So., 24.08.14 | 19:20 Uhr
Das Erste
USA: Eine Kleinstadt in Aufruhr
Fast zwei Wochen lang, jeden Abend die gleichen Szenen. Der Protest gegen Polizeigewalt, die Solidarität mit dem erschossenen Michael Brown: lautstark, leidenschaftlich, weitgehend friedlich. Auch Elliot Wilson ist mit seiner Freundin Brooke schon den dritten Abend hier. Der angehende Lehrer ist in der Gegend aufgewachsen und hat die beiden Kinder bewusst mitgebracht. Elliot Wilson sagt: "Sie müssen das sehen und sollen mitbekommen, was hier abgeht. Denn wir demonstrieren hier auch für sie."
Brooke Miller meint: "Damit es ihnen mal anders geht, wenn sie dann 18 oder 17 sind." Der 18jährige Michael Brown hätte jeder hier sein können, so das Gefühl auf der Straße. Doch wie schon in den Nächten zuvor: wie aus dem Nichts wird aus einer lange friedlichen Demonstration plötzlich eine gefährliche Konfrontation. Die Polizei nimmt Randalierer fest. Elliot flüchtet mit seiner Familie nach Hause. Denn er will sie auf keinen Fall solchen Szenen aussetzen: das Städtchen Ferguson im tagelangen Ausnahmezustand.
In die Wut über den Tod von Michael Brown mischt sich Empörung über das martialische Auftreten der Polizei. Passanten erzählen: "Wir wollen hier doch nur friedlich demonstrieren. Und die Polizei rückt jedes Mal in voller Kampf-Montur an", und: "Das ist doch lächerlich, dass wir hier friedlich demonstrieren und die haben Sturmgewehre im Anschlag“, meinen sie.
Rauchgranaten, Fleck-Tarn, gepanzerte Fahrzeuge. Dass diese Bilder aussehen wie an einer Kriegsfront ist kein Zufall. Denn seit einigen Jahren erlaubt ein Gesetz dem US-Militär, ausgedientes Material kostenlos an Amerikas Lokalpolizei abzugeben. Doch was ursprünglich für Ausnahmesituationen wie den Kampf gegen hochgerüstete Drogenkartelle gedacht war, führt zu einer gefährlichen Militarisierung des Polizeialltags, kritisieren politische Beobachter.
Tim Lynch, CATO Institute, erläutert: "Der Auftrag des Militärs ist ein ganz anderer als der der Polizei. Wenn du in den Krieg ziehst, dann kämpfst du gegen Feinde, die du mit aller Macht zerstören willst. Aber unsere Polizei sollte Gewalt doch möglichst vermeiden."
Die Polizei argumentiert, sie müsse sich schützen können. In Amerika kann sich schließlich jeder Schusswaffen besorgen. Tim Lynch meint: “Aber mit dem ganzen Militärgerät kann sich auch eine Militär-Haltung in unsere zivile Polizei einschleichen. Und die Befürchtung ist, dass die Polizei dann anfängt, die Bürger als Gegner zu sehen.“
Dass Michael Brown wegen einer solchen Haltung sterben musste, dass Michael Brown einer solchen Haltung zum Opfer fiel, davon sind viele in Ferguson überzeugt. Das Vertrauen in die Behörden ist gering, man hilft sich gegenseitig. Essensspenden am Tatort – auch eine Form von nachbarschaftlichem Trost.
Diskriminiert werden im Alltag – fast jeder hier kann davon berichten. Und Eltern bereiten ihre Kinder schon früh darauf vor. Cori Bush erläutert: "Ich sage meinem 14jährigen Sohn immer, wenn er auf einen Polizisten trifft: halt den Kopf gerade, schau ihm offen in die Augen. Bloß kein Ärger. Immer gehorsam antworten. Und wenn er nix weiter will, dann geh' bloß in die andere Richtung."
Elliot Wilson ist zum ersten Mal zum Tatort gekommen. Die Schrecksekunde bei der Demo am Abend zuvor hat er mittlerweile verdaut. Dies hier zu sehen, fällt ihm schwerer. "Das ist hart, Mann. Da bekommt man es mit der Angst zu tun. Weil ich weiß, ich selbst könnte egal was tun, ich werde wegen meiner Hautfarbe vorverurteilt und könnte abgeknallt werden. Völlig ohne Grund!"
Elliot ist ein paar Autominuten von hier aufgewachsen. Ein einfaches, aber sehr gepflegtes Viertel, fast nur Schwarze leben hier. "Ich hab hier oft vor meinem Haus mit Freunden einfach abgehangen, und ein Polizist fährt vorbei und fragt, was wir denn so aushecken würden!"
Es ist diese Art von General-Verdacht – ob tatsächlicher oder nur empfundener – der die Gesellschaft spaltet. Doch was muss passieren, damit sich etwas ändert, vor allem im Verhältnis zu den Behörden? Elliot Wilson meint: "Wir müssen wählen gehen, nur so halten wir Rassisten aus wichtigen Ämtern. Und da reicht es nicht, einen Schwarzen ins Weiße Haus zu wählen. Wir müssen auf kommunaler Ebene für Wechsel stimmen, vom Bürgermeister bis zum Sheriff.“
Am Abend gehen die Demonstrationen weiter. Auch Elliot ist wieder gekommen. Und natürlich sind auch wieder Freundin Brooke und die Kinder dabei. Sie wollen demonstrieren, bis es Gerechtigkeit für Michael Brown gibt. Ohne die, keinen Frieden, skandiert die Menge. Und wieder rufen sie das bis spät in den Abend.
Elliot Wilson und Brooke Miller meinen: "Der Polizist, der geschossen hat, muss sich vor Gericht wegen Mordes verantworten", und: "Ja, und bis das geklärt ist, sollte er nicht frei rum laufen können, beurlaubt und das auch noch bei vollen Bezügen!" Ein Schöffengericht verhandelt nun, ob die Beweislage eine Anklage zulässt oder nicht. Die Entscheidung darüber könnte Wochen dauern. So lange bleibt Ferguson eine Stadt im Protest.
Autor: Ingo Zamperoni, ARD-Studio Washington.
Stand: 25.08.2014 12:17 Uhr
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