So., 28.02.21 | 19:20 Uhr
Das Erste
Türkei: Boxen gegen Parkinson
Ihre Linke, so Nancys Trainer, sei etwas härter als der Punch mit der Rechten. Geradezu furchteinflößend sei der eiskalte Blick der 74-jährigen gebürtigen Belgierin. Wer seine Deckung nicht hält, dem haut sie hemmungslos auf die Nase. Und all das, trotz ihrer langjährigen Erkrankung an Parkinson. "Es geht nicht nur darum Leute zu verprügeln. Boxen ist sehr präzise, berechnend, man muss wissen, wie man sich so oder so bewegt und gleichzeitig Kraft entwickeln mit dem Körper. Das führt zu einer guten Koordination von Geist, Händen und Füßen", sagt Nancy.
Nancy entschließt sich gegen ihre Krankheit zu kämpfen
Vor sieben Jahren bekommt Nancy die Diagnose Parkinson. Sie nimmt Medikamente, um weniger zu zittern. Der Körper baut dennoch rapide ab. Dann entdeckt sie im Internet, dass in den USA Parkinson-Kranke boxen, um die Symptome in den Griff zu bekommen. Sie sucht sich eine Boxschule in Antalya, dem Küstenort ihrer türkischen Wahlheimat. "Als sie zum ersten Mal da war, dachte ich, die schafft das niemals – wegen ihres Alters und weil sie damals überhaupt nicht aufrecht stehen konnte. Ich dachte, die schafft das nie und dann hat sie uns alle überrascht", erzählt ihr Trainer, Muhammet Ali Kardas.
Nancy’s Physiotherapeut, Caner Cetin, ist hochzufrieden mit der rüstigen 74-Jährigen – vor allem mit ihrer Haltung: "Jetzt geht sie im Vergleich zu früher viel aufrechter. Außerdem hat sie früher gezittert und plötzlich ihre Bewegungen unterbrochen – jetzt ist alles fließender."
Mit Boxen zu neuer Lebensqualität
Nancy wohnt in einem Dorf oberhalb der Küstenstadt Antalya. Vor mehr als 40 Jahren kam sie mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann zum ersten Mal in die Türkei. Sie seien Hippies gewesen, neugierig und reiselustig, verdienten ihr Geld mit künstlerisch gestalteten Fenstern und konvertierten zum Islam. Die Angelegenheit sei allerdings privat und völlig unpolitisch, erzählt sie uns, und wird dabei ganz leise: "Ich habe einen Scheich in Istanbul, einen spirituellen Lehrer. Das ist für mich wichtig, aber ich hänge das nicht an die große Glocke."
Wenn sie nicht boxt, zeichnet oder malt Nancy. Manchmal verkaufe sie sogar Bilder und verdiene sich so etwas zu den 450 Euro monatlicher Rente dazu. Das Zeichnen ginge trotz Parkinson hervorragend. "Ich habe beobachtet, wenn ich etwas gestalte, wenn ich etwas ganz Neues schaffe, dann zittere ich nicht. Das war von Anfang an so. Wenn ich etwas schreibe, dann wird es allerdings sehr, sehr schlimm mit dem Zittern", sagt Nancy.
Beim Training sei die richtige Musik wichtig. Nancy trainiert mit Aerosmith auf den Ohren. Die Gruppe bringe sie ziemlich in Schwung, erzählt die 74-Jährige: "15 Minuten trainiere ich mehr oder weniger. Drei Runden mit Aerosmith. Das läuft perfekt. Das sind drei Songs." Boxen gegen Parkinson empfiehlt die 74-Jährige allen Leidensgenossen. Denn die Lebensqualität, so Nancy, nehme mit Boxen deutlich zu.
Autor: Oliver Mayer-Rüth / ARD Studio Istanbul
Stand: 28.02.2021 19:52 Uhr
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