So., 09.02.14 | 19:20 Uhr
Das Erste
Südafrika: Fußball statt Ballern
Nachts wird es gefährlich in den Townships um Kapstadt. Besonders freitags. Dann ziehen die Gangs los, prügeln, rauben oder vergewaltigen sogar. Doch eine wachsende Gruppe von Jugendlichen hat freitags inzwischen was Besseres vor: Fußball! Die Idee hatte ‚Mister Flo‘, Florian Zech vom Chiemsee, der 2006 hier Zivildienst geleistet hat. Inzwischen hat der von ihm gegründete "Amandla-Fußballclub" mehrere Teams, Mädchen und Jungs, und feste Trainer. Die holen die Jugendlichen nachts von der Straße und beraten sie auch in Lebensfragen. Wer hier mitkickt, entzieht sich nicht nur dem Sog der Kriminalität, sondern schließt auch eher die Schule ab, findet eher einen Job.
Ulli Neuhoff, ARD Johannesburg
Wenn es dunkel wird, wird es gefährlich in Khayelitsha. Deshalb spielen sie Fußball, Freitagnachts, wenn es am schlimmsten ist. Khaylitsha steht für traurige Rekorde. Kaum irgendwo in der Welt wird öfter vergewaltigt oder gemordet als hier. "Wir haben ein Problem hier mit Gangstern", meint Bota Maras der Ex-Gangster. "Ein riesiges sogar. Schon die kleinen Kinder im Alter von neun ziehen nachts in Gruppen zu 50 durch die Gegend. Also ja, gefährlich ist es hier."
Im Knast saß Bota ein paar Mal. Als sein bester Freund nach einem Schusswechsel mit anderen Gangstern, tot am Boden liegen blieb, hörte er auf. Jetzt holt Bota die Kinder von der Straße. Streetworker in Sachen Fußball. Direkt zwischen den Wellblechhütten, wo sie jeden Freitag von 9 bis 3 Uhr morgens spielen. Die Gangster-Liga. Das Konzept von "Amandla“ ist simpel: Wer Fußball spielt, kann in dieser Zeit nicht prügeln und irgendwo einbrechen. Und er hatte die Idee dazu. Ein Deutscher vom Chiemsee. Auch nach vier Jahren noch überrascht es Bota und Mr. Flo - wie sie den Deutschen hier nennen - wie gut das funktioniert. "Es ist immer ein bisschen Glück dabei natürlich auch, aber ich glaube was uns stark macht ist, dass wir wirklich aus der Gemeinde heraus gewachsen sind", sagt Florian Zech, Gründer des Amandla Football-Club. "Mit den Jugendlichen hier die Programme zusammen entwickelt haben, mit den Jugendlichen, die auch in Gangs waren. so wurde auch der Rückhalt in der Gemeinde sehr groß. Die haben gesehen, dass sich wirklich was verändert hat."
20 Prozent weniger Straftaten, der Erfolg ist messbar. Hier fing alles an. Als Florian Zech 2007 zum Zivildienst im größten Township von Kapstadt kam. In einem Kinderheim. Eineinhalb Jahre wollte er bleiben, dann zurück nach Deutschland. Er blieb für immer! Nach dem der erste Schock vorüber war. "Ich habe dann gesehen, dass die meisten Probleme mit den Jugendlichen gerade am Nachmittag angefangen haben. Wenn die aus der Schule heimkommen, nicht zu tun haben, gelangweilt sind. Die Jungs haben sich in Gangs formiert, wurden sehr schnell irgendwie kriminell. Waren das erste Mal im Gefängnis, vor Gericht. Und die Mädchen, um auch zu beeindrucken, wurden sehr früh sexuell aktiv, und entsprechend im Alter von 14, 15 das erste Mal schwanger."
Eine Karriere, die auch für Sisipho hätte typisch werden können. Einfach weil die Spirale aus Armut und Perspektivlosigkeit an Orten wie diesem ganz normal sind. Der Sport hat Sisipho von den Gangs abgehalten, mit einem Bein war die 13-jährige schon drin. Kurz bevor sie von der Schule flog holte Bota sie in die Fußballmannschaft. "Alles ist gut, meint sie jetzt. Ich wasche das Geschirr und die Wäsche und hole die Kinder vom Kindergarten ab. Und ich kümmere mich um sie, wenn meine Mutter nicht da ist." Das gehört zu den Aufgaben der Mädchen im Township. Donnerstag Nachmittag aber ist ihr heilig. Da hat Sisipho Fußballtraining. Auf demselben Platz auf dem die Gangster von Khayelitsha nachts trainieren, spielen am Nachmittag die jüngeren. Jungen, wie Mädchen.
Aber es geht um weit mehr als um Fußball. Es geht immer auch um Zivilcourage und Selbstachtung und ganz nebenbei spricht Bota, der Ex-Gangster mit ihnen über die ganz normalen Dinge und Probleme. Auch das ist wichtig, denn die meisten Kinder hier wachsen ohne einen Vater auf. "Wir sprechen über alles, besonders mit den jungen Mädchen. Jetzt gerade habe ich zum Beispiel über Menstruation gesprochen. Das ist manchmal schon komisch für einen Typen darüber zu reden. Aber wir kennen uns von Anfang an, deshalb sind sie entspannter mit mir darüber zu reden. Sie sehen in mir ihren Trainer und ihr Vorbild." Und er hilft ihnen an ihre eigene Zukunft zu glauben. „Sie wollen, dass wir Erfolg haben", sagt Sisipho Lokotho. "Und dass wir das werden, was wir vom Leben erwarten. Wenn du eine Krankenschwester werden möchtest, dann helfen sie uns, das zu erreichen.“
135 Fußball-Teams gibt es mittlerweile schon, verteilt über den Großraum Kapstadt. Das Projekt ist so erfolgreich, dass der Gründer Florian Zech es nur noch managt und Sponsoren wirbt. In den Townships organisieren sich die Team-Leiter selbst. Verkehrssprache hier: Xhosa. "Ich verstehe schon ein bisschen was. Ich hab’s auch wieder ein wenig verlernt, aber im Grundsatz kann ich folgen, von der Zeit her, die ich hier gelebt habe, und ich bin ja auch der Sprache ständig ausgesetzt. Letztendlich diskutieren sie den Alltag, was sind so die Beschwerden, bei den Jugendlichen, dem Teil der Kapitäne hier, aber dann werden auch ganz konkret Probleme diskutiert." Fußball bringt sie zusammen. Letztlich aber sind es die Trainer, die sie bei der Stange halten. Nur weil sie aus dem Township stammen akzeptieren die Jugendlichen sie. Und auch nur deshalb wissen sie, wer gerade droht Gangmitglied zu werden. Bota, der Ex-Gangster - ist jeden Tag unterwegs. "Nur wenn ihr als Team spielt, zusammen arbeitet, habet ihr eine Chance. Als Einzelkämpfer seid ihr nichts, immer wieder wiederholt Bota sein Credo." Übrigens sinkt so nicht nur die Kriminalitätsrate. Wer bei Amandla mitmacht schließt auch häufiger die Schule ab und bekommt deshalb auch häufiger einen Job.
Stand: 15.04.2014 10:46 Uhr
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