So., 24.08.14 | 19:20 Uhr
Das Erste
Papua-Neuguinea: Hexenverfolgung
Dini Koral hat überlebt. Die Erinnerungen an diesen einen Tag - sie haben sich eingebrannt in ihr Gedächtnis. Es ist der Tag, an dem ihr Sohn im Krankenhaus stirbt. Er war HIV positiv. Dini Koral ist allein zu Hause, als plötzlich fünf junge Männer ihre Hütte betreten. Alle bewaffnet mit Macheten. Sie nennen sie eine Hexe, die den eigenen Sohn mit schwarzer Magie getötet habe. Dini Koral erzählt: "Sie haben mir die Kleider weggerissen. Ich war nackt. Dann haben sie die Messer über dem Feuer erhitzt und in meine Haut gebrannt. Sie haben mich eine Lügnerin genannt und immer wieder zugestochen, bis ich das Bewusstsein verloren habe."
Dini Koral möchte, dass wir die Narben sehen. Sehen, was die Männer ihr angetan haben. Sie haben überall zugestochen, erzählt sie, unter den Armen, in ihren Magen und in die Nieren. Sie musste ein Jahr lang im Krankenhaus behandelt werden.
Danach ist in ihr Dorf zurückgekehrt. Sie wusste nicht, wohin sonst. Ihr zweiter Sohn versucht nun sie zu beschützten. Denn die Täter leben ein paar Türen weiter. Unbehelligt. Und das Dorf schweigt. Dini Koral, sagt: "Jedes Mal, wenn jemand im Dorf stirbt habe ich Todesangst. Ich schlafe nicht und denke, dass sie jeden Augenblick wieder kommen könnten, um mich zu töten. Ich weiß, ich werde nie wieder sicher sein!"
Das Hochland von Papua Neuguinea. Der Glaube an schwarze Magie - hier ist er allgegenwärtig. Ein plötzlicher Tod, eine unerklärliche Erkrankung. Manchmal reicht das schon, um die Jagd auf eine angebliche Hexe zu eröffnen. Eine Frau will das nicht länger hinnehmen. Monica Paulus hat selbst erlebt, was es bedeutet, als Hexe abgestempelt zu werden. Jetzt reist sie durch die Provinz und versucht den Überlebenden zu helfen.
Monica Paulus, Menschenrechtsaktivistin erklärt: "Wenn wir uns die Fälle anschauen, die Opfer sind meistens Frauen. Und oft die, die es eh schon schwer haben, Witwen, alleinstehende Frauen, oder die, die sich von ihrem Mann getrennt haben und in ihr altes Dorf zurückkehren."
Fast jedes Dorf im Hochland ist der Tatort einer Hexenverfolgung. Auch diese Männer haben Blut an ihren Händen. Stundenlang haben sie eine Frau gefoltert. Sie beschimpft, einen Jungen im Dorf mit Süßkartoffeln vergiftet zu haben. Der Junge ist längst wieder gesund. Die Frau ist tot. Zwei Jahre ist das nun her, doch die Männer zeigen keinerlei Reue. Die Männer berichten: "Um sie zum Reden zu bringen, müssen wir doch was tun. Wir fesseln sie an einen Baum und zwingen sie dazu, ein Geständnis abzulegen. Wenn wir wissen, dass sie eine Hexe ist, müssen wir sie loswerden. Wir vertreiben sie oder töten sie."
Eine Autostunde entfernt liegt Kundiawa, die Provinzhauptstadt. Hexerei - auch hier ein Tabuthema. Wer nur darüber spricht, macht sich bereits verdächtigt. Jedes Jahr tötet der Aberglauben Hunderte Frauen. Die meisten Überlebenden haben Angst, die Fälle anzuzeigen. Und die Behörden ermittelt nur zögerlich. Wir treffen den Polizeichef der Provinz Simbu. Er erklärt uns, dass die Hexenjagd nicht das Problem sei. Im Gegenteil. Die verfolgten Frauen hätten doch selbst schuld. Michael Welch, Commander, Kundiawa Police Station, sagt: "Ich bin davon überzeugt, dass es Hexerei gibt. Aber vor Gericht können wir die Hexen nicht bringen. Wenn jemand verdächtigt wird, dann ist die Polizei machtlos. Uns fehlen einfach die Beweise. Das muss dann die Dorfgemeinschaft selbst regeln."
Es wäre einfach, die Hexenjagd als brutales Ritual zu verurteilen, dass sich in die Gegenwart gerettet hat. Doch Monika Paulus sagt, es stecke noch mehr dahinter. Papua Neuguinea wurde wie kaum ein anderes Entwicklungsland in die Neuzeit geschleudert. Ein Wandel auf der Überholspur. Das Land ist reich an Rohstoffen, doch bei der Bevölkerung kommt vom Boom kaum etwas an. Und gerade junge Männer betäuben ihr Ohnmachtsgefühl mit Alkohol, Drogen und mit Gewalt gegen Frauen.
Monica Paulus meint: "Es wird schlimmer. Die Männer begegnen den Frauen nicht mehr Respekt. Sie sehen sie nur noch als Objekt. Und schrecken deshalb nicht davor zurück, sie stundenlang zu misshandeln!” Monika Paulus will die Täter zur Rede stellen und das sinnlose Morden beenden.
Es ist eine Reise in die Vergangenheit. In das Dorf, in dem ihre Schwester Clara vor 2 Jahren misshandelt und beinahe getötet wurde. Clara konnte in die Stadt flüchten. Nur gemeinsam mit ihrer Schwester traut sie sich zurück an den Ort des Geschehens. Clara Kapia berichtet: "Die Dorfältesten standen etwas weiter weg. Aber sie wussten genau was passiert. Sie gaben Anweisungen an die jüngeren Männer. Und alle haben zugeschaut. Keiner war da, um mir zu helfen!”
Die Männer begrüßen die beiden Frauen lautstark, kriegerisch. Und doch mit Respekt.Trotzdem ist die Anspannung ist deutlich zu spüren - auf beiden Seiten. Denn die Peiniger von damals waren keine Fremden. Es waren Brüder, Cousins und Nachbarn. Monica Paulus erzählt: "Das sind die Menschen, denen wir vertrauen, die wir um Hilfe bitten, wenn wir sie brauchen. Doch wenn diese Männer meine Schwester angreifen, dann bin auch ich nicht sicher. Eigentlich will ich hier nicht sein, aber wenn ich nicht mit ihnen rede, werden sie dasselbe mit anderen Frauen im Dorf machen.”
Monika stellt sich den Männern entgegen. Ihre Botschaft ist unmissverständlich: Das Morden in den eigenen Reihen muss endlich aufhören. Man spürt, wie viel Mut es erfordert, die Traditionen in Frage zu stellen. Der Kampf der Monika Paulus hat gerade erst begonnen.
Autor: Norbert Lübbers, ARD-Studio Singapur.
Stand: 25.08.2014 12:18 Uhr
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