als Monowi noch 150 Einwohner hatte. Stolz zeigt Elsie die feschen Jungs aus ihrer Stufe. Damals leistete sich der Ort sogar ein eigenes Basketball Team: die Lynch Eagles. Heute ist Elsie allein im Dorf, wenn die Kneipe schließt und die Freunde gegangen sind. Einen Hund hat sie nicht, auch kein Gewehr. Das brauche sie nicht, sie könne allein auf sich aufpassen. "Ich habe keine Angst. Hatte ich nie. Ich bin 80. Wenn mir jemand eine Schreck einjagen will, dann sollte er sich beeilen. …"
Und dann geht`s los zur Stadtführung. Elsie zeigt mir „Monowi downtown“ , oder besser das, was davon übrig geblieben ist. Seitdem die Eisenbahn stillgelegt wurde, ging es auch mit Monowi bergab, erzählt sie. Die Jungen sind in die Stadt gezogen, einer nach dem anderen. Nur Elsie nicht. Sie ist verantwortlich dafür, dass alles funktioniert. Wenn die Bürgermeisterin den Stromverbrauch des Dorfs kontrolliert, erstellt Elsie im Grunde ihre eigene Rechung. Steuern zahlt sie an sich selbst – alles bleibt irgendwie in der Familie. Elsie hat sogar das Recht jemanden ins Gefängnis zu sperren, auch das darf sie als Bürgermeisterin. Gemacht hat sie das aber schon lange nicht mehr. Nicht nur, weil der Knast nicht mehr wirklich ausbruchssicher ist. "Ich darf hier jeden einlochen, habe ich früher auch mal getan. Aber dann müsste ich für den Kerl ja auch kochen. Da schimpfe ich lieber und schick ihn heim".
Rush hour in Monowi. Dynamisch parken Bud und Bill Spelts ihren Pick up. Nachmittags ist Hochbetrieb in Elsies Kneipe. Von wegen nichts ist los, in small town America… Auch Ted Vesley schaut vorbei. Der Schulbusfahrer kommt nicht auf ein Bier, sondern wegen der Bücher. Richtig gehört: Mitten im Nichts, steht Elsies eigentlicher Stolz: die Bibliothek ihres verstorbenen Mannes. Über 5000 Titel, die einzige private Sammlung im Umkreis von hunderten Kilometern. Gut sortiert, darunter viele Klassiker. Wo es Bücher gibt und gelesen wird, ist noch Platz für Zukunft, davon ist Elsie überzeugt.
Deshalb kämpfen sie auch um ihre Zwergenschule. Hier haben Elsie und ihre Freunde lesen und schreiben gelernt. Heute sind die Klassen noch kleiner als damals. Sollte die Schule geschlossen werden, müssten sie stundenlang in die nächste Stadt fahren. "Wir haben noch 76 Schüler", sagt die Lehrerin Libby Kendrick. "Wir müssen irgendwie wieder auf 100 kommen, um weiter zu existieren. Die in der Schulbehörde denken, groß ist gut. Aber wir hier sind überzeugt, je kleiner je besser".
Nur nicht bei den Distanzen. Weil der nächste Supermarkt kilometerweit entfernt ist, holt Elsie ihre Eier auf der Farm von Jugendfreund Gail - dem kleinen Blondschopf auf dem Foto aus Kindertagen. In Monowi hat man Zeit, kein Geschäft, bei dem nicht vorher ein wenig geplaudert wird. Das Leben in der Einsamkeit ist durchaus gesellig. Elsie zieht es deshalb nach jedem Ausflug in die Stadt schnell wieder zurück ins Dorf. Wo sonst wird man schließlich mit 80 noch galant zum Ausflug auf den Traktor geladen. Spaß muss sein, nur der Hofhund schaut verdutzt, wenn Gail und Elsie zu ihrer Spritztour aufbrechen. Auch die Dorfkirche von Monowi steht schon lange leer. Elsie hat sie uns dennoch zeigen wollen. Erstmals spüren wir, dass die toughe Bürgermeisterin auch sentimental sein kann. "Hier war die Totenmesse für meinen Bruder und meinen Vater. Es ist schon traurig, wie das jetzt hier aussieht. Wer kann, der geht. Aber so ist das halt in diesen kleinen Städten." Dem Blues gibt sich Elsie nicht lange hin. Abends wird Karten gespielt, die Schankgenehmigung erteilt sie sich selbst. Hier bist du nie allein, gibt sie uns mit auf den Weg. Und lädt uns ein, wieder zu kommen. Solange es sie, die Farmer und Monowi noch gibt.
Stand: 15.04.2014 10:46 Uhr
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