SENDETERMIN So., 22.05.22 | 18:30 Uhr | Das Erste

Türkei: Hohe Inflation mit Folgen

Türkei: Hohe Inflation mit Folgen | Bild: mauritius images / robertharding

Sie sucht in der Türkei gut ausgebildete türkische Ärztinnen und Ärzte, die in ihrer Praxis in München arbeiten wollen: "Ich bin jetzt nach Ankara geflogen aus Deutschland. Wir haben einen massiven Fachkräftemangel, wenn wir nicht gutes Personal aus dem Ausland finden, werden wir an die Wand fahren." Elif Cindik-Herbrüggen, Fachärztin aus München, trifft Aslinur Yilar. Eine Psychologin, die so schnell wie möglich die Türkei verlassen will. "Wir haben viele türkische Patienten, die kaum Deutsch können. Mit denen würden sie arbeiten", sagt die Fachärztin aus Deutschland. "Allerdings gibt es im Moment für Türken Schwierigkeiten Visa für Deutschland zu bekommen, deshalb bin ich besorgt. Aber ich würde sehr gerne kommen", entgegnet die Psychologin.

Türkische Fachkräfte sind in Deutschland gesucht

Schnell wird klar, warum Aslinur Yilar unbedingt nach Deutschland will: "Was, 50 Lira für zwei Tassen Tee? Das ist doch ein Witz." Zwei Tassen Tee kosten knapp drei Euro. Das ist für die 24-Jährige, die derzeit bei einer Studienberatung arbeitet, extrem teuer. Und offenbar auch für andere, denn sonst wären viele türkische Restaurants und Kaffes in diesen Tagen besser besucht. "Vor allem aus wirtschaftlichen Gründen will ich nach Deutschland. Das ist ausschlaggebend. Für mich und für alle anderen jungen Menschen auch", erzählt Aslinur Yilar.

Türkei: Hohe Inflation – leere Restaurants
Türkei: Hohe Inflation – leere Restaurants | Bild: WDR

Nach einer halben Stunde Gespräch ist die Fachärztin aus München überzeugt. Aslinur Yillar könnte mit türkischsprachigen Patienten auf Türkisch arbeiten. "Sie ist ideal für uns geeignet und nimmt auch keinem deutschen Staatsbürger einen Arbeitsplatz weg." Jetzt hofft die Psychologin, dass ihr die deutschen Behörden ein Visum ausstellen. Vier Jahre hat sie studiert und verdient dennoch weniger als 400 Euro im Monat. Seit Jahren explodieren die Preise in der Türkei. Die amtliche Inflation liegt bei mehr als 70 Prozent. "Ein Kilo Tomaten kostete im vergangenen Jahr sechs bis sieben Lira. Heute sind es knapp 15. Es wird immer teurer. Und immer schwieriger. Unsere Gehälter sind auch ein bisschen gestiegen, aber die Preise viel, viel mehr", erzählt die 24-Jährige.

Alamierend hohe Inflation

Ein kleiner Supermarkt in Istanbul. Veysel Ulusoy ist Wirtschaftswissenschaftler und berechnet jeden Monat die Inflation unabhängig vom Staat. Dafür vergleicht er die aktuellen Preise mit denen vom Vorjahr. "Vergangenes Jahr hat doch die Milch zwischen 5 und 7 Lira gekostet?", fragt er und die Verkäuferin antwortet: "Sieben Lira waren es." "Wie viel kostet sie jetzt?" "Diese Milch kostet jetzt 20 Lira." "Ist die heute teurer geworden? Gestern waren es noch 14 Lira." "Ja, heute. Leider."

Türkei: Die Preise steigen rasant
Türkei: Die Preise steigen rasant | Bild: WDR

20 Lira für einen Liter Milch. Das entspricht 1.20 Euro. Ulusoy hält die vom Staat veröffentlichte Inflation von 70 Prozent für falsch. "Die Inflation liegt bei 156 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Und die wird weiter ansteigen. Bald wird auch die vom Staat veröffentlichte Inflation dreistellig sein. So im Oktober oder November. Auch bei unseren Berechnungen nähern wir uns der 200 Prozent Marke", sagt der Wirtschaftswissenschaftler.

Die dramatische Verteuerung macht sich auch im Stadtbild bemerkbar. Die Arbeitslosigkeit steigt. Viele müssen in Gelegenheitsjobs ihr Geld verdienen. Die Türk:innen schnallen die Gürtel enger: "Wir sind Rentner. Mein Mann bekommt etwa 180 Euro. Damit versuchen wir auszukommen. An Käse, Oliven oder Butter brauchen wir gar nicht zu denken. Da sparen wir und vor allem auch an der Kleidung." "Statt einem Kilo Zwiebeln kaufe ich nur zwei oder drei Stück. Bei den Kartoffeln genauso. Ich kaufe eben nur das, was ich am Abend esse."

Regierung versucht nicht Fachkräfte zu halten

Zurück in Ankara. Gleich trifft die Fachärztin aus München einen Professor, den sie als Mitarbeiter gewinnen will. Vahdet Gül ist Spezialist für Psychatrie. "Sie kennen ja den Grund für meinen Besuch. Wir haben gesprochen. Wir benötigen hochqualifizierte, gut ausgebildete Mitarbeiter", sagt Elif Cindik-Herbrüggen. Professor Gül ist noch unentschieden, aber er hat offenbar Interesse und das, obwohl er weit besser verdient als Berufseinsteiger: "Vorstellen kann ich mir das sehr gut. Ich würde gerne in England, aber auch in Deutschland arbeiten wollen. Ich weiß, dass dort die Standards sehr hoch sind."

Vor Kurzem sagte der türkische Präsident Erdogan, wenn die Ärzte gehen wollen, sollen sie eben gehen. Das hat den seit mehr als 40 Jahren arbeitenden Professor sehr verletzt. "Dann sollen sie halt gehen. So etwas zu sagen, ist falsch", sagt er. Viele Ärzt:innen fühlen sich von Erdogan vor den Kopf gestoßen. Es dürfte weiterhin nicht allzu schwierig sein, in der Türkei medizinisches Personal zu finden, das nach Deutschland kommen will.

Autor: Oliver Mayer-Rüth/ARD Studio Istanbul

Stand: 22.05.2022 19:40 Uhr

11 Bewertungen
Kommentare
Bewerten

Kommentare

Kommentar hinzufügen

Bitte beachten: Kommentare erscheinen nicht sofort, sondern werden innerhalb von 24 Stunden durch die Redaktion freigeschaltet. Es dürfen keine externen Links, Adressen oder Telefonnummern veröffentlicht werden. Bitte vermeiden Sie aus Datenschutzgründen, Ihre E-Mail-Adresse anzugeben. Fragen zu den Inhalten der Sendung, zur Mediathek oder Wiederholungsterminen richten Sie bitte direkt über das Kontaktformular an die ARD-Zuschauerredaktion: https://hilfe.ard.de/kontakt/. Vielen Dank!

*
*

* Pflichtfeld (bitte geben Sie aus Datenschutzgründen hier nicht Ihre Mailadresse oder Ähnliches ein)

Kommentar abschicken

Ihr Kommentar konnte aus technischen Gründen leider nicht entgegengenommen werden

Kommentar erfolgreich abgegeben. Dieser wird so bald wie möglich geprüft und danach veröffentlicht. Es gelten die Nutzungsbedingungen von DasErste.de.

Sendetermin

So., 22.05.22 | 18:30 Uhr
Das Erste

Produktion

Westdeutscher Rundfunk
für
DasErste