So., 29.03.15 | 19:20 Uhr
Das Erste
Eritrea: Spurensuche in einem verschlossenen Land
Mehr als 350.000 Eritreer haben nach UN-Informationen ihr Heimatland bislang verlassen, rund sieben Prozent der Bevölkerung. Willkürliche Verhaftungen sind an der Tagesordnung, die männliche Bevölkerung wird zu einem jahre- und oft sogar jahrzehntelangen Militärdienst gezwungen, auf der Rangliste der Pressefreiheit steht das Land weltweit auf dem allerletzten Platz – noch hinter Nordkorea.
ARD-Korrespondentin Sabine Bohland hat nach monatelangem Warten ein Journalisten-Visum erhalten und konnte sich auf schwierige Spurensuche im eritreischen Alltag begeben: Was ist das für ein Land – dieses sogenannte "Nordkorea Afrikas"?
Autorin: Sabine Bohland, ARD Nairobi
Asmara, die Hauptstadt Eritreas. Ich komme aus dem Staunen nicht heraus. Überall wunderschöne Gebäude aus der italienischen Kolonialzeit. Kinos, Moscheen, eine futuristische Tankstelle, ganz anders als andere afrikanische Städte. Am Wochenende gehen die Menschen nicht nur in die Kirche – sie fröhnen auch der sogenannten dritten Religion neben Islam und Christentum – dem Fahrradfahren. "Fahrradfahren ist wie atmen für mich", sagt ein Fahrradfahrer.
Das "Nordkorea Afrikas"?
Ich bin mit gemischten Gefühlen hergekommen, Journalisten sind nicht willkommen, ich habe Monate auf ein Visum gewartet. Roaming zu anderen Mobilfunknetzen gibt es nicht, ich bin nicht erreichbar. Total ungewohnt. Es ist sauber in Asmara, kaum Verkehr, das Klima ist angenehm – das ist also das sogenannte ‚Nordkorea’ Afrikas. Aus dem geschätzte 2.000 Menschen jeden Monat fliehen. Eritreas Präsident Isayas Afeworki war mal ein Hoffnungsträger – heute gilt er im Westen als einer der autoritärsten Staatschefs Afrikas. Ich werde im Außenministerium empfangen. Die internationale Gemeinschaft, vor allem die USA, kommen nicht gut weg bei dem Gespräch. Wir dürfen zwar drehen, aber als Interview dürfen wir die Unterhaltung nicht verwenden. Dass Eritrea mit Nordkorea verglichen wird, sorgt für Empörung. Warum fliehen so viele, frage ich. Dafür seien Europa und die USA verantwortlich, sie zögen die Menschen weg.
Schon einmal flohen viele Eritreer ins Ausland - während eines 30-jährigen blutigen Krieges gegen Äthiopien. Nach der Unabhängigkeit 1993 kamen einige zurück. Damals wurde auch das deutsch-eritreische Zentrum gegründet - für Rückkehrer aus Deutschland. Es gibt einen Kindergarten, der für alle offen ist. Robel Weldemichael ist vor 20 Jahren aus Deutschland zurückgekommen, um seine Heimat mit aufzubauen. Er würde sich wünschen, dass heute nicht so viele junge Leute das Land verlassen. "Wegflüchten ist keine Lösung. Ich orientiere mich mehr oder weniger an Deutschland. Die Deutschen haben auch nach dem 1. und 2. Weltkrieg ihr Land selbst aufgebaut. Ich kann viele Gründe vielleicht nachvollziehen. Wenn wir eine Veränderung sehen wollen, wer wird das für uns tun? Wir müssen unser Schicksal in die Hand nehmen und selbst unser Land aufbauen."
In der Sprachschule unterrichtet Alexander Siyum Deutsch. Seine Schüler sind junge Eritreer, die sich für Deutschland interessieren, wie sie mir vorsichtig sagen. Drei der jungen Frauen sind mit Eritreern verheiratet, die in Deutschland leben. Deshalb dürfen sie bald ausreisen. "Es ist ein sehr entwickeltes Land", sagt eine Studentin, "ich möchte mich dort weiterbilden und denke, ich kann dort besser leben als hier." Alexander Siyum ist in Wuppertal aufgewachsen. Seit 10 Jahren lebt er wieder in Eritrea, fühlt sich aber als Deutscher. "Für normale Eritreer ist das normal hier so zu leben. Für mich ist das nicht normal. Ich bin anders aufgewachsen, ich habe eine andere Mentalität, eine andere Denkweise, mehr demokratisch und einige Sachen muss man dulden."
Angst ist weitverbreitet
Zum Beispiel, dass es keine freie Presse gibt. Die Stadt ist zwar voll von Satellitenschüsseln, mit denen man internationale Sender uneingeschränkt empfangen kann - aber in Eritrea selbst gibt es nur eine Zeitung und einen staatlichen Sender. Das durchschnittliche Jahreseinkommen liegt bei etwa 600 Euro, weniger hat kaum jemand weltweit. In Asmara, der schönen Kulisse, herrscht extreme Armut. Überall auf der Straße versuchen Menschen, ein bisschen Geld nebenbei zu verdienen. Viele betteln. Ich versuche mit Passanten ins Gespräch zu kommen. Das ist fast unmöglich, sobald die Kamera in der Nähe ist. Nicht mal etwas Unverfängliches wollen die Menschen mir offen erzählen. Ich habe das Gefühl, dass alle Angst haben.
Wer Eritrea verstehen will, muss den Krieg verstehen, höre ich. Ich besuche den Panzerfriedhof am Rande der Hauptstadt, Schrott aus dem Unabhängigkeitskrieg gegen Äthiopien. Noch immer fühlt Eritrea sich von dem mächtigen Nachbarland bedroht. Das ist auch der Grund für den strengen Militärdienst, den jeder Eritreer nach der Schulzeit absolvieren muss, oft jahrzehntelang, praktisch ohne Einkommen. Deshalb werden fast alle eritreischen Flüchtlinge in Europa anerkannt. Aber nur deswegen geht keiner weg, sagen mir alle. Hinzu kommt nämlich die katastrophale wirtschaftliche Lage. In Eritrea selber wird kaum etwas produziert. Die Rohstoffe für die staatliche Brauerei werden importiert. Offiziell ist die Brauerei rund um die Uhr in Betrieb – trotz Wasser- und Stromknappheit. Mir fällt auf, dass hier hauptsächlich alte Männer arbeiten. Männer, die nach unseren Maßstäben längst das Pensionsalter erreicht haben. Ich frage den Brauerei-Manager, warum es hier keine jungen Leute gibt. "Die finden es hier nicht sonderlich attraktiv, weil unsere Gehälter so niedrig sind", erklärt Yohannes Habte, Geschäftsführer der Brauerei. "In der Mälzerei sind ein paar jüngere. Aber wir mögen die Älteren auch, sie sind besonders diszipliniert."
Entwicklung als Voraussetzung für Demokratie
Einen deutlich anderen Altersdurchschnitt sehe ich bei dem Hemdenproduzenten Dolce Vita, der einzigen privaten Fabrik in Eritrea. In dem italienisch geführten Betrieb arbeiten über 500 Menschen. Sie verdienen mehr als der Durchschnitt in Eritrea. Auch Pietro Zambaiti kennt das Problem der Flüchtlinge, immer wieder verschwinden Angestellte. Mit besseren Gehältern und Sozialleistungen will er versuchen, sie zu halten – auch wenn er verstehen kann, dass so viele gehen. "Zur Zeit ändert sich hier nichts. Aber ich bin sicher, dass sich etwas ändern kann. Das Land braucht Hilfe und Vertrauen. Die europäischen Regierungen sollten ein bisschen offener sein. Andere Fälle in der ganzen Welt haben gezeigt, dass nur durch Entwicklung auch Demokratie kommt. Das kann man nicht erzwingen."
Ich verlasse dieses schöne Land sehr nachdenklich. Das Leben in Eritrea wirkt friedlich und oft heiter, aber unter der heilen Oberfläche spüre und höre ich viel Verzweiflung, Angst und Resignation. Offen zugeben würde das keiner. Aber vermutlich haben auch während ich hier war, wieder Hunderte das Land verlassen.
Stand: 30.03.2015 14:55 Uhr
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