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Syrien: Schwierige Hilfe

Syrien: Schwierige Hilfe | Bild: SWR

Sie leben in einer tristen Baracke inmitten einer Trümmerlandschaft und warten. Warten auf Hilfe. Über Tage und Wochen. Denn sie haben alles verloren. Hilfe kam vor kurzem im Minivan. Zwei Mitarbeiter des syrischen Halbmonds bringen der jungen Familie in der Nähe von Homs ein Essenspaket. Sie sind sprachlos. Ein Moment unbeschreiblichen Glücks. Ob und wann die Helfer wieder kommen, wissen sie nicht.

Im syrischen Bürgerkrieg zerstörtes Haus.
Der Bürgerkrieg in Syrien hinterlässt schwere Zerstörungen. Die Menschen leiden Not. | Bild: SWR

Mehr als 190.000 Tote, gut jeder zweite obdachlos. Die Ernte ein Fehlschlag, die Wasserversorgung zusammengebrochen. Fast elf Millionen Menschen sind im Bürgerkriegsland Syrien auf Hilfe angewiesen. Lama Fakih, Human Rights Watch Beiruth berichtet: "Das Gesundheitssystem liegt in Trümmern. Wenn jemand krank wird, hat das verheerende Folgen für die ganze Gemeinschaft. Wir beobachten, dass sich in Syrien Krankheiten wieder rasant ausbreiten, die längst ausgerottet schienen, etwa Polio."

Private Hilfe ist auf dem Weg. Dutzende Lastwagen mit Getreide und Medikamenten vor dem Grenzübergang bei Azaz. Ein Nadelöhr zwischen der Türkei und Syrien. Und tatsächlich: Einige Fahrzeuge werden durchgewunken. Bilder vom Donnerstag, Hilfe im kleinen Maßstab. Wie aber läuft es im Großen?

Von hier werden Tonnen Material und Güter losgeschickt. Eines der größten Warenlager des Internationalen Roten Kreuzes in Genf. Medikamente, medizinische Hilfsmittel, Prothesen. Die meisten für Syrien. Die humanitäre Hilfe läuft also auf Hochtouren. Aber reicht das? Sitara Jabeen, Internationales Rotes Kreuz sagt: "Der Krieg in Syrien ist so massiv, dass wir ungeheure Mengen an Hilfsgütern brauchen. Jede Lieferung ist wertvoll. Aber die Not ist viel größer als das, was wir gerade leisten können."

Die Rebellenhochburg Aleppo. Umzingelt von Feinden. Täglich sterben 100 Menschen unter dem Dauerbombardement aus der Luft. Wer nicht fliehen kann, muss ums Überleben kämpfen. Über Skype erreichen wir zwei Anwohner. Yosef Abobaker, Anwohner Aleppo ist verzweifelt: "Wir brauchen Lebensmittel. Es gibt nicht genug zu Essen. Keinen Strom. Das größte Problem aber ist, dass die Krankenhäuser die Patienten nicht mehr versorgen können."

Yakut El Morgan berichtet: "Viele Familien sind auf Hilfslieferungen angewiesen. Die meisten kommen von Wohlfahrtsorganisationen aus der Türkei mit Lastwagen. Aber die Fahrzeuge werden vom Regime beschossen."

Anderswo sind Menschen von der Außenwelt völlig abgeriegelt. 4,5 Millionen Syrer müssen ohne jede Hilfe auskommen. Sie leben von Gras, Kräutern, Tierkadavern. Hunger als Waffe. Sitara Jabeen, Internationales Rotes Kreuz erläutert: "Einige Gegenden werden von uns schon seit Jahren nicht erreicht. Es gibt dort nichts zu essen, nichts zu kaufen, keine Märkte, keine Medikamente. Sie können sich vorstellen, was das für die Menschen heißt."

Ein LKW der Hilfsorganisation UNHCR in Syrien.
Ein LKW der Hilfsorganisation UNHCR in Syrien. | Bild: SWR

Vor wenigen Wochen dann ein Funken Hoffnung für die Eingeschlossenen. Erstmals kommen UN-Hilfstransporte über vier Grenzposten im Norden Syriens, die zuvor abgeriegelt waren. Der UN-Sicherheitsrat hat sie genehmigt. Gegen den Willen des syrischen Regimes. Das Flüchtlingshilfswerk in Genf hat seither sechs Transporte über die neue Route ins Land geschickt. Ein Durchbruch?

Ayman Y. Gharaibeh, Head of Unit Syria, Geneva sagt: "Wir begrüßen die Resolution des Sicherheitsrats. Das verbessert den Zugang zu einigen Regionen, die wir vorher nicht erreicht haben. Aber im Kontext von mehr als zehn Millionen Menschen in Not ist das nicht mehr als ein paar Tropfen im Ozean."

Denn jenseits der Grenze bleiben die Hilfstransporte ein Himmelfahrtskommando. Die UN-Organisation Ocha koordiniert sie. Telefonkonferenz mit einer Mitarbeiterin in Damaskus. Für jede Lieferung brauchen sie Sicherheitsgarantien der Kriegsparteien. Doch die Verhandlungen sind denkbar zäh. Max Hadorn, Ocha fordert: "Jeder sollte Zugang zu medizinischer Hilfe haben. So ist es im humanitären Recht geregelt. Wenn wir aber Medikamente  über die Frontlinien bringen wollen, wird es in den allermeisten Fällen abgelehnt. Das ist ein echtes Problem."

Er wird gefragt, wie er sich das erklärt. "Ich weiß es nicht. Wir bekommen keine Erklärung. Aber man kann sie sich denken. Wenn sie einen verwundeten Kämpfer behandeln, könnte er danach wieder kämpfen." Und seit die Terrorganisation IS im Norden Syriens auf dem Vormarsch ist, verschlechtert sich die Lage weiter. Gespräche mit den Terroristen über humanitäre Hilfe enden oft in der Sackgasse. Max Hadorn, Ocha erzählt: "Das ist ein Problem. Wir versuchen natürlich mit ihnen zu sprechen, ihnen zu erklären, dass wir nach den Grundsätzen des humanitären Rechts arbeiten. Aber sie verstehen es nur, wenn sie es verstehen wollen. So lange es keine klare Entscheidung gibt, unsere Transporte zu respektieren, ist es sehr schwierig."

Lieferungen der Hilfsorganisationen für die Menschen in Syrien.
Lieferungen der Hilfsorganisationen für die Menschen in Syrien. | Bild: SWR

Vor allem für die Fahrer der Hilfsorganisationen. 58 UN-Mitarbeiter haben ihr Leben in Syrien schon verloren, um das anderer zu retten. Und doch wenden sich Regierungen und Öffentlichkeit zunehmend ab von der größten humanitären Katastrophe der Welt. Ayman Y. Gharaibeh sagt: "Wir können den Konflikt nur so lange ignorieren, bis er eines Tages noch sehr viel größer zurückkommt und wir alle darüber erschrecken. Noch ein oder zwei Jahre zuwarten wie bisher, kann sich die Welt nicht erlauben." Humanitäre Hilfe kann nicht die Lösung des Bürgerkriegs sein. Doch ohne sie würden noch sehr viel mehr Menschen in Syrien leiden und sterben.

Autor: Daniel Hechler, ARD Studio Genf.

Stand: 25.08.2014 12:17 Uhr

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