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Nicaragua: Der Kanalbau

Nicaraguasee
Der Nicaraguasee, als größter Süßwasservorrat Mittelamerikas, ist bedroht | Bild: SWR

Es soll der größte Kanal der Welt werden: der Nicaraguakanal. 278 km lang, 40 Milliarden Euro teuer. Doch langsam wächst der Widerstand gegen das Megaprojekt. Die ökologischen und sozialen Folgen sind enorm. Eine Reportage von Peter Sonnenberg, ARD Mexiko.

Octavio Ortega
Octavio Ortega | Bild: SWR

Wenn die Bewohner der Insel Ometepe im Nicaraguasee über den Kanal diskutieren, kochen die Emotionen hoch. Octavio Ortega leitet eine Initiative gegen das Mammutprojekt. Er fährt von Dorf zu Dorf und erklärt den Fischern und Bauern, was sie erwartet, sollten die Chinesen tatsächlich mit dem Bau beginnen. Sie alle müssten dann weg von hier, sagt er. Und die Reaktionen sind deutlich. "Wir haben keine Waffen, aber wir werden mit Knüppeln gegen die Regierung kämpfen, die unser Vaterland verkauft."

278 Kilometer soll der Kanal quer durch das hüglige Nicaragua führen. Er sei eine Gefahr für die Natur, sagen Kritiker, eine Bedrohung für die Menschen, die hier leben und vor allem für den Nicaraguasee, den größten Süßwasservorrat Mittelamerikas. Frachtschiffe, viermal so schwer wie die, die durch den Panamakanal fahren, sollen den 105 Kilometer breiten See durchqueren. Sie brauchen eine 500 Meter breite und 30 Meter tiefe Fahrrinne. Heute ist der See auf dieser Strecke nur zehn Meter tief.

Octavio hat Angst um das Süßwasser, denn der Kanal wird dem See Salzwasser aus dem Meer zuführen. "Wir möchten wissen, wie die Kontaminierung durch das Salzwasser vermieden werden soll. Das kann uns niemand erklären", sagt Octavio Ortega, Anführer der Protestbewegung. "Es wird hier am See keine Schleusen geben, nur an den Meeresküsten, eine an der Einfahrt und eine an der Ausfahrt des Kanals."

Dorfversammlung
Die Dorfbewohner sind empört über die geplante Umsiedlung | Bild: SWR

Im Dorf Colemaida am Ufer des Sees ist Kindergeburtstag. Fast alle sind gekommen. Die Familien sind arm, aber sie halten zusammen, denn sie leben seit vielen Generationen hier. "Chinesen raus" haben sie auf Schilder geschrieben. Sie sind empört über ein neues Gesetz. Es gibt den Investoren das Recht, in einer Schneise von je 10 Kilometern zu beiden Seiten des Kanals einen autonomen, chinesischen Wirtschaftsraum einzurichten. Octavio erklärt ihnen, dass sie deshalb umgesiedelt werden sollen. "Wir leben vom Fisch und haben Wasser im Überfluss. Woanders gibt es kaum Wasser, und wir müssten es kaufen, aber wir können es nicht bezahlen", klagt die Dorfbewohnerin Albalina Espinoza.

Telefonisch meldet sich Octavio im nächsten Dorf an und als wir ankommen ist die Versammlung schon im Gange. Auch ihre Häuser liegen in der Schneise, die Nicaraguas Regierung an die Chinesen verkauft hat. Für wie viel und wo das Geld hinfließt, sie wissen es nicht. Die Menschen hier leben auf dem fruchtbarsten Stück Land Nicaraguas, haben Felder und züchten Vieh. Rosa Mora verdient gut mit der Rinderzucht. Aber sie hatte schon Besuch, weiß, dass sie gegen ihren Willen enteignet und umgesiedelt werden soll. Ihr Haus steht auf einem Stück Land, das ihr gehört. Welche Entschädigung sie für ihren Besitz bekommen wird und wohin sie mit ihrer Familie soll, hat ihr keiner gesagt. "Eines Tages kamen Autos mit ich weiß nicht wie vielen Chinesen, Polizisten und Militärs und sagten ich solle sie hereinlassen, sie müssten Vermessungen machen. Aber ich bin doch nicht verrückt. Ich sage, wer diese Leute rein lässt, ist selber schuld."

Demonstration gegen den geplanten Kanal
Demonstration gegen den geplanten Kanal | Bild: SWR

Viele Nicaraguaner fühlen sich von ihrer Regierung übergangen, Zehntausende protestieren gegen den Kanal. Sie kritisieren die mangelnde Transparenz bei der Planung und befürchten große Schäden an der Natur. Sie glauben nicht, dass der Kanal ihnen neue Arbeitsplätze bringt und haben Angst vor der zukünftigen, dominierenden Rolle Chinas in Nicaragua. Gegen alle Kritik hat Präsident Ortega die Pläne in Rekordzeit zur Unterschrift gebracht, und preist Investor Wang Jing als Garanten für künftigen Reichtum. "Jetzt bekommen wir die Möglichkeit, die extreme Armut in unserem Land komplett auszurotten."

Diese Feier zum angeblichen Baubeginn war im Dezember letzten Jahres. Ausländischen Journalisten wurde im letzten Moment die Teilnahme verweigert. Aber es war nur eine Showveranstaltung. Der Bau hat bis heute nicht begonnen. Kein Wunder sagen Wissenschaftler, weil die Bedingungen für solch ein Projekt noch gar nicht geschaffen seien. "Es gibt noch keine technischen Untersuchungen, keine Umweltstudien, nichts über die Finanzierbarkeit oder die Gewinnaussichten, also nicht die geringsten Voraussetzungen, um mit dem Projekt zu beginnen", erklärt Monica López, Anwältin für Umweltrecht. "Außerdem bestehen extreme Zweifel an der Seriosität des Investors, der hier eine sehr unprofessionelle und intransparente Art an den Tag gelegt hat."

Der chinesische Investor gibt keine Interviews und gute Argumente, um Zweifel am Kanal zu beseitigen hat auch der Präsident der Kanalbehörde nicht. "Wenn man sich dieses enorme Projekt ansieht, kann man Zweifel haben, aber betrachten wir das ganze realistisch, muss man einfach sagen, dass alles gut werden wird und dass wir unseren Zeitplan einhalten werden", meint Manuel Coronel Kautz, Präsident der Kanalbehörde und stellvertretender Außenminister.

Kritiker würden systematisch eingeschüchtert, sagt Octavio Ortega. Morddrohungen habe er bekommen. Die Farbbeutel an seinem Fenster seien auch eine kleine Erinnerung von den Handlangern der Regierung, behauptet er. Die wolle sich die Taschen vollmachen, indem sie Nicaragua verkaufe. Alle anderen hätten nichts von dem Kanal. "Keiner hier hat die Fähigkeit an den Maschinen zu arbeiten, die zum Einsatz kommen werden. Oder glauben Sie, dass der Kanal mit Hacke und Schaufel gegraben wird? " Wenige Tage nach diesem Interview haben Unbekannte Octavio zusammengeschlagen und schwer verletzt. Seine Gegner sind mächtig. Es geht um viel Geld und um geopolitische Interessen Chinas in Lateinamerika. Aber nicht um Regenwald, Wasser oder seltene Tiere. Es gehe um das Wohl der Menschen, hat der Präsident gesagt, aber die Menschen, die im Weg sind, will er aus ihren Häusern jagen.

Autor: Peter Sonnenberg

Stand: 12.01.2015 11:37 Uhr

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