Mo., 12.11.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Ukraine: Der Traum vom Kuppelhaus
Außerhalb der ukrainischen Millionenstadt Charkiw. Hier erfüllen sich Ukrainer den Traum eines Eigenheims. Mittendrin entsteht etwas Ungewöhnliches: Ein Haus in Kuppelform.
Günstige Häuser für Geflüchtete
"Heute müssen wir wenigstens einen halben Meter höher kommen mit der Dachpappe", so Andrij Piwowarow, ehem. Computerspezialist. Andrij Piwowarow war mal Computerspezialist in der Nähe von Donezk, jetzt baut er Kuppelhäuser. Nach der Flucht aus der umkämpften Ostukraine ist das mit Kumpel Mischa seine neue Leidenschaft. "Das Projekt sollte zuerst günstigen Wohnraum für ukrainische Flüchtlinge schaffen. Mischa und ich waren ja selbst obdachlos geworden. Wir hatten auch kein Geld. Wie fliehen Menschen nun mal? Mit zwei Tüten, einem Kater unterm Arm und los", erzählt Andrij Piwowarow.
Die Kuppelform hatten sie im Netz entdeckt – und sich für eine umweltfreundliche Variante entschieden. Zu den beiden stieß als Dritter Sergej dazu. "Wir haben zuerst die Bretter gesägt, dann haben wir das Holz bearbeitet gegen Schimmel und Feuer...Danach die Dreiecke zusammengebaut, aus den Dreiecken eine Kuppel gebastelt und verkleidet", beschreibt Sergej.
Die drei arbeiten so günstig wie möglich, ohne Gerüst, ohne Kräne. Jedes Haus sollte nicht mehr als 4.500 Euro kosten – damit es sich geflüchtete Ukrainer aus dem Osten leisten können.
Zweifeln bei den Eigentümern
Pawlo Bilous und seine Frau Olha Krasowska haben sich von Andrij so ein Haus bauen lassen. Die beiden sind nicht geflüchtet, aber Pawlo hat im Osten auf der ukrainischen Seite gekämpft, ein nationalistisches Symbol hat er sich auf die Jacke genäht. Vor kurzem sind Olha und er eingezogen. "Ehrlich gesagt, als Andrij und die anderen mit dem Hausbau anfingen, dachte ich, das wäre nicht ihr erstes Haus. Ich dachte, die hätten schon Erfahrung damit und müssten nicht noch lernen", sagt Olha Krasowska.
"Am Anfang war meine Einstellung zu Andrij negativ, wie gegenüber allen aus dem Donbass. Viele von ihnen sind schuld daran, dass der Krieg begonnen hat. Denn sie haben sich die 'russische Welt' gewünscht", erzählt Pawlo Bilous.
Das Verhältnis zu Andrij wurde besser – außer bei der Sprache. Pawlo will aus Prinzip nicht Russisch reden, Andrij nicht ukrainisch. Denn Andrij ist zwar Ukrainer, seine Muttersprache ist aber Russisch.
Der Hausbau eine Art Rehabilitierung
Den Haupteingang baut Pawlo jetzt selbst fertig. Das Grundstück bekam er als Veteran vom Staat. Im Obergeschoss leben die Kinder, die gerade in der Schule sind. Olha und Pawlo ernähren ihre Familie auch damit, dass sie selbstgemachten geräucherten Käse verkaufen. Pawlos Kameraden kämpfen noch immer an der Front. Und auch er hat die Zeit noch nicht ganz verarbeitet. "Als ich aus dem Krieg zurückkam, konnte ich lange Zeit nicht schlafen. Das Haus hier, das ist meine Nachkriegs-Rehabilitierung", so Pawlo Bilous. Auch für Andrij ist der Hausbau eine Art Rehabilitierung. Zahnbürste neben improvisiertem Kopfkissen. Zu dritt leben sie neben dem Bau in einer kleinen Hütte. Auf der Baustelle von Pawlo hatten sie bei winterlichen Minusgraden im Zelt geschlafen.
"Das ist besser als im Zelt. Ideal wäre natürlich eine transportable Unterkunft, um zu wissen, dass alles an seinem Ort ist. Wenn ich hier schlafe, brät Sergej schon mal Rühreier. Das ist nicht sehr komfortabel", sagt Andrij Piworawow.
Auf der Suche nach einer Heimat
Persönliche Gegenstände hat er kaum mitnehmen können. Donezk, Ukraine auf Andrijs T-Shirt – ein politisches Statement. Seine Familie ist durch den Krieg zerbrochen. "Ich bin jetzt allein, denn mein Vater und mein Bruder kämpften nicht auf unserer Seite. Sie haben ihre Entscheidung getroffen", so Andrij Piworawow.
Vater und Bruder haben sich schon vor Jahren den Milizen der selbsternannten prorussischen Donezker Volksrepublik angeschlossen. Der Kontakt ist fast abgebrochen, Andrij spricht mit innerlichem Zorn über sie, will weitere Fotos nicht zeigen.
"Vor ein paar Tagen war ich im Donbass, gut 100 Kilometer von meiner Heimat entfernt. Aber ich fühle da nichts. Ich möchte da nicht hin zurück. Es gibt dort zu viele schlechte Menschen", Andrij Piworawow.
Andrij hat Anfragen für weitere Aufträge. Vielleicht baut er auch einmal ein Haus in Kuppelform für sich. Denn vier Jahre nach seiner Flucht aus dem Donbass hat er eine neue Heimat noch nicht so richtig gefunden.
Autor: Demian von Osten / ARD Studio Moskau
Stand: 29.08.2019 05:29 Uhr
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