Mo., 04.02.19 | 04:50 Uhr
Das Erste
Syrien: Investigativ-Reportage aus Nord-Syrien
ARD-Investigativ-Journalisten gelang es Zugang zu kurdischen Kämpfern der YPG in Nord-Syrien zu bekommen. Und sie kamen mit einer exklusiven Reportage für den Weltspiegel zurück.
Begegnung mit einem Mann, der als Inbegriff des Bösen gilt – als Terrorist des so genannten Islamischen Staates und als mutmaßlicher Kriegsverbrecher. "Mein Name ist Fared Saal, geboren am 18.2.89, geboren in Deutschland, ursprünglich bin ich aus Algerien, aber wie gesagt bin ich geboren und aufgewachsen in Deutschland." Es ist dieses Propagandavideo der IS-Terrormiliz, das Fared Saal 2014 in Deutschland und weltweit bekannt macht. Freudestrahlend posiert er vor toten syrischen Soldaten und auch Zivilisten. Menschenverachtung pur! In der Folge wird er zu einem der meistgesuchten deutschen IS-Anhänger, wird als einer der wenigen Deutschen auf die Sanktionslisten der Vereinten Nationen und der USA gesetzt.
"Heute bereue ich das, was ich getan habe"
Wir sind auf dem Weg zu Fared Saal im Norden Syriens. Seit einem Jahr ist er Im Gebiet der kurdischen YPG inhaftiert. Ein Team von NDR und SWR darf ihn interviewen. 2013 verließ der heute 29-jährige Deutschland, schloss sich wenig später der Terrormiliz IS an. Den genauen Ort des Treffens dürfen wir nicht nennen. Fared Saal will reden. Seit Ende 2016 habe er sich vom so genannten Islamischen Staat distanziert, sagt er. "Heute bereue ich das, was ich getan habe und dass ich ausgewandert bin. Doch es ist zu spät. Das was passiert ist, ist passiert. Ich kann es nicht ändern."
Ist diese späte Reue glaubwürdig? Niemand kann das wirklich sagen. Fakt ist: Fared Saal war einer der brutalsten Deutschen. Er lebte in verschiedenen Städten des selbst ernannten Kalifats und hatte unterschiedliche Aufgaben. "Sobald der so genannte Islamische Staat davon erfuhr, dass ich mehrere Sprachen spreche, so wurde ich berufen, um halt an der Grenze zu arbeiten. Mein Job war halt dann 2014 die Auswanderer zu empfangen oder ihnen alles zu arrangieren, dass der Schmuggler in der Türkei sie in Syrien einschmuggelt."
"Aber ich hätte auch nein sagen können."
Juli 2014. Die IS-Terroristen nehmen ein Gasfeld in der Nähe der syrischen Stadt Homs ein. In diesem Propagandavideo soll Fared Saal eine entscheidende Rolle spielen. "Man hat mich dann zu einem Video gebracht, dass ich dann halt ein Video mache, um erst einmal meinen Bekanntheitsgrad zu erhöhen, damit ich an der Grenze arbeiten kann." An diesem Tag werden nach Zahlen der Vereinten Nationen 90 Menschen, darunter syrische Soldaten aber auch zivile Mitarbeiter des Gasfeldes, getötet – und für die Propaganda gefilmt. Waren Sie an der Tötung dieser Menschen beteiligt? "Nein." Aber da lagen ja auch Zivilisten. "Von den Zivilisten war mir nicht bekannt." Dabei kniet Fared Saal in dem Video vor dem Leichenberg – freut sich über die Menschen, die zuvor hingerichtet wurden. Im Anschluss werden die Leichen geschändet. Ein Freund Fared Saals schlägt mit einer Sandale auf den leblosen Körper ein. Es ist die pure Menschenverachtung.
Wenn man das Video sieht, dann hat man den Eindruck, dass Ihnen das schon tatsächlich, also dass Sie sehr überzeugt sind von dem, was Sie da sagen. "Natürlich. Es war jetzt nie, dass ich sagen wollte, das, was wir getan haben in der Zeit des so genannten Islamischen Staat, dass das keine Überzeugung war. Es war auch kein Zwang. Es war nur ein System, was mir vorgegeben worden ist und ich es gemacht habe. Aber ich hätte auch nein sagen können." Wegen dieses Videos wird gegen Sie auch wegen Kriegsverbrechen ermittelt. Können Sie das nachvollziehen? "Definitiv!"
Jesiden als Opfer
Hier leben die Opfer des Islamischen Staates. Eines der bekanntesten und wohl brutalsten Kriegsverbrechen, begangen von Glaubensbrüdern des Deutschen, ist der Völkermord an den Jesiden im Irak. Kidji hat den Genozid im Jahr 2014 nur knapp überlebt. Unabhängig überprüfen lassen sich seine Aussagen nicht. "Die Frauen und Kinder wurden vom IS in diesen Teil gesperrt, hier bei der Treppe, genau in dieser Ecke", erzählt Kidji Amo Salo. "Das hier sind meine Brüder und Neffen. Hier ist mein Lieblingsbruder Kosan. Das ist meine ganze Familie. Alle tot. Es gibt insgesamt 11 Massengräber im Dorf.
Viele der Opfer vermuten wir darin. Bei einigen sind wir sicher, dass sie darin liegen. Bei einigen anderen wissen wir nicht wo sie sind. Wir wurden mit drei Autos hierhergebracht. Da die Autos nicht über diesen Hügel hier fahren können, mussten wir hier aussteigen. Die Gefangenen vor mir hockten bereits so da, mit dem Gesicht in Richtung Berg. Als wir ausstiegen drängten die Täter uns mit Schüssen in den Boden zu den anderen Opfern. Deshalb rannten wir schnell zu unseren Leuten. Genau hier. Ein IS-Mann filmte das alles mit einer Handykamera. Dann befahlen sie, dass wir uns auf den Boden legen müssten. So mussten wir liegen. Dann eröffneten sie wahllos das Feuer an dieser Stelle."
800 IS-Kämpfer in kurdischer Haft
Kidji überlebte durch viel Glück, weil die IS-Banden ihn für tot hielten. So konnte er fliehen. Das Leid und der Tod hunderter Menschen – für Angehörige des Islamischen Staates offenbar kein Problem. Sie lebten, wie hier in Rakka, ein "ganz normales" Leben. "Es gab einen Ort, da konnte man Billard spielen", sagt Fared Saal, "und im selben Moment konnte man das Internet nutzen, da gab es kalte Getränke, warme Getränke, sehr relaxed. Konnte man sich sehr gut entspannen, und dort waren die meisten Deutschen immer mit." In Rakka, da gab es ja auch sehr brutale Dinge wie… "Enthauptungen. Sagen wir mal so, nach jahrelangem Krieg gab es wenige Sache, die einen so erschreckt haben. Und speziell, wenn man dieses Gedankengut hat, sagt man, es ist das, was er verdiente."
Nun ist Fared Saal in Haft – nicht allein. Mindestens 60 deutsche IS-Anhänger und ihre Kinder sitzen ebenfalls in kurdischen Gefängnissen in Nordsyrien. Die Kurden fühlen sich mit dem Problem allein gelassen. "Bis heute haben wir etwa 800 IS-Kämpfer bei uns in Haft", sagt Omar Abdelkarim, Außenbeauftragter der Syrischen Kurden. "Dazu kommen 1.330 Kinder und mehr als 600 Frauen. Aus 49 verschiedenen Ländern. Darunter ist eine große Zahl bekannter Kriegsverbrecher, gegen die in den Heimatländern ein Haftbefehl vorliegt. Trotzdem übernimmt keiner die moralische und juristische Verantwortung."
Die französische Regierung hat in dieser Woche angekündigt insgesamt 130 der eigenen Staatsbürger zurück zu nehmen - Männer, Frauen und Kinder. Auch der mutmaßliche Kriegsverbrecher Fared Saal will nach Hause. Würden Sie gerne nach Deutschland zurückkehren? "Ich würde definitiv dahin zurückkehren. Wenn es nun Gefängnis sein muss, dann natürlich bevorzuge ich ein Gefängnis, wo man dann gewisse Rechte hat. Menschenrechte etc." Bislang nimmt Deutschland seine Staatsangehörigen nicht zurück. Das Auswärtige Amt teilt mit, in Syrien sei eine konsularische Betreuung faktisch nicht möglich.
Stand: 13.09.2019 02:31 Uhr
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