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Syrien: Saidnaja – Die Schwierige Aufarbeitung der Folterverbrechen

Syrien: Saidnaja – Die Aufarbeitung der Folterverbrechen | Bild: SWR

Mohammed Abdallah kehrt auf Krücken zurück an den Ort, an dem er gefoltert wurde: Saidnaja. In Assads berüchtigtem Gefängnis war er vier Jahre lang brutalsten Verhörmethoden ausgesetzt – so wie auch seine beiden Brüder. Ihre Eltern hatten versucht, ihre Söhne freizukaufen – vergebens. Khalid – der jüngere – hat es nicht überlebt. Wie und warum er starb, wissen die Abdallahs bis heute nicht. Daher fordern Mohammed und seine Familie Gerechtigkeit und die Aufarbeitung der jahrzehntelangen Verbrechen der Assad-Diktatur. Ihre Wut schlägt oft in Hass um. Der Wunsch nach Rache ist allgegenwärtig im neuen Syrien.

Zurück am Ort der Folter

Sein linker Fuß ist fünffach gebrochen. Folge der Misshandlungen, die Mohammed Abdallah hier erlitten hat: im Foltergefängnis Saidnaja. Mit seiner Mutter und seiner Schwester ist er zurück an dem Ort, wo er von den Schergen Assads gefoltert wurde – vier Jahre lang. "Als ich ankam in Saidnaja, 2020, musste ich mich hier aufstellen, ausziehen und sie durchsuchten mich", erzählt Mohammed Abdallah. "Ich war nackt. Nackt. So wie ich auf die Welt gekommen bin. Oh Gott, räche uns! Sie haben uns großes Unrecht angetan – hier in Saidnaja." Mohammed war als Soldat in Verdacht geraten, in Kontakt mit Regime-Gegnern zu stehen. Deshalb seine Verhaftung.

Gefängnis Saidnaja
Das berüchtigte Gefängnis Saidnaja  | Bild: SWR

"In diesem Gang sah ich zum ersten Mal Bewacher mit ihren Folterwerkzeugen. Sie kamen oft und begannen mit der brutalen Folter. So starben Menschen in diesem Flügel. Diese Wände, diese Türen sind Zeugen, dass viele Menschen getötet wurden." Noch immer liegen Decken und Kleider herum – in der Zelle, die sich Mohammed zeitweise mit 45 anderen teilte. "Schau, Seife. Die hatten wir dir geschickt", sagt Mohammeds Schwester Fausa. "Oft haben die Wärter sie aber auch einfach nicht an dich weitergegeben, sondern für sich behalten."

"Die Wände riechen nach Tod"

Seinen gelben Pulli hatte Mohammed im Dezember zurückgelassen, bei seiner Befreiung durch die neuen islamistischen Machthaber. Jetzt murmelt er: 'Die Wände riechen nach Tod'. "Wir wurden so oft gefoltert, geschlagen, gedemütigt und misshandelt. Nicht selten wurde unser Essen einfach auf den Boden im Bad geworfen." Dazu: unzählige Verhöre, Anschuldigungen – Schikane. "Wer hier seine Hände rausgestreckt hat, wurde geschlagen – geschlagen, geschlagen. Manche verloren ihre Finger. Anderen wurde brutal auf die Zunge geschlagen."

Wachturm von Gefängnis
Hier starb ein Bruder von Mohammed | Bild: SWR

Das Grauen von Saidnaja – wie soll es jemals aufgearbeitet werden? Nach mehr als 50 Jahren Diktatur und einem erbarmungslosen Bürgerkrieg? Auch durch Mohammeds Heimatdorf Tal Dahab bei Homs verlief die Front. Seine Eltern harrten in ihrem Haus aus, als Assad Granaten abfeuerte und die Russen Raketen. Nicht nur Mohammed saß in Saidnaja ein – auch ihre anderen beiden Söhne Akram und Khalid. Vater Abu Abdul wollte damals alle drei freikaufen. Dafür verkaufte er ein Stück Land und fünf seiner Kühe. 50.000 Euro zahlte er insgesamt. Ohne Erfolg – korrupte Beamte steckten das Geld ein. Heute ist auch Akram, Mohammeds älterer Bruder, frei. Er wurde als Deserteur inhaftiert. Die Familie hat jetzt einen Wunsch: Die Schuldigen müssen zur Rechenschaft gezogen werden. "Das Einzige, was ich will, ist Rache", sagt Akram Abdallah. "Als ich in der Kälte in Saidnaja gelitten habe, hat auch meine Familie hier gefroren und gehungert. Außerdem habe ich einen Bruder verloren. Das darf nicht umsonst gewesen sein."

Ein Bruder hat die Haft nicht überlebt

Khalid, der jüngste Bruder, hat Saidnaja nicht überlebt. Die Familie bekam lediglich eine lapidare Mitteilung von Assads Beamten – ohne Angabe, was genau mit ihm passiert ist, im wohl grausamsten Foltergefängnis Syriens. Khalid sei hingerichtet worden, glaubt Mohammed. Er will die Täter so schnell wie möglich aufspüren und sich rächen. "Möge Gott denjenigen nicht vergeben, die ihn hingerichtet haben und danach verschwinden ließen." Und Schamsa Abdallah meint: "Ich werde weiter nach ihm suchen, ob lebendig oder tot. Sie sollen mir seine Überreste geben."

Zellentrakt im Gefängnis
Tausende wurden inhaftiert und gefoltert  | Bild: SWR

Nebenan: bestialischer Gestank – im Folterkeller von Saidnaja. Die Schreie der Opfer hier habe Mohammed oft in seiner Zelle gehört, erzählt er. Offenbar auch von Folterwerkzeugen wie dieser Eisenpresse. Verbrechen unbeschreiblicher Art, die irgendjemand aufarbeiten müsse, sagt Mohammed beim Verlassen. Er will, dass Schuldigen bestraft werden, andernfalls wolle er mit seiner Familie selbst dafür sorgen, dass die Täter nicht davonkommen.

Autor: Matthias Ebert

Stand: 02.02.2025 20:54 Uhr

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