Mo., 12.10.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
Türkei: Anschlag in Ankara
Die Welt blickt an diesem Wochenende in die Türkei: Ankara wurde zum tragischen Ort des blutigsten Bombenanschlags in der jüngeren Geschichte des Landes. Es herrscht Staatstrauer.
Die zahlreichen Opfer: Vorwiegend junge Kurden, die für Frieden demonstrieren wollten. Doch Gewalt wurde ihr Schicksal. Wer könnte dahinter stecken? Laut Regierungsvertretern deuten erste Ermittlungshinweise auf den sogenannten "Islamischen Staat", dessen Hauptgegner die Kurden sind.
Ende des Friedensprozesses
Vor gut drei Monaten endete in der Türkei der sogenannte "Friedensprozess" zwischen türkischer Regierung und der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Türkische Sicherheitskräfte und Kämpfer der PKK tragen seither einen bewaffneten Konflikt aus. Hunderte hat er das Leben gekostet.
Fast täglich starten türkische Kampfjets, um PKK-Stellungen im Südosten des Landes und im Nordirak zu bombardieren. Die Nachrichtenbilder der letzten Wochen erinnern an die Neunziger Jahre, an den insgesamt drei Jahrzehnte währenden Krieg zwischen kurdischer Guerilla und Armee beziehungsweise Polizei. Mehr als 40.000 Menschen starben bei diesem Waffengang. Zehntausende Kurden wurden zwangsumgesiedelt.
Unruhe im Land
Seit Juli, seit dem Wiederaufflammen des Konflikts, kommt es immer wieder im ganzen Land zu Demonstrationen. Viele Kurden sehen in dem Kampf gegen die kurdische Untergrundarmee auch eine antikurdische Politik der islamisch-konservativen AKP-Regierung. Sie unterstellen Präsident Erdogan politisches Kalkül: Für sie will er Stimmen im rechten, im türkisch-nationalen Spektrum für die nächste Parlamentswahl am 1. November sammeln.
Denn beim letzten Urnengang, vor vier Monaten, hat die regierende AKP nach 12 Jahren ihre absolute Mehrheit verloren. Ausgerechnet die Links- und Kurdenpartei HDP war dafür mit ihrem erstmaligen Einzug ins Parlament mit ursächlich.
Die HDP wird verfolgt
Seither gilt diese als Hauptgegner für Erdogan und seine Parteifreunde. Einige fanatische Regierungsanhänger scheinen diese Meinung zu teilen: Viele Büros der Kurden- und Linkspartei wurden seither angegriffen - ebenso wie Redaktionsgebäude unliebsamer Zeitungen.
Selahattin Demirtas, Vorsitzender der HDP; sagt: "Die Zeit, in der sie um den heißen Brei herum reden kann, ist für die regierende AKP vorbei. Ihr seid Mörder! An euren Händen klebt Blut!"
Die Explosionen von gestern, sie haben große politische Sprengkraft für die Türkei. Jetzt hängt alles von der Frage ab: Gelingt es der politischen kurdischen Kraft, der HDP, einerseits ihre Anhänger zu beruhigen und andererseits die kurdische Untergrundarmee zur Zurückhaltung zu veranlassen?
Das gestern von der PKK verkündete einseitige Ruhenlassen der Waffen – unter bestimmten Bedingungen – bis zur Wahl, es könnte die Lage etwas entschärfen. Doch sicher scheint nur: seit gestern ist die Türkei nochmals unsicherer geworden.
Autoren: Martin Weiss und Michael Schramm, ARD Istanbul
Stand: 09.07.2019 14:18 Uhr
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