So., 02.02.25 | 18:30 Uhr
Das Erste
Syrien: Damaskus – Selbstverwaltung eines Stadtteils
Plötzlich waren auch die meisten städtischen Arbeiter und Beamten weg. Der von der Volkgruppe der Drusen dominierte Stadtteil Dscharmena hatte keine funktionierende Müllabfuhr mehr und auch niemanden, der sich dafür verantwortlich fühlte, seitdem das Regime Assads gefallen war. Da sprang das Stadtteil-Komitee mit 19 Experten ein. Seit zwei Monaten kümmern sie sich um die Geschicke der Nachbarschaft. Müllabfuhr, die staatliche Bäckerei, die subventioniertes Brot backt, sogar einen Sicherheitsdienst haben sie aufgebaut. Mit Billigung der neuen Machthaber, denn die haben gar nicht die Kapazitäten, sich um alles zu kümmern.
Ohne Freiwillige geht nichts mehr
Die Müllhaufen stinken. Mache lagern hier seit Anfang Dezember. Als das alte Regime plötzlich verschwand. Damit verschwand aber auch die öffentliche Verwaltung in vielen Teilen von Damaskus. Hier im Stadtteil Dscharamana halfen sie sich deshalb selbst. Rabie Monzer ist Teil des Komitees, das die öffentliche Ordnung – und eben auch die Müllabfuhr – aufrechterhält. 600 Tonnen Müll täglich produziert der Vorort. Traditionell ist die drusische Bevölkerungsgruppe hier sehr stark. In den Kriegsjahren sind aber auch Familien andere Volkgruppen hierhergezogen. "Nach dem Ende des Regimes können wir uns nur noch auf die Gemeinschaft, die jungen Freiwilligen und Spenden verlassen", sagt Rabie Monzer. "Mit dem wenigen Geld konzentrieren wir uns auf die wichtigsten Dinge und versuchen so effektiv wie möglich zu sein, damit wir bestmöglich für die Menschen hier arbeiten." Ohne die Müllabfuhr der Freiwilligen würden die Menschen im Müll versinken.

19 Ehrenamtliche aus der Gemeinde bilden jetzt das Herzstück der Selbstverwaltung. Rechtsanwälte, Ingenieure und Lehrer, die jeden Tag hier zusammenkommen, um das öffentliche Leben zu organisieren. Wenn es sein muss, solange, bis es wieder funktionierende staatliche Strukturen gibt. "Im Moment erwarten wir nicht viel von der Übergangsregierung", sagt Salem Almograbi vom Komitee. "Es ist ja eine vorläufige. Mit Geduld harren wir aus, bis es zu angekündigten 'Nationalen Dialog' kommt und eine neue Verfassung geschrieben wird. Damit würde ein neues, vereintes Syrien entsteht, Ein Syrien seiner Bürger. Erst dann können wir entscheiden, ob die Übergangsregierung gut gearbeitet hat. Alles andere wäre nicht fair. Denn noch hatten sie ja kaum Zeit etwas zu ändern."
Das Bürger-Komitee hilft wo es kann
Vieles funktionierte schon unter dem alten Regime nicht, aber ohne Strukturen stehen die Menschen hier noch länger Schlange. Das ist die Verkaufsklappe der staatlichen Bäckerei im Stadtviertel. Tausende versorgen sich hier mit Brot, den ganzen Tag bilden sich lange Schlangen. Ohne das Eingreifen des Selbsthilfe-Komitees würde hier wahrscheinlich kein Brot mehr gebacken. Dabei verlassen sich vor allem die Armen darauf. Lange hatte das Assad-Regimen seine Macht unter anderem mit Subventionen gesichert. Billiges Brot, damit die Menschen genug zu essen haben. 20 dünne Fladen kosten umgerechnet 20 Cent, das ist auch in Syrien preiswert. "Die Bäckerei hatte Probleme mit dem Nachschub von Mehl, auch der Diesel für die Maschinen ging aus und eine Maschine ging kaputt", erklärt Salem Almograbi. "Wir haben dabei geholfen, dass die Bäckerei wieder öffnen kann."

Hier in Dscharamana scheint es ganz gut zu funktionieren. Das tägliche Leben. Das ist den Menschen hier erst einmal am allerwichtigsten. Noch fällt es nicht so sehr in Gewicht, dass zum Beispiel Gerichte und die Verwaltung nur teilweise arbeiten. Und dass niemand weiß, ob die Polizei verlässlich ist. Deshalb haben die Menschen von Dscharamana eigenen Check-Points am Eingang ihres Viertels errichtet. Sie kontrollieren, wer reinfährt und zeigen, dass hier nicht jeder machen kann, was er will. Bisher gab es hier übrigens keine Zwischenfälle. Die neuen Machthaber schauten neulich mal vorbei, sie tolerieren diese Check-Points.
Autor: Ulli Neuhoff
Stand: 03.02.2025 11:34 Uhr
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