Mo., 29.06.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
Syrien/Irak/Libyen: Terror und kein Ende?
Libyen – östlich der Stadt Misrata, Ende Mai: An einem Checkpoint der Armee hat sich wieder ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt. Das Hauptquartier der Terroristen des Islamischen Staates (IS) befindet sich in der Nähe, nun wollen sie die Großstadt Misrata erobern. Wenige Tage später: Der erste Anschlag in Misrata, die IS-Milizen sind ihrem Ziel wieder ein Stück näher gekommen.
Zellen in Gebieten ohne funktionierende Staatsgewalt
Die Methode: Zuerst bildet der IS Zellen in Gebieten ohne funktionierende Staatsgewalt. Wenn seine Macht konsolidiert ist, breitet er sich aus – wie hier von Libyen über die Grenze nach Tunesien: Touristen werden getötet, um die verhasste Demokratie zu treffen. Die meisten der ausländischen IS-Kämpfer stammen aus Tunesien.
Vor einem Jahr ruft der selbsternannte Emir des IS, Abu Bakr al-Baghdadi, das Kalifat im Irak und in Syrien aus, seitdem verbreiten seine fanatisierten Gotteskrieger Horror und Tod. Schiiten sind laut IS-Propaganda Ketzer – ihre Moscheen werden pulverisiert. Genauso wie Grabmale – Symbole eines angeblich unislamischen Volksglaubens. Musikinstrumente sind teuflisch, Journalisten sind Feinde, Christen werden als ungläubige Kreuzritter bezeichnet.
Blutige Spur der Verwüstung
Der IS zerstört jedes Zeugnis anderer Religionen und Kulturen – und hinterlässt eine blutige Spur der Verwüstung. "Das Ziel des IS ist es nicht nur, einen streng Islamischen Staat im Nahen Osten zu errichten, sondern einen echten heiligen Krieg zu führen. Er will zurückkehren zur Expansion des Islam im Westen und speziell in Europa", erklärt Yaser Yusri al-Ezbawy vom Al Ahram Centre for Policial and Strategic Studies
Vorerst sucht der IS immer neue Verbündete. Wie ein Krebsgeschwür breitet er sich aus, etwa auf dem ägyptischen Sinai, wo lokale Terrorgruppen ihm die Treue geschworen haben. Überall ist es das gleiche Muster: ein Franchise-System des Terrors. Auf der arabischen Halbinsel – wie hier in Saudi-Arabien töten – bisher unabhängige Terrorgruppen nun unter dem Banner des Kalifats.
Boko Haram in Nigeria Teil des IS
Dass der Anspruch des unislamischen Staates letztendlich global ist, wird besonders in Schwarzafrika deutlich. Auch die Islamisten von Boko Haram in Nigeria sind nun Teil des Islamischen Staates. Weit mehr als 4.000 Mal haben die Kampfjets der US-geführten Antiterrorallianz den IS aus der Luft angegriffen. Selbstgefällig sehen einige darin noch immer eine Erfolgsstrategie. "Wir treffen die Logistik des IS, seine Kommunikation, seine Hauptquartiere und seine Fähigkeit, sich frei zu bewegen", erklärt Hussein al-Madschali, ehemaliger Innenminister Jordaniens.
Die Realität ist eine andere: Immer wieder können die radikalsunnitischen Milizen militärische Erfolge verbuchen, etwa die Eroberung der irakischen Provinzhauptstadt Ramadi. Die Ideologie mag krankhaft sein, die interne Organisationsstruktur hingegen ist höchst effektiv. Es gibt Spendensammler, Logistiker, Ein- und Verkäufer. Jede Ausgabe wird dokumentiert und beglaubigt. Die Bürokratie des Terrors sorgt dafür, dass jeder Dollar da ankommt, wo er gerade am meisten benötigt wird.
Barberei auf Hollywood-Niveau
Der IS ist die reichste Terrororganisation aller Zeiten. Seine Einnahmen kommen aus Spenden, Menschenhandel, Steuern, dem Verkauf von Altertümern und - von Öl. Im Norden der irakischen Hauptstadt Baghdad schmuggeln Tausende von Lkw das schwarze Gold in aller Herren Länder, noch immer kontrollieren die Terroristen hier mehr als die Hälfte der Ölquellen.
Mittlerweile benutzen die Fanatiker sogar Drohnen, auch dies eine Konsequenz ihres Reichtums: Der IS kann sich nun Propaganda-Experten leisten. Bei der perfiden Inszenierung von Massenhinrichtungen – wie von ägyptischen, christlichen Kopten – werden Kräne eingesetzt, Schienen und gleich mehrere Kameras. Und der Henker wendet sich in gutem Englisch an den Westen – Barberei auf Hollywood-Niveau.
"Der IS ist ohne Zweifel die größte und mächtigste extremistische Gruppierung. Nicht nur, was seine Finanzen angeht, sondern ausgerechnet wegen der barbarischen Art, seine Feinde zu bekämpfen. Dadurch lockt er immer mehr extremistische Jugendliche an", sagt Yaser Yusri al-Ezbawy.
Reine militärische Antwort des Westens schwerer Fehler
Ein Teufelskreis: Die Jugendlichen, die zum IS strömen, sind medienaffin und verbessern die Propaganda-Qualität, was wiederum immer mehr Jugendliche anzieht. Eine rein militärische Antwort des Westens auf den IS hat sich – ein Jahr nach seiner Gründung – als schwerer Fehler erwiesen.
Autor: Thomas Aders, ARD-Studio Kairo
Stand: 05.07.2019 11:44 Uhr
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