So., 08.02.15 | 19:20 Uhr
Das Erste
Irak: Paradiesische Sümpfe
Der Garten Eden liegt im Irak. Zumindest biblisch gesehen. Eine riesige Sumpflandschaft im Mündungsgebiet von Euphrat und Tigris. In der Nähe der Stadt Basra. Anfang der 90er Jahre ließ Saddam Hussein das Marschland trocken legen, als Rache für den schiitischen Aufstand gegen seine Diktatur. Die Lebensgrundlage der Bauern und Fischer war zerstört. Nach dem Sturz Saddams fingen die Anwohner an, die Landschaft zu renaturieren. Heute gibt es wieder Schilfsümpfe, Wasserbüffel, Fisch und eine bescheidene Landwirtschaft. Das Paradies kehrt langsam zurück. Eine Reportage von ARD-Korrespondent Thomas Aders, Studio Kairo.
Zuerst brühend heißer Kaffee und dann zuckersüßer Tee. Alles für die ‚Söhne des Löwen‘. Morgendliches Treffen des schiitischen Stammes der Beni Assad. Neuigkeiten werden ausgetauscht, Streitigkeiten beigelegt. Ort ihrer Zusammenkünfte: ein Mudhif, ein architektonisches Meisterwerk, fast unverändert seit den Anfängen der Zivilisation. Zu massiven Säulen gepresste Schilfstängel, Riedmatten, dazu geflochtene Gitter am Erdboden. Sie sorgen für ständige Luftzufuhr, selbst im extremen Sommer bleibt es angenehm kühl.
Zu Beginn der 90er Jahre ließ Diktator Saddam alle Mudhifs abreißen und die gesamte Kultur der Marscharaber zerstören. "Plötzlich war das Leben weg, alles kahl und leer", erzählt Scheich Fadel Duwaig Jaber vom Stamm der Beni Assad. "Nicht mal Wasser zum Trinken gab es. Leute haben sich wegen einem Kanister Wasser umgebracht! "
Bilder, die das ganze Werk der Vernichtung belegen. 15.000 Quadratkilometer Sümpfe wurden von Saddam in eine Wüste ohne jedes Leben verwandelt. Er wollte verhindern, dass nach dem zweiten Golfkrieg von 1991 die schiitischen Rebellen hier einen Unterschlupf finden konnten. Der irakische Wasserspezialist Azzam Alwash war 25 Jahre lang im Exil. Nach Saddams Sturz im Jahre 2003 kam er zurück in das Land seiner Väter. "Eine Brücke, die du aus deiner Jugend kennst, du erinnerst dich an diese Wälder von Schilf, das pure Leben, die Vögel. Und jetzt am gleichen Ort: nichts als Staub, geschändetes Land, gefallenes Ried, Tod! " Rund ein Drittel des Sumpfes hat Alwash Ende 2003 wieder fluten können, indem er Saddams Dämme einriss; zusammen mit dem Ökologen Jassem al-Assadie. "Durch das Wasser kannst du schon die ersten Setzlinge sehen, die Zipfel der wachsenden Schilfgräser, die Farbe Grün. Und voilá – zwei Monate später ist das Wasser wieder klar, die Gräser sind geschossen, das Leben ist zurück. Um die Natur zu heilen, musst du sie einfach nur in Ruhe lassen. "
Weit vor Sonnenaufgang: Wir fahren mit dem Boot hinaus in das Sumpfgebiet. Die Stadt Dschubaisch - früher einmal das Venedig des Nahen Ostens. Aus der Region flüchteten Mitte der 90er Jahre Hunderttausende vor dem brutalen Regime. Doch weil die Marschen nun beinahe wieder so fruchtbar sind wie ehedem, kommen immer mehr Menschen zurück. Schilf, wohin man schaut. 300 Vogelarten sind hier wieder heimisch, 2/3 aller Spezies, die im Irak vorkommen, Wasserbüffel, die von ihren Eigentümern kaum gegängelt werden und schilfmampfend ihre Kreise ziehen, dazu über 50 verschiedene Fischarten. Mehrere tausend Familien leben jetzt wieder vom Fisch, fast genauso wie in guten alten Zeiten.
Viele Fischer übernachten mehrere Tage auf einer der kleinen Inseln im Sumpf; solange, bis sie etwa hundert Kilo zusammenhaben und der Weg zum Markt sich lohnt. "Wir Marscharaber sind wie die Fische: ohne Wasser sind wir tot", sagt der Fischer Abu Haidar. "Wir beten zu Gott: mache, dass es nicht zwei Meter hoch ist, sondern drei." Brot backen mit einem improvisierten Bunsenbrenner aus brennendem Schilf. Die Marschen bieten den Naturburschen alles, was sie benötigen. Mittagspause – die Wissenschaftler fahren zurück ins Hauptquartier – und Abu Haidar nutzt die Zeit, seiner Frau zu helfen, die in der Nähe wie jeden Tag Schilfgras schneidet. Tierfutter, Baumaterial, Dämmstoffe, sogar Mehl kann man aus dem Schilf gewinnen.
Zurück in Dschubaisch, Salwa Hussein auf dem Weg zu ihrem bescheidenen Haus. Gatte Abu Haidar kümmert sich um die einzige Kuh, die ihm geblieben ist. Zur Hochzeit seines ältesten Sohnes hatte er eine geschlachtet und sieben als Brautgabe der Schwiegertochter geschenkt; es war fast alles, was die Familie besaß. Nun wird auf Sparflamme gekocht. Salwas Hauptgericht: Reis mit Bohnen.
Fahrt auf einem der Dämme, mit denen Diktator Saddam die Marschen in den 90er Jahren ausgetrocknet hatte. Insgesamt 520 Kilometer lang! Dafür requirierte er jeden Bagger, jeden LKW, jedes schwere Räumgerät seines Landes. Fast die gesamte Wirtschaftsleistung des Irak wurde zwei Jahre lang in den Süden umgeleitet, um den Euphrat und den Tigris umzuleiten. Dass sie mit einfachsten Mitteln dieses Megaprojekt zum Einsturz brachten, darüber sind die beiden Wissenschaftler bis heute ziemlich stolz. Ende Dezember 2003 gruben sie mit einem Bagger ein Loch in Saddams Staudamm. Und das Wasser strömte dahin zurück, wo es hingehörte.
Alle sind zurückgekehrt in die Boote, wir wollen ein letztes Mal die Faszination der Sümpfe erleben in den Stunden vor Sonnenuntergang. "In den Marschen beginnt mein Geist sofort, wieder gesund zu werden", sagt Azzam Alwash "Eine Stunde in dieser Wunderwelt, und ich habe meinen Frieden gefunden, was morgen kommt, ist unwichtig. Ich sehe die Vögel, phantastisch! Die Fischer, die jetzt wieder ein Auskommen haben, phantastisch! Und dann sehe ich - Müll und dann denke ich…"
Im zweiten Kapitel der Genesis heißt es: "Und Gott der Herr pflanzte einen Garten in Eden […] Und es ging aus von Eden ein Strom, den Garten zu bewässern, und teilte sich von da in vier Hauptarme. […] Der dritte Strom heißt Tigris […]. Der vierte […] Euphrat. " Wer weiß, vielleicht hat die Bibel genau diesen Flecken Erde gemeint: das wieder zu einem Paradies gewordene Marschland im Süden des Irak.
Stand: 09.02.2015 14:08 Uhr
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