So., 14.05.23 | 18:45 Uhr
Das Erste
Türkei: Das System Erdogan
Der Druck ist groß, die Umfragen sagen ein knappes Ergebnis voraus. Der Präsident zeigt sich als Macher, appelliert an das Nationalgefühl zum 100-jährigen Staatsjubiläum, ruft ein "Jahrhundert der Türkei" aus.
Erdogan nutzt jede Gelegenheit um seine Erfolge zu zeigen: Er übergibt das neue Flaggschiff der Flotte, einen Hubschrauberträger. Er feiert zusammen mit Vladimir Putin das erste türkische Atomkraftwerk, das bald ans Netz gehen soll. Er will einen weiteren türkischen Satelliten ins All schießen – alles Prestigeprojekte um international im Konzert der Großmächte mit zu mischen.
Erdogans Taktik: Oft politische Erpressung um für Türkei das optimale herauszuholen. Nicht jedem gefällt das. Beispiel: Flüchtlingspolitik: Hier erhält er viel Geld von der EU. Dafür verhindert er, dass syrische Flüchtlinge aus der Türkei weiterreisen. Beispiel NATO: Für die lang abgelehnte Zustimmung zur Erweiterung des Bündnisses bekommt er die lang ersehnte Militärhilfe.
Tanzen auf allen Hochzeiten
Auch in der Russlandpolitik tanzt Erdogan auf allen Hochzeiten, trifft den ukrainischen Präsidenten und den UN-Generalsekretär. Die Türkei tritt als Vermittler auf, handelt ein Getreideabkommen aus. Den Sanktionen gegen Russland schließt Erdogan sich nicht an, denn mit Putin versteht er sich blendend – zum Ärger des Westens.
Die Opposition will das ändern. Ziel: Weg von der Ein-Mann Politik Erdogans. Der Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu will die Türkei berechenbarer machen, eine westlich orientierte Außenpolitik durchsetzen.
Der Wahlkampf wird härter: Letztes Wochenende greifen Anhänger Erdogans den Oppositionspolitiker und möglichen Vizepräsidenten Imamoglu an. Er kann gerade noch entkommen.
Für die Türkei ist es eine Richtungswahl. Manche sagen eine Schicksalswahl. Das Ergebnis könnte weitreichende Konsequenzen haben – in der Innen- und in der Außenpolitik.
Autor: Markus Rosch, ARD Istanbul
Stand: 14.05.2023 22:57 Uhr
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