So., 22.05.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
Argentinien: Sterne-Koch verschenkt Gemüse
Brokkoli, rote Beete und jede Menge Kräuter. All das wächst im Gemüsegarten von Martin Lukesch und Guido Tessi. Die beiden Spitzenköche haben in der Pandemie eine Initiative gestartet: ein Gemüsegarten von und für die Nachbarschaft ihres Viertels Palermo in Buenos Aires.
Argentinier:innen leiden unter Inflation
"Wir wollten in Palermo einen grünen Ort schaffen. Mit sauberer Luft. Hier kommt jetzt unser Stadtviertel zusammen und wir teilen miteinander das Gemüse, das wir mit Liebe gezüchtet haben", erzählt Martín Luckesch. Die Idee dazu entstand auch angesichts der Wirtschaftskrise in Argentinien. Die spürt Martín als Spitzenkoch nahezu täglich in seinen Sterne-Restaurants. Seine Menüs mit gegrillten Süßkartoffeln und edler Leberpastete können sich immer weniger Argentinier:innen leisten. Deswegen hatte Martín bereits darüber nachgedacht, seine Restaurants zu schließen und sein Land zu verlassen: "Ich bin trotz der schwierigen Lage bislang nicht ausgewandert, weil ich hier in meiner Heimat einen Beitrag leisten möchte – für die Gastronomie und für eine gesunde Ernährung."
Doch das wird immer schwieriger. Denn Martín muss für seine gut betuchte Kundschaft meist wöchentlich die Preise anheben, weil Argentiniens Inflation galoppiert – seit einigen Jahren schon. Derzeit liegt sie zwischen 50 und 60 Prozent. Für die Mittelklasse bedeutet das: kürzertreten.
Am heftigsten sind die Folgen für Menschen, die in Vierteln wie "Villa 31" leben. Die Inflation sorgt für mehr Armut – und mehr Andrang vor Suppenküchen. Obst, Gemüse und Brot – umsonst. Staatlich und durch Spenden finanziert. Nicht mehr nur für Arbeitslose, sondern jetzt auch für viele Argentinier:innen mit festem Gehalt, dass aber nicht mehr zum Überleben reicht. "Die Inflation frisst die Löhne von mir und meinem Mann auf. Ohne Suppenküche kommen wir nicht über die Runden", sagt Alejandra Peña.
Ein Garten für alle
Es ist ein Teufelskreis: die Inflation steigt schneller als die Gehälter. Für die Menschen in der Villa 31 – und auch für die Mittelklasse in Palermo. Abhilfe schafft hier auch das Gemüsebeet, das Koch Martín ins Leben gerufen hat. Seit wenigen Monaten packt die gesamte Nachbarschaft mit an: sät, jätet und erntet. Und profitiert so vom gemeinsamen Gemüsegarten. "Anstatt einen Salat zu kaufen, kann ich ihn hier kostenlos ernten. Wir Nachbarn machen das mit Herzblut und weil es nötig ist", erzählt Gloria Villanueva.
Nötig – vor allem für die Älteren unter ihnen. "Es gibt Rentner, die mit gerade mal 50 US-Dollar im Monat auskommen müssen. Das ist ohne Hilfe kaum möglich. Die Gemüsepreise steigen ja unaufhaltsam. Fleisch kann sich kaum ein Rentner mehr leisten", sagt Anwohnerin, Maia Aquarioli. Einen Teil der Ernte spendet Martín an soziale Einrichtungen. Heute an ein Heim für Menschen mit geistiger Behinderung. Ein Dutzend Salate und zehn Kilo Brokkoli: eine von vielen Spenden aus dem neuen Nachbarschaftsgarten.
"Wir sind dafür wirklich dankbar. Damit können wir jetzt eine gesündere Ernährung anbieten – und neue Rezepte ausprobieren", meint Ani vom Heim "Casa Club". Weitere Gemüsegärten sind geplant. Als Antwort der Stadtbewohner:innen auf die galoppierende Inflation.
Autor: Mattias Ebert/ARD Studio Rio de Janeiro
Stand: 22.05.2022 19:41 Uhr
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