Mo., 26.10.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
Uganda: Der Tarantino Afrikas
Wer im Slum aufwächst, träumt meist davon, rauszukommen. Nicht so Isaac Nabwana. Er wurde in Wakaliga geboren, einer Slumsiedlung am Rand von Ugandas Hauptstadt Kampala. Hier gibt es kein fließendes Wasser und auch nur ab und zu Strom. Doch Isaac Nabwana hatte einen Traum: Filme machen. Er hat sich eine billige Kamera besorgt, mit Hochzeitsvideos Geld verdient und so seinen Traum in den Slum geholt: Actionfilme. Verbrecher, Kung Fu Kämpfer, Schusswaffen und Helikopter – das volle Programm. Produziert nahezu ohne Budget, mit Laiendarstellern und unerschöpflicher Kreativität. Und obwohl Actionfilme für die westliche Filmkritik nicht nach Afrika passen, plant die Truppe aus „Wakaliwood“ nun ihren internationalen Durchbruch. Eine Reportage von Shafagh Laghai, ARD Nairobi.
Filmstudio mitten im Slum
Hier? Ugandas Hollywood? Shafagh: "Wakaliwood?" Kannibalen: "German TV! Wakaliwood is coming for you!" Es wird Blut fließen. So viel ist sicher. Doch sie sind unerschrocken. Helden. Im Kampf gegen das Böse. Proben für den Action-Kung-Fu-Schocker „Operation Kakongoliro“. Und ER ist der Kopf des ganzen, Isaac Nabwana, Studioboss, Regisseur, Drehbuchautor – alles in einer Person. Sein Filmstudio steht mitten im Slum. Immer wieder hält die Polizei die Kampfszenen für echt. „Die haben mich neulich schon wieder verhaftet. Und gesagt: das ist doch nicht alles gespielt! Habt ihr auch wirklich keine echten Waffen? Ich hab denen meine Dreherlaubnis gezeigt. Sie haben mich trotzdem mitgenommen aufs Revier, aber angezeigt haben sie mich noch nie.“
Verhaftet. Abgehakt. Weiter geht’s. Isaac: Action! Weil es nur eine Kamera gibt, muss die Szene immer wieder gedreht werden, damit Isaac sie am Ende zusammenschneiden kann. Auch Kostüme und Schminke – alles wird irgendwie improvisiert: Das Filmblut – verpackt im Kondom. Woher bekommt ihr denn die Kondome, will ich wissen. „Wir haben die aus der Klinik", erklärt die Regieassistentin Harriet Nabwana. "Und wenn wir die holen, denken die, dass wir die für das benutzen, wofür sie gedacht sind. Und die sagen: Toll! Dass ihr sicher sein wollt. Geht und macht Werbung dafür. Ja, ja, machen wir! "
Actionfilme für 200 Dollar
Jeder zeigt hier vollen Einsatz. Obwohl keiner von ihnen damit Geld verdient. Sie machen Film aus Liebe zum Film. Aber immerhin gibt es etwas zu essen. Wer gerade nicht spielen muss, kümmert sich um’s Catering. Oder baut an der nächsten Requisite. Um sich ihre Leidenschaft leisten zu können, machen Isaac und seine Kollegen so viel wie möglich selbst. So kosten ihre Filme nie mehr als 200 Dollar. Und tragen ihre ganz eigene Handschrift. „Ich muss kreativ sein", sagt der Schauspieler und Bühnenbildner Dauda Bisaso, "ich will kein echtes Gewehr nachmachen, eine AK47, ich will mein eigenes Design.“
Eine Filmschule hat Isaac noch nie besucht. Seinen Lebensunterhalt verdient er sich mit kommerziellen Hochzeits- und Beerdigungvideos. Die Actionfilme seien auch ein Aufstand gegen die begrenzten Möglichkeiten, sagt er. Ein: jetzt erst recht! „Ich musste lernen, den Computer zu bedienen. Aber ich hatte kein Geld für einen ganzen Kurs. Also musste ich alles in einem Monat lernen. Wir müssen immer improvisieren, um diese Lücke zu schließen. Weil wir kein Geld haben, müssen wir umso mehr unseren Kopf nutzen.“ In seinen Streifen geht es meistens um einen mutigen Kämpfer – allein gegen die Mafia, gegen Gangster, gegen korrupte Politiker. Die Brutalität ist so überzogen, dass sie nichts Reales hat. Es gibt nie einen Zweifel an der Ironie. Es geht darum, die ganze Ungerechtigkeit mal ordentlich in die Luft jagen.
Der Tarantino Afrikas
Der New Yorker Filmproduzent Alan Hofmanis hatte im Internet Ausschnitte aus Isaacs Filmen gesehen. Daraufhin ließ er alles stehen und liegen, um aus Isaac den Tarantino Afrikas zu machen. „Isaacs Filme geben Dir das Gefühl, wieder ein Kind zu sein. Bei seinen Filmen willst Du einfach dabei sein. Du willst umgebracht werden. Es ist so, als ob Du wieder 12 bist und den Gürtel Deines Vaters nimmst und wieder Indiana Jones spielst. Du fühlst Freude.“
Das sehen auch ihre Fans so. Isaacs Filme werden im Internet Millionenfach geklickt. Und: nachgespielt! Irgendwo in der Welt stellen Fans Szenen nach aus Isaacs Film über Ebola. Ghostbusters war gestern. Doch die Fachwelt des Films ist zögerlich: Actionfilme aus Afrika? Kannst Du nicht lieber etwas über Armut machen, wird er immer wieder gefragt?
Kommt bald der große Druchbruch ?
Isaac ist hier im Slum aufgewachsen. Die meisten Menschen leben von einem Dollar am Tag. Armut, Krieg und Krankheiten, das kennen sie. Wenn sie nicht ab und zu darüber lachen, würden sie verrückt werden, sagt Isaac. „Man sollte uns Afrikanern nicht die Chance verwehren, auch Action Filme zu machen. Armut gibt es doch auch in Amerika oder in Europa. Wir haben vielleicht kein Geld, aber wir haben was im Kopf. Ich kann einen Film mit 200 Dollar machen. Und die ganze Welt damit unterhalten. Wir sollten nicht abgehängt werden. Wir sollten auch die Chance bekommen, alles zu machen. Wir brauchen diese Gleichberechtigung.“
Hier in Wakaliga sind Isaacs Filme wahre Blockbuster. Weil die meisten Menschen sich nicht mal eine DVD leisten können – gibt es hin und wieder kostenlose Filmvorführungen. Etwas Ablenkungen, etwas Heldentum – mitten aus ihrem Slum. Isaac, er ist einer von ihnen. Uns sie sind stolz auf ihn. Er hat mit Wakaliwood einen Hauch von Hollywood in ihr Viertel gebracht. Ein kleines Reich für Filme geschaffen. Uns sie alle sind überzeugt davon, dass der große Durchbruch nur noch eine Frage der Zeit ist.
Stand: 09.07.2019 22:37 Uhr
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