So., 01.03.15 | 19:20 Uhr
Das Erste
Russland: Trauermarsch für Boris Nemzow in Moskau
Viele Russen könne es immer noch nicht fassen. Todesschüsse auf offener Straße direkt am Kreml. Boris Nemzow, ein Demokrat der ersten Stunden ist tot. Einer, der nie ein Blatt vor den Mund nahm in seiner Kritik an Putin. Ein Hoffnungsträger. Aus ganz Russland pilgern die Menschen auf die Brücke am Kreml, dort wo der Putin Gegner hinterrücks erschossen wurde.
Der Tod von Boris Nemzow. Sie reden über nichts anderes, auch hier in diesem Lokal, ein Treff für Künstler und Schriftsteller, wie Lew Rubinstein. Der 68-jährige Lyriker kennt den ermordeten Boris Nemzow gut. Im Grunde war es ein Terrorakt, erklärt er, der die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzen sollte. "Es war ein beeindruckender Mord. Ein inszenierter Mord, wie im Theater. An einem heiligen Ort mitten in Moskau mit dem Kreml als Kulisse. Sehr plakativ. Ein starkes Bild."
Mord mit Tradition
So ein Mord wie an Nemzow hat Tradition, erklärt er mir. Er reiht sich ein in eine ganze Reihe politischer Morde. Immer wieder wurden kritische Stimmen von Menschenrechtsaktivisten und Journalisten, wie Anna Politkowskajamundtot gemacht. Aufgeklärt wurden die Verbrechen nie. "Es war geradezu ein Vorzeige-Mord direkt vor den Augen des Kremls. Politkovskaya wurde an Putins Geburtstag ermordet. Dieser neue Mord erinnert mich an eine Katze, die ihrem Besitzer eine erwürgte Maus vor die Füße legt."
Ein Auftragsmord, der zehntausende auf die Straße treibt. Sie sind gekommen, um am Trauermarsch teilzunehmen. "Helden sterben nie - diese Kugeln gelten uns allen" steht auf ihren Plakaten. Der Mord an dem prominenten Putin-Kritiker hat in Russland große Bestürzung ausgelöst. Nemzow starb für unsere Zukunft, mahnen die Demonstranten mit ihren Transparenten. "Er kämpfte für ein freies Russland". Und diesen Kampf setzen wir hier heute fort, erklärt Lew Rubinstein. Der Verlust für die Demokratie sei zwar groß, aber Nemzows Tod habe die Menschen wachgerüttelt. "Wir haben uns hier versammelt, um den Moskauern und der ganzen Welt zu erklären, dass wir ein Recht auf ein besseres Leben haben." Und damit spricht er vielen Moskowitern aus der Seele. Wir sind gekommen, nicht weil wir hungern, sondern weil uns die Luft zum atmen fehlt, erklären sie.
Einschüchterung?
Ich bin gekommen, um Boris Nemzow zu gedenken, der gestern von der Führung – davon bin ich überzeugt – umgebracht wurde", meint ein Demonstrant. "Wir sollen eingeschüchtert werden. Doch um zu zeigen, dass wir keine Angst haben und uns nicht einschüchtern lassen, bin ich hier."Eine Demonstrantin sagt: "Wir werden weiter voran schreiten und an Menschen, wie Boris Nemzow, denken und ihnen nacheifern, unsere eigene Meinung zu haben."
Boris Nemzow wollte eigentlich heute in Moskau gegen die Ukraine Politik der russischen Regierung demonstrieren. Dazu hatte er seit Wochen aufgerufen. Immer wieder hatte er Putins Politik als zerstörerisch gebrandmarkt und gehofft, dass der Funke der Revolution vom Maidan auf Moskau überspringe, erklärt Rubinstein. Wenige Stunden vor seinem Tod hatte er in einem Radiointerview angekündigt, einen Bericht veröffentlichen zu wollen, der die direkte Beteiligung Russlands am Krieg in der Ukraine beweise. Jetzt kann er sich nur noch von ihm verabschieden, wie viele seiner Wegbegleiter.
Birgit Virnich, ARD-Studio Moskau
Stand: 03.03.2015 09:32 Uhr
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