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Ukraine: 3. Kriegswinter: Kein Licht, keine Wärme

Ukraine: 3. Kriegswinter: Kein Licht, keine Wärme | Bild: WDR

Eine eigene Wohnung im 22. Stock – das war ihr Traum! Doch nun fühlt sich Liza hier oben oft ausgeliefert. Der ständige Beschuss. Allein im November rund 1.400 Drohnen und Raketenangriffe auf Kyjiw. Das Ziel vor allem: die Stromversorgung in der ukrainischen Hauptstadt. 

Leben mit ständigen Stromausfällen

"Tatsächlich ist es am schlimmsten, wenn es kein Licht gibt und wir dann auch noch beschossen werden. Es ist dunkel und wir hören Explosionen, und draußen fliegen Trümmerteile über Kyjiw herum. Bei uns sind überall Fenster. Gefährlich. Und es ist mühsam vom 22. Stock hinunterzugehen. Das war's, kein Licht mehr", erzählt Yelyzaveta Roshchyna. Mittlerweile hat sich die junge Mutter schon darauf eingestellt. In den wenigen Stunden, die sie Strom hat, bereitet sie alles vor, für die Zeit ohne Strom. Denn dann funktionieren auch die Pumpen nicht, die das Wasser in den 22. Stock hochpumpen. "Es gibt kein Wasser, schau – kein Wasser", sagt sie.

Deshalb legt sie Wasservorräte an. Und da der Beschuss immer schlimmer wird, hat die 33-Jährige erstmals Gemüse eingelegt: "Zucchini, Paprika, Gurken, Tomaten. Für lange Stromausfälle." Und die letzten Nächte haben sie fast alle hier im Korridor auf ihren Matten verbracht – zum Schutz – weg von den Fenstern. Ihr Mann ist Marketingmanager und arbeitet viel im Homeoffice. Auch er ist auf Strom angewiesen, um Geld zu verdienen. Sie müssen viel ausgeben für tragbare, leistungsstarke Powerstations. "Abends, wenn ich Konferenzen habe, sitze ich da und habe zwar meine Kamera an, aber man sieht mich kaum, weil es hier in Kyjiw kein Licht gibt. Wir sind jetzt beim vierten Update unserer Energieversorgung. Wir haben neue Batterien bestellt. Die kommen aus China. Aber es dauert. Hoffentlich bekommen wir sie noch diesen Monat", erzählt Oleksandr Roshchyn.

Strategische Angriffe auf die Energieversorgung

Ukraine: Yelyzaveta Roshchyna aus Kyjiw befürchtet einen harten Kriegswinter.
Ukraine: Yelyzaveta Roshchyna aus Kyjiw befürchtet einen harten Kriegswinter. | Bild: WDR

Lieferengpässe und hohe Preise. Für die kleine Familie bedeutet das immer mehr Ausgaben allein für die Stromversorgung. Und die Stromausfälle dürften noch schlimmer werden, so der Strahlenschutzexperte Jan Vande Putte. Denn das russische Militär gehe ganz gezielt vor. Die Angriffe auf das Versorgungsnetz der Ukraine seien genau geplant: "Denn Russland weiß ganz genau, was es tut und wie es vorgehen muss, um einen solchen Schaden anzurichten, weil es Teil des sowjetischen Systems war. Das ukrainische Stromnetz wurde im Sowjet-System entwickelt." Er sieht hinter den Angriffen eine klare Strategie. "Im Jahr 2022 begannen die Russen damit, zunächst die Stromleitungen anzugreifen und dann die Kraft- , Wasser und Kohlekraftwerke, um das gesamte Stromnetz zu schwächen", erklärt der Strahlenschutzexperte von Greenpeace.

Das führe dazu, dass die Ukraine, die ohnehin stark von Kernenergie abhänge, mittlerweile mehr als 60 Prozent ihrer Energieversorgung aus Atomstrom bekomme. "Die Strategie Russlands, zunächst die restlichen Kraftwerke  zu beschädigen, führt dazu, dass die Kernkraftwerke im Land unbedingt benötigt werden, um das Energiesystem überhaupt stabil zu halten. Gleichzeitig ist diese hohe Abhängigkeit von Kernenergie jetzt auch die größte Schwachstelle", sagt Jan Vande Putte.

Denn Russland greife nun auch vermehrt elektrische Knotenpunkte an – rund um die Kernkraftwerke herum. Sie sind zuständig für die Kühlung der Atomkraftwerke. Und diese Abhängigkeit von Atomstrom will man hier umgehen – in Gorenka, einem Vorort nördlich von Kyjiw. Das kleine Krankenhaus – komplett renoviert – ist mittlerweile eines von 40 Krankenhäusern, die mit Solaranlagen betrieben werden. Ein Pilotprojekt, so Chefärztin Olena Yusvak, das Schule machen sollte. Sie zeigt mir die Stromanzeige: "Die Angriffe mit Shahed-Drohnen hören nicht auf. Dann: Stromabschaltungen – geplante und Notabschaltungen – das hört nicht auf. Und es werden auch in naher Zukunft nicht weniger werden. Wir sind darauf vorbereitet. Von Mai bis Ende September waren wir völlig autark. Wir haben das externe Stromnetz überhaupt nicht gebraucht. Wir haben sechs Monate lang ausschließlich mit unserer Solaranlage gearbeitet."

Olena ist eigentlich Kardiologin, doch hier im kleinen Dorf-Krankenhaus macht sie alles. Oft geht es darum, einfach nur zuzuhören. Die Menschen – viele haben Angst, sind gestresst – und wollen nicht gefilmt werden. In Gorenka dauert der Alarm manchmal bis zu 16 Stunden, erklärt sie. Und dann ist das Krankenhaus plötzlich mehr als nur ein Krankenhaus: "Die Menschen kommen und laden ihre Handys hier auf, wenn der Strom mal wieder ausgefallen ist. Und hier gibt es kostenloses Internet. Eine Dorf-Klinik ist nicht nur ein Ort für medizinische Dienstleistungen. Für die Menschen hier ist das Krankenhaus zu einem Ort des Überlebens geworden."

Und auch Liza und ihre Familie versuchen den Alltag so gut wie möglich zu meistern – auch wenn dieser dritte Kriegswinter ihnen viel abverlangt: "Früher habe ich Schnee einfach nur geliebt. Jetzt ist mein erster Gedanke: Angst. Die Angst hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass dieser Angriffskrieg im Winter begann. Ich versuche gute Laune zu haben, aber das gelingt leider nicht immer. Und dann geht's wieder nach Hause. 22 Stockwerke muss sie ihren zweieinhalbjährigen Sohn hochtragen, denn der Strom ist immer noch nicht da."

Autorin: Birgit Virnich / ARD Kiew

Stand: 01.12.2024 19:39 Uhr

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