Mo., 03.12.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Ukraine: Eskalation oder Taktik?
Die Seenotrettung ist das wohl einzige Boot, das an diesem Tag fährt. Berdjansk, der zweitwichtigste ukrainische Hafen im Asowschen Meer. Nikolaj Jarmolenko ist hier Vorarbeiter. Doch im Moment hat er kaum etwas zu tun.
Keine Arbeit in Berdjansk
"Es gibt sehr wenig Positives. Ich will wirklich hoffen, dass man diesen Konflikt irgendwie lösen kann und alles wieder ganz normal wird. Aber nach vier Jahren Aggression – habe ich nur noch sehr wenig Hoffnung", so Nikolaj Jarmolenko. Nikolai Jarmolenko arbeitet seit über 20 Jahren in diesem Hafen. Er unterstützt mit dem Job auch die zwei Kinder. Die haben zwar Jura und Maschinenbau studiert, aber hier in Berdjansk keine Stelle gefunden.
"Es gibt keine Arbeit, keine Zukunft, also bleibt ihnen nur übrig, wegzugehen, aber das wollen sie auch nicht. Sie lieben ihr Land, sie lieben ihre Stadt", so Nikolai Jarmolenko. Ein Dilemma – viele seiner Kollegen haben schon entschieden: Sie verdienen jetzt in Polen oder Deutschland viel mehr als in Berdjansk.
Auch Alexander Gluschtschenko hat mal im Hafen gearbeitet – im Marketing. Im Oktober wurde er entlassen – das Schicksal teilt er mit Hunderten anderen. Er zeigt uns, wie sich Schiffe in der Straße von Kertsch zurzeit stauen. Die ist die einzige Zufahrt ins Asowsche Meer – und damit auch hierher nach Berdjansk.
"Die Situation im Hafen ist sehr schwierig"
"Russland und der Geheimdienst FSB haben sehr ernste Kontrollen eingerichtet. Sie halten Schiffe mindestens für mehrere Stunden oder Tage fest. Die Eigentümer der Schiffe beschweren sich, aber das hilft nicht. Es ist nicht mehr so profitabel, Schiffsladungen aus dieser Region zu verschicken", erzählt Alexander Gluschtschenko.
Viele Probleme im staatlichen Berdjansker Hafen sind hausgemacht. Managementfehler, zu hohe Kosten. Doch die mutmaßliche Blockade Russlands für Frachtschiffe hierher macht jetzt alles noch schlimmer.
Im Rathaus macht sich Bürgermeister Wolodymyr Tschepurnij Sorgen um einen der wichtigsten Steuerzahler der Stadt. "Die Situation im Hafen ist sehr schwierig. Bis zur Jahreshälfte hat er 20 % seines Umsatzes verloren. Jetzt wird er wegen der Blockade der Kertsch-Brücke noch mehr verlieren. Das wird sich auf den Etat der Stadt Berdjansk auswirken", sagt Wolodymyr Tschepurnij.
Unterstützung für festgenommene ukrainische Seeleute
Deshalb haben Aktivisten zu einer Demo aufgerufen. Auch Nikolai Jarmolenko ist gekommen. Die Menschen wollen die festgenommenen ukrainischen Seeleute aus der Ferne unterstützen. Russland bezeichnen sie als "Aggressorstaat". "Die russischen Besatzer haben am Sonntag unsere Schiffe angegriffen. Es war das erste Mal nach vier Jahren Krieg", so Galina Odnorog, Aktivistin Mariupol.
Die Menschen sind erleichtert, dass die Demo stattfinden kann – trotz Kriegsrecht, das seit Mittwoch gilt. Selbst unter Juristen gibt es Verwirrung, was erlaubt ist und was nicht. "Nach Kriegsrecht ist es wohl jetzt verboten, zu protestieren oder so etwas Ähnliches zu machen – ich verstehe, dass das richtig ist, aber wir haben ein friedliches Treffen zur Unterstützung, das ist keine Bewertung der Regierung", erzählt Nikolai Jarmolenko.
Zum Schluss singen die Menschen die ukrainische Hymne. Und fragen sich, warum Präsident Poroschenko ausgerechnet jetzt das Kriegsrecht eingeführt hat?
Autor: Demian von Osten/ARD Studio Moskau
Stand: 30.08.2019 04:01 Uhr
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