So., 14.04.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Syrien: Baghus – die ehemalige IS-Bastion
Spurensuche am letzten Schlachtfeld des IS. Einst ein Zeltlager. Heute ein Trümmerfeld, über dem der süßliche Geruch von Leichen liegt.
Krieg und Sieg aus nächster Nähe dokumentieren
Ahmed und Faraman wollen dokumentieren, was von der Terrormiliz übrig blieb. Der Preis des Sieges ist hoch. Als Fotografen des kurdisch-arabischen Bündnisses wollen sie der Welt das ganze Ausmaß der Zerstörung zeigen, aufrütteln, um Hilfe rufen. Auch weil sie andere Länder in der Pflicht sehen. Koranverse auf Französisch. Die Hinterlassenschaft ausländischer IS-Anhänger. Sie gelten als noch radikaler als ihre syrischen Mitstreiter. Und doch sind auch sie nur Menschen, wie Faramen meint.
"Ich trauere auch um sie. Selbst wenn sie IS-Anhänger waren. Sie wurden verführt durch falsche Versprechungen und Verheißungen", so Faraman, Fotograf.
Überall schlummern Minen und Sprengfallen. Die Überreste eines Sprengstoffgürtels. Jeder Schritt hier kann tödlich sein. Die beiden brechen auf zum Stadtzentrum. Die Zeit drängt. Vor Einbruch der Dunkelheit müssen sie zurück sein. Am Straßenrand eine Spur der Verwüstung. Ahmed und Faraman haben Krieg und Sieg aus nächster Nähe dokumentiert. Was aber kommt jetzt?
"Vor uns liegt noch ein weiter Weg. Zunächst einmal müssen wir die Mentalität verändern, die IS-Ideologie aus den Köpfen bekommen. Wir müssen Schläferzellen ausheben, Minen räumen, die Stadt wieder aufbauen", fordert Faraman, Fotograf.
Stille wird regelmäßig durch Explosionen unterbrochen
Eine Stadt, die nun in Ruinen liegt. Früher war sie ein idyllischer Ort im Grünen an der irakischen Grenze. Ein Schmugglernest. Viele Händler und Bauern. In den Trümmern überall Spuren der früheren Bewohner. Ihre Geschichten zu erzählen, ihr Leid, ihr Sterben, ist Faraman ein besonders Anliegen. Ahmed berührt die Tristesse des Ortes. Dem 20-Jährigen geht nicht aus dem Kopf, wie viele Zivilisten ihr Leben hier verloren haben. Immer wieder wird die Stille durch Explosionen und das Heulen von Sirenen unterbrochen. Rettungswagen und gepanzerte Fahrzeuge rasen durch Baghus.
"Das Risiko ist hoch, dass es hier noch IS-Kämpfer gibt. Wenn meine Kameraden die zahllosen Tunnel und Höhlen durchsuchen, tauchen sie manchmal aus dem Nichts auf", erzählt Ahmed, Fotograf.
Ärzte können oft nicht viel ausrichten
Die Klinik von Hasaka. Letzte Hoffnung für Schwerverletzte aus Baghus und Umgebung. Bis zu 50 Patienten werden jeden Tag hier eingeliefert. Die meisten Frauen und Kinder, die auf der anderen Seite der Front lebten, unter der Terrormiliz IS. Diese Familie erlitt schwere Verbrennungen, als ihr Zelt nach Granatbeschuss Feuer fing. Salima konnte dem Inferno mit ihren vier Kindern nur knapp entkommen. Die 35-Jährige kommt aus Russland, schloss sich dem IS an. In ihre Heimat will sie nicht zurück.
"Ich habe kein Problem damit, dass der IS nun Geschichte ist. Mir ist meine Religion vor allem wichtig. Ich muss beten können und Gott sei Dank gibt es hier ja Muslime", erzählt Salima, Patientin.
Oft können die Ärzte nicht viel ausrichten. Es gibt in der Klinik zu wenige Spezialisten, Geräte, Antibiotika, Schmerzmittel. Nur ein Glas Milchpulver für alle Kinder. Raman Oso improvisiert so gut er kann. Und doch muss er die Erwartungen seiner notleidenden Patienten ein ums andere Mal enttäuschen.
"Wir haben eine humanitäre Verpflichtung. Hier geht es nicht um Religion, Glauben, politische Parteien. Wir behandeln Menschen und wir müssen alles tun, um ihnen auch zu helfen", sagt Raman Oso, Leiter Notfallambulanz Nationales Krankenhaus Hasakar.
Sorge vor einer Rückkehr des IS
Die Gräuel des Krieges haben sie zusammengeschweißt. Auch das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. Für Freiheit, Demokratie, Gleichberechtigung von Mann und Frau. Mitten in der arabischen Welt. Auf diesem Dach wurde vor drei Wochen der Sieg über die Terrormiliz verkündet. Ein Tag, den sie wohl nie vergessen werden, der sie stolz macht, ohne übermütig zu werden.
"Die Kameradschaft ist das Wichtigste für uns. Wir sind wie Brüder füreinander. Was meinen Kameraden widerfährt, widerfährt auch mir. Wir halten uns gegenseitig den Rücken frei", so Faraman, Fotograf.
Was bleibt, ist die Sorge vor einer Rückkehr des IS, davor, allein gelassen zu werden nach ihrem großen Triumph. Und doch überwiegt Optimismus nach all dem, was hinter ihnen liegt.
Bericht: Daniel Hechler / ARD Studio Kairo
Stand: 23.04.2019 11:19 Uhr
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