So., 24.08.14 | 19:20 Uhr
Das Erste
Ukraine: Die unwilligen Spezialkräfte
Wir sind auf dem Weg zur Front bei Gorlovka. Endlich haben wir die Genehmigung bekommen, an einem Checkpoint zu filmen – doch dort, wo wir gestern noch gut zwanzig Bewaffnete sahen ist alles verlassen. Ein Überfall? Nein. Die Mitglieder des Freiwilligen-Bataillons haben den Checkpoint auf Befehl geräumt, sagen sie uns. Es gibt Gerüchte, sie sollen verlegt werden. Die Männer sind aktive oder schon pensionierte Mitglieder von Polizei und Spezialkräften.
Rejimbai Madeninow sagt: "Unsere Aufgabe ist es, eine Stadt zu sichern, nachdem die Armee sie befreit hat." Die Männer sammeln sich, der Befehlshaber des Bataillons wird erwartet. Viele der Freiwilligen sind nervös, nachdenklich, in sich gekehrt. Alle wissen, wie dramatisch die Lage im Donbass sich zuspitzt.
Der Kommandeur will nicht im Fernsehen erkannt werden: Er hat Verwandte und Freunde in Russland und will sie nicht gefährden. Ja, er habe den Befehl, sein Bataillon zu verlegen – Einzelheiten will er nicht nennen, wir dürfen nur aus der Entfernung filmen. Inzwischen sind im Stadion schon die Busse angekommen, mit denen sie heute noch abfahren sollen. Der Kommandeur erklärt: "Wir hatten eigentlich vorbereitet, die Stadt Gorlovka hier in der Nähe zu säubern. Wir wissen doch inzwischen, wo sich dort die Terroristen verstecken. Jetzt ist es eben eine andere Stadt."
Seine Männer sehen das weniger lakonisch: Sie sollen in den Süden von Donezk, in eine besonders gefährliche Kampfzone. Einige schreiben, dass sie den Dienst quittieren. Als Freiwillige können sie das. "Ich lasse mich doch nicht zu Hackfleisch machen", raunt einer uns zu.
Der Sanitätsoffizier steht bei seinem museumsreifen Amphibien-Jeep. Wsevolot sagt: "Wir haben wenige Rettungsfahrzeuge, darum haben mir meine Freunde dieses Auto gekauft." Er wird gefragt, ob er Arzt ist. "Ja, ich bin Professor. Aber jetzt bin hier, als Freiwilliger." Er hat schon im Februar in einer Kirche am Maidan Verletzte operiert. "Natürlich ist mir mulmig bei diesem neuen Einsatzort, aber sie haben es entschieden und wir gehorchen." Tote hatte ihr Bataillon bisher keine, erzählt Wsevelot, aber Verletzte. Ihre Checkpoints wurden immer wieder nachts beschossen. Wir sehen vier weitere Männer, die ihren Dienst quittieren wollen – es ist ihnen peinlich.
Hier versorgt Wsevelot die leicht Verletzten, macht kleine Operationen. Schwer Verwundete versuchen sie in ein benachbartes Hospital zu bringen. 45 Normalerweise fehlt es dort an allem, besonders aber an Medikamenten. Doch jetzt, im Krieg, sind sie gut bestückt. Wsevelot erzählt: "Es sind die Freiwilligen: Die bringen uns Medikamente, die sie selbst gekauft haben. Diese Freiwilligen-Brigaden helfen auch den Krankenhäusern hier."
Die Männer packen. Inzwischen hat sich herum gesprochen: Sie sollen nach Ilowaisk, südlich von Donezk. Dort waren die Angriffe der ukrainischen Armee in den vergangenen Tagen besonders verlustreich, weil die Separatisten über viele Panzer und Artillerie verfügen. Ein Soldat sagt: "Da fährt so viel schweres Gerät rum, von den Russen - die wir 'mal unsere Brüder nannten." Ihr Bataillon hat überhaupt keine schwere Militärtechnik, trotzdem fürchten sie, an der Front arbeiten zu müssen.
Was nach solch erbitterten Gefechten übrig bleibt finden wir eine Stunde nördlich, in Slowjansk. Katia floh mit ihren Nachbarn nach den ersten Schüssen, ein Freund hat sie jetzt zurückgebracht. Von ihrem Haus ist nicht viel übriggeblieben. Die Schäden in diesem Vorort von Slowjansk sind so gewaltig, weil die Separatisten sich in den verlassenen Häusern verschanzt hatten. Katia zeigt den Keller, in dem sie vor der ukrainischen Artillerie Schutz suchten. Katia sagt: „Niemand hilft mir hier jetzt." "Die haben den Ofen zerstört", meint Sergej, "es braucht einen neuen. Aber niemand hat Geld."
Ein Fluchtweg der Separatisten. Wie denken sie über deren Herrschaft hier? Bei beiden hören wir Sympathien heraus. Sergej erzählt: "Die Separatisten, das waren vor allem unsere Jugendlichen. Die hatten keine Jobs, und kein Geld. Und so haben sie mitgemacht, weil irgendwer sie bezahlt hat." War auch Katias Sohn dabei? Sie weiß nicht, sagt sie, wo er gerade ist. "Hier habe ich mit ihm gelebt. Und das ist übrig geblieben."
Katia weiß, dass die ukrainische Artillerie nur darum ihr Haus angriff, weil sich hier Separatisten verschanzten. Trotzdem richtet sich ihr Zorn gegen Kiew. Die Regierung dort wird lange brauchen, im Donbass nicht nur Städte, sondern auch die Herzen zurück zu erobern.
Autor: Udo Lielischkies, ARD-Studio Moskau.
Stand: 25.08.2014 12:18 Uhr
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