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Türkei: Das System Erdogan

Türkei: Das System Erdogan | Bild: ARD

„Nirgendwo ist die Presse freier als in der Türkei“ – behauptet Präsident Erdogan. Die Fakten allerdings sprechen eine andere Sprache. Allein im Dezember letzten Jahres wurden zahlreiche Journalisten festgenommen, die kritisch über Korruption im Umfeld der Regierungspartei AKP berichtet hatten. Nach Ansicht vieler Beobachter driftet die Türkei immer weiter von Europa ab und zeigt Züge eines autoritären Systems. Der Präsident träumt von einem türkischen Großreich und zelebriert seine Macht im Stile eines Sultans. Eine Polemik von ARD-Korrespondent Michael Schramm, Studio Istanbul.

In der Türkei sagt man, Recep Tayyip Erdogan habe Politik im Blut: Auch wenn ihm die Stimme versagt, er kämpft um Gehör. 2014 war ein prächtiges Jahr für Erdogan: Er schaffte den Sprung vom Ministerpräsidenten zum direkt vom Volk gewählten Präsidenten. Gleich zwei Urnengänge konnte er für sich und seine nun zwölf Jahre regierende islamisch-konservative AKP entscheiden - trotz Korruptionsvorwürfen. Doch selbst Im Triumph bleibt sich der Kämpfer im Umgang mit politischen Gegnern treu: Drohen ist Trumpf. "Ich habe es mehrfach gesagt: Sie werden dafür bezahlen!"

Präsidentenpalast
Präsidentenpalast in Ankara | Bild: SWR

Und noch ein Highlight konnte sich Erdogan im vergangenen Jahr selbst bescheren: Den Empfang des Papstes in dem pünktlich zur Amtsübernahme fertiggestellten Präsidentenpalast in Ankara. Dessen Größe braucht keinen Vergleich mit Ceaușescus Monsterbau in Bukarest zu scheuen. Sechs mal so groß wie das Weiße Haus ist er - und nebenbei ein gleich mehrfacher Verstoß gegen geltendes Baurecht. Viele Architekten sehen in der Formensprache dieser XXL-Residenz den Versuch, alte osmanische Größe wieder erstehen zu lassen. In den, von jeder Bescheidenheit freien, Räumen macht Erdogan Staatsgäste gerne zu nicht ganz freiwilligen Teilnehmern einer Inszenierung aus 1001er Nacht - augenfälliger Teil einer historischen Mission, in der sich der "Sultan von Ankara" selbst sieht: Er will zum zweiten Polit-Super-Star des Landes aufsteigen, neben dem allgegenwärtigen Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk.

Und dafür will Erdogan die Türkei bis zum 100. Geburtstag der Republik im Jahre 2023 zu einer der zehn größten Volkswirtschaften der Welt machen. Darüber hinaus strebt er nach größerem außenpolitischem Gewicht für sein Land. Eröffnungen von Megaprojekten aller Art sind deshalb eine vielgeübte Lieblingsbeschäftigung des Virtuosen der Macht, ebenso wie eine rund um die Uhr-Präsenz in den Medien.

Recep Tayyip Erdogan
Recep Tayyip Erdogan | Bild: SWR

Doch, die politische Biografie Erdogans, sie wird nicht von allen als Erfolgsgeschichte angesehen. Mustafa Hos war jahrzehntelang prominenter Fernsehjournalist. Ganze Sender hat er aufgebaut - bis vor fünf Jahren. Dann wurde er von Erdogans Anhängern unter Druck gesetzt und warf hin. "Plötzlich wird man isoliert. Dann alleine gelassen. Es wird Druck ausgeübt. Man hat mich abgehört, mein Leben observiert. Ich konnte so einfach nicht mehr weiter arbeiten!" Pressionen auf die Presse, für Mustafa Hos sind sie in der Türkei Erdogans an der Tagesordnung. So sind derzeit 19 Journalisten in Gefängnissen. Und noch viel mehr haben Angst, haben Scheren im Kopf. Zudem wird das Internet zunehmend gegängelt. Präsident Erdogan hingegen ist nahezu jederzeit auf allen Fernseh-Kanälen zu sehen. Und doch: Der Staatschef selbst hält die Türkei in Sachen Pressefreiheit für die beste aller Welten. "Nirgends auf der Welt ist die Presse so frei wie in der Türkei. Das behaupte ich ganz kühn!"

Kühn findet das auch Metin Feyzioglu. Er ist Vorsitzender der türkischen Anwaltskammer. Im letzten Jahr kam es bei seiner Rede zu einem Eklat mit Erdogan, der wütend den Saal verließ. Metin Feyzioglu erlebt, wie in der Türkei nicht nur die Presse, sondern auch die Justiz unter Druck gesetzt wird. Tausende Staatsanwälte und Polizisten wurden allein im letzten Jahr zwangsversetzt – all das wollte Erdogan nicht hören. "Wichtige Institutionen werden zerstört. So hat zum Beispiel die Regierung ein Gesetz für den Geheimdienst durchgebracht, das diesen zu einer regelrechten Schnüffler-Organisation macht, die hinter jedem Bürger her sein kann. Und: Staatsanwälte haben dabei keinen Zutritt!"

Anhänger von  Recep Tayyip Erdogan
Anhänger von Recep Tayyip Erdogan | Bild: SWR

Dazu passend: Vor wenigen Wochen verhindert die islamisch-konservative AKP im Parlament, dass sich vier ehemalige Minister wegen Korruptionsvorwürfen vor dem Verfassungsgericht zu verantworten haben. "Aufklärungsarbeit leistende", ganzseitige Anzeigen in nahezu allen türkischen Zeitungen "begleiten" diesen Vorgang. Diese Woche: Türkische Behörden übernehmen über Nacht mal eben die Kontrolle über eine ganze Bank. Der Grund: Diese gehört der, bei Erdogan in Ungnade gefallenen, islamischen Gülen-Bewegung. "Von Rechts wegen stimmt bei dieser Sache hier rein gar nichts", meint ein Demonstrant.

Zurück zu Mustafa Hos: Seine Erfahrungen als Journalist mit Erdogan haben ihn veranlasst, ein Buch über diesen zu schreiben. Der Titel ist vielsagend: "Big Boss". "Tayyip Erdogan stört es keineswegs, wenn er als Sultan betitelt wird. Im Gegenteil: Er ist stolz darauf! Und da liegt auch das Problem. Eigentlich müsste ihn das stören, da wir ja nun einmal nicht in einem Sultanat leben!" Und nächste Woche wird es weiter gehen: Ein Gesetzespaket soll unter anderem das Abhören von Telefonen, Internetsperren und ein hartes Durchgreifen gegen Demonstranten vereinfachen – Politik der harten Hand, die Handschrift Erdogans.

Stand: 09.02.2015 14:17 Uhr

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