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Syrien: Der Besucher aus Deutschland

Syrien: Der Besucher aus Deutschland | Bild: SWR

"Es ist eine krasse Freude, die man nicht beschreiben kann" – im ersten Moment ist Ahmad Amber überwältigt. Mehr als zwölf Jahre ist der 34jährige nicht in zuhause in Syrien gewesen. 2012 musste er vor Krieg und Verfolgung durch das Assadregime fliehen. Aber vor Ort, in den Trümmern seines Elternhauses, mischen sich Freude und Leid. Der Lehrer ist seit 2014 in Deutschland und inzwischen eingebürgert, verheiratet – und verbeamtet. Er kann sich derzeit nicht vorstellen, wieder dauerhaft nach Syrien zu gehen. Angesichts der prekären Lage vielerorts im Land ärgert er sich über die deutsche Politik, die Geflüchtete zurückzwingen will.

Nach 12 Jahren wieder in Syrien

Englischunterricht, 11. Klasse, Stadtgymnasium Dortmund. Heute sprechen sie über globale Herausforderungen: Klimawandel, Krisen und Krieg. Das macht den Schülern und Schülerinnen Sorge. Ahmad kann das gut verstehen. Er kommt aus Syrien, musste fliehen vor Bürgerkrieg und Verfolgung, seit 2014 ist er in Deutschland, inzwischen eingebürgert. "Für mich ist jetzt zuhause sowohl in Deutschland als auch in Syrien. In Deutschland habe ich schon meine Frau, die Familie von meiner Frau, meine Schule und meine Arbeit. In Syrien vor allem nach dem Sturz des Regimes habe ich meine alten Freunde, meine Uni, meine Erinnerungen."

Lehrer Ahmad Amber vor Schulklasse
Ahmad Amber unterrichtet jetzt in Deutschland  | Bild: SWR

Erinnerungen – an ein anderes Leben, ein anderes Land. Drei Wochen vorher: Wir treffen Ahmad zufällig am Grenzübergang zwischen dem Libanon und Syrien. Es ist viel los, aus der ganzen Welt kommen in diesen Tagen Syrer in die alte Heimat. Der Lehrer nutzt die Schulferien, um das erste Mal seit 12 Jahren wieder nach Hause zu fahren. "Es ist so eine krasse Freude, die man nicht beschreiben kann. Ich könnte jetzt jeden umarmen, dass man endlich das Land besuchen kann, ohne die Angst zu haben, zum Beispiel hier an der Grenze verhaftet zu werden." Ohne Angst auf dem Weg in ein neues Syrien.

Wiedersehen mit der Schwester

Am nächsten Tag fahren wir nach Daraya, südlich von Damaskus. Wir besuchen Ahmad bei seiner Schwester Amani: Sportstunde mit den Nichten und Neffen, die er bis gestern noch nie persönlich treffen konnte. Hier können sie die Freude immer noch nicht so ganz fassen. "Es ist unbeschreiblich", freut sich seine Schwester Amani. "Ich kann das nicht in Worten ausdrücken." Und ist er anders als früher, der große Bruder, der nun in Deutschland lebt? Nein sagt, sie. "Er hat sich überhaupt nicht verändert, er sieht genauso aus."

Ahmad Amber und seine Schwester
Wiedersehen mit der Schwester | Bild: SWR

Lange Jahre nur Kontakt per Telefon – wenn das Netz mal funktioniert. Fast alle sind geflohen: Die Eltern und zwei Brüder leben in Ägypten, eine Schwester in Jordanien und sie hier in der Türkei. Dauerhaft zurück nach Syrien – das kann sich Ahmad derzeit nicht vorstellen. "Ich bin verbeamtet in Deutschland. Das geht ja nicht. Vor allem auch, weil meine Frau ist ja eine Dortmunderin. Sie ist in Dortmund geboren. Sie hat ihre ganze Familie da. Das wäre auch unfair, sie einfach nach Syrien zu bringen, wo sie niemanden kennt." Und wo noch so vieles ungeklärt ist. Auch die Suche nach Gerechtigkeit.

Vor diesem Einkaufszentrum wurde Ahmad 2012 verhaftet, weil er Studentenproteste gegen Assad mitorganisiert hatte. Mit seiner Handykamera hat er nun im Geheimdienstgefängnis gefilmt, drei Monate war er hier eingekerkert, zum Teil in Einzelhaft, die schlimmste Zeit seines Lebens. "Das ist meine Zelle. Als ich da drin war, hatte ich sehr viel Herzrasen. Bei Verhören wurde ich sehr, sehr viel gefoltert. Zum Beispiel wurde ich in einen Autoreifen reingesteckt, wo die Füße nach oben Kopf drinnen in dem Reifen. Und dann wurde ich mit Kabeln überall geschlagen." Auch Ahmads ältester Bruder wurde vom Regime verschleppt. Er soll tot sein, so hört es die Familie 2018. Bis heute wissen sie nicht, was passiert ist.

Rückkehr in ein zerstörtes Land

Daraya galt als ein Zentrum des Widerstands, Assads Fassbomben haben das alte Wohnhaus in einen Trümmerhaufen verwandelt. "Ich hab hier ein Teil von einer Hausarbeit, die ich geschrieben hab, über einen Roman, der heißt 'Was Euch geblieben ist' …und das ist wirklich, was mir von meinem Zimmer hier auf diesem Dach geblieben ist." Ahmad wusste, dass es schlimm aussieht, aber so schlimm? Das Land, das er wiedergefunden hat: zerstört und zerrissen. Der Wiederaufbau für ihn essenziell, aber auch, dass sich Syrien politisch weiterentwickelt. "Ich hoffe, dass die Syrer das auch gelernt haben in diesen Jahren, und dass sie sagen, wir möchten keine zweite Diktatur haben. Keiner möchte, dass eine Diktatur weggeht und eine neue Diktatur kommt. Keiner möchte das." Noch überlegt er, wie er künftig helfen kann. Die Auslandssyrer, findet er, hätten viel beizutragen, auch wenn nicht alle wieder hierherziehen.

Ahmad Amber in den Trümmern seines alten Hauses
Ahmad Amber in den Trümmern seines alten Hauses | Bild: SWR

Zurück in Dortmund. Das ist, sagt Ahmad, so ein bisschen wie in einer anderen Welt. Dass in Deutschland nun vor allem über darüber diskutiert wird, wie schnell syrische Geflüchtete zurückkehren, kann er nicht verstehen. "Ich frage mich, ob viele Politiker wirklich eine richtige Ahnung von Syrien haben. Ich war ja da und habe ich mit meinen Augen gesehen, wie das Land total zerstört ist. Und wenn die Menschen jetzt auf einmal zurückkehren müssen, dann wohin? Sie haben keine Häuser, sie haben gar keine Infrastruktur." Syrien – ein großes Fragezeichen. In den Ferien will Ahmad Amber gern wieder zu Besuch hin, aber sein Alltag, sagt er, der ist in Dortmund, wo es inzwischen auch ein Stück alte Heimat gibt.

Autorin: Kristin Becker

Stand: 02.02.2025 20:15 Uhr

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