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Türkei: Zweimal lebenslänglich plus 198 Jahre Haft

Türkei: Zweimal lebenslänglich plus 198 Jahre Haft | Bild: Cemal Taşdan

Veysel Kilic sagt, er sei ein türkischer Patriot. Dementsprechend hat der 71-Jährige sein Elektrodreirad gestaltet. Täglich dreht er mit dem Enkel Runden in seinem Dorf Celtikli. Oder er betet, denn Kilic ist nicht nur Patriot, sondern auch strengreligiöser Muslim, der den gesamten Koran auswendig kennt und beim Rezitieren nur öffnet, weil er das Buch so schön findet. Kilic ist glücklich verheiratet, hat vier Kinder und sieben Enkel. Doch ein dunkler Schatten liegt auf der Familie.

Der Sohn im Gefängnis

Kilics Sohn Selahattin sitzt seit fünf Jahren in Haft. Beim Putschversuch im Juli 2016 befahl ein Vorgesetzter dem damals 18-jährigen Kadetten und Dutzenden anderen jungen Soldaten eine Brücke in Istanbul zu besetzen. Der Sohn führte den Befehl aus. Dafür verurteilte ein Richter den jungen Mann zu 198 Jahren Haft und zusätzlich zweimal lebenslänglich.

Veysel Kilic: "Was ist jetzt unsere Schuld? Herr Staatspräsident, bei militärischen Veranstaltungen sagen sie ja immer, für Soldaten sei es die Pflicht Befehlen zu gehorchen. Mein Sohn hat dem Befehl gehorcht, was hat er denn sonst getan."
Selahattin sitzt in einer Sammelzelle mit dutzenden anderen im Hochsicherheitsgefängnis Silivri. Das Dorf Celtikli liegt nur wenige Kilometer entfernt vom Gefängnis auf einem Hügel. Vom Dorf aus kann man nach Silivri hinüberblicken.
Vergangenes Jahr ist das Ehepaar Kilic von Istanbul nach Celtikli gezogen, um dem Sohn nahe zu sein. Im Garten haben sie Gemüse angepflanzt. Von dort aus können sie das Gefängnis sehen.

Dem Sohn nah sein

Ehefrau und Mutter Makbule Kilic: "Hier zu sein tut mir sehr gut. Wenn sie fragen warum, kann ich sagen, wäre ich in Istanbul geblieben, dann wäre ich durchgedreht. Ich glaube, ihn hier besser spüren zu können und er sagt mir: 'Mama ich spüre auch euch.'"
Kilic ist einer der wenigen Islamisch-Konservativen im Land, der auf Protesten gegen die Regierung immer wieder die Stimme erhoben hat und er erhebt. Früher waren er und seine Frau glühende Anhänger des türkischen Präsidenten Erdogan und seiner Partei AKP. Inzwischen haben sie auch aufgrund der Haftstrafe des Sohnes den Glauben an Erdogan verloren.
Ansonsten versuche er Tag für Tag jeden den er kenne zu überzeugen, dass Erdogan gehen müsse. Das sieht er als seine Hauptaufgabe und nur nach einem politischen Wechsel könne sein Sohn freikommen.
In der Dorfgemeinschaft ist Kilic bestens integriert. Die meisten hier unterstützen ihn bei seinen politischen Ideen.

Warten auf den Besuch

Einen Monat lang durften die Kilics ihren Sohn im Gefängnis nicht besuchen. Jetzt hat Mutter Makbule eine Genehmigung bekommen. Sie will Selahattin unbedingt sehen. Veysel Kilic muss draußen vor den Toren des Hochsicherheitsgefängnisses eine Stunde warten. Danach erzählt die Mutter von ihrem Sohn: "Er bekommt zu wenig zu essen. Es sind 45 Insassen und sie bekommen einfach zu wenig. Aber mit dem Geld vom Vater, kann er mehr Essen kaufen und satt werden. Gesundheitlich gehe es ihm gut, sagt er."
Vater Veysel ist den Rest des Tages wortkarg. Er sei traurig, dass er Selahattin nicht sehen konnte, sagt er. Er hofft auf eine baldige weitere Besuchsgenehmigung. Bis dahin blickt er vom Dorf aus zum Gefängnis hinüber und ist mit den Gedanken ganz nah bei seinem Sohn.

Autor: Oliver Mayer-Rüth, ARD Istanbul

Stand: 18.07.2021 20:37 Uhr

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