So., 30.04.23 | 18:30 Uhr
Ukraine: Suche nach den Toten des Krieges
Nicht immer können die Soldat:innen ihre gefallenen Kameraden an der Front bergen und ihren Angehörigen zurückbringen. Tote bleiben auf den Schlachtfeldern zurück. Myhajlo und seine Einheit kommen dann zum Einsatz. Oft erst Monate später, in einer Feuerpause oder wenn die Kämpfe abgeklungen sind. Dennoch bergen sie die Überreste von gefallenen Soldaten im Donbass und sammeln Beweise, die bei der Identifizierung helfen können. Die Überreste russischer Soldaten werden gegen eigene tote Soldaten eingetauscht und ihren Familien übergeben. Ein harter Job.
Seit Monaten werden die Toten eingesammelt
Die Ruhe ist zurück. Hier auf dem Land in der Region Charkiw leben vor allem Bauern, umgeben von Naturschutzgebieten. Doch vor wenigen Monaten tobten hier heftige Kämpfe. "Wenn man sieht, was hier passiert ist. Es ist einfach beängstigend", sagt Kommandeur Myhaljo. "Ich weiß nicht, was für eine Psyche diese Menschen nach solchen Ereignissen noch haben. Leider kann man sich das nicht ansehen, ohne zu weinen.” Auf den Schlachtfeldern bleiben Tote zurück – Tausende, Zehntausende. Sie mitzunehmen oft nicht möglich. Das weiß Myhajlo besser als die meisten. Er und sein Team haben eine düstere Aufgabe. Seit Monaten sammeln sie die Toten ein – Russen und Ukrainer. "Wenn wir russische Soldaten finden, haben sie auch einen Wert für uns, weil wir sie gegen unsere eigenen austauschen.”
Es geht dem Suchtrupp vor allem um die eigenen Kameraden. Alle, die für die Ukraine kämpfen, sollen wissen, dass sie sich hier um die Toten kümmern, ihr Andenken ehren. Deshalb nehmen die Männer ihre gefährliche Aufgabe sehr ernst. Heute suchen sie fünf ihrer Kameraden. "Wir haben alle Informationen darüber ausgewertet, von wo aus sie angegriffen wurden und wie sich unsere Jungs zurückziehen konnten. Jetzt gibt es eigentlich nur eine Gegend hier, wo sie sein könnten.”
Gefahr droht durch Minen
Bei dieser Suche riskieren sie ihr Leben. Das gesamte Gelände ist vermint. Um die Gefahr für den Suchtrupp zu verringern, ist ein Drohnenpilot dabei. "Meine Aufgabe ist es, dorthin zu fliegen, von oben zu schauen und zu sehen", erklärt Drohnenpilot Axel. "In den Feldern nach Überresten, menschlichen Überresten zu suchen, oder nach Minen, die offen auf dem Feld zu sehen sind.” Meter für Meter sucht er mit der Kamera seiner Drohne den Boden ab, warnt seine Kameraden vor Gefahren.
Den ganzen Tag ist der Suchtrupp unterwegs. Aber außer einer russischen Aufklärungsdrohne, russischen Waffen und viel Munition finden sie heute nichts. Die fünf ukrainischen Soldaten bleiben weiter verschollen. Müde kehren die Männer in ihre Unterkunft zurück. Die Ereignisse vom Tag beschäftigen sie. "Das Unbekannte ist jetzt für uns gerade … wie soll ich sagen, sehr schwierig", sagt Volodymyr. "Wenn Angehörige nicht wissen, was mit ihren Söhnen, den Eltern, ist, ist es am schlimmsten.”
Regelmäßig werden die Leichen ausgetauscht
Am Abend kommt ein Anruf. Der Bürgermeister von Husarivka. Ein Dorf, nicht weit entfernt. Am Dorfrand wurden tote Soldaten gefunden. Russen. Am nächsten Tag: Treffen mit Bürgermeister Yuri Doroshenko. Er zeigt ihnen, wo die Überreste der russischen Soldaten liegen. "Freiwillige haben sie gefunden. Sie fuhren die Straße entlang, wollten die Gummireifen sehen, dort drüben. Also gingen sie zu Fuß weiter und fanden die beiden Leichen.” Die Soldaten bereiten sich auf ihren Einsatz vor. Alles wird genau dokumentiert. "Wie immer, wie in jedem Fall, kommt es auf die Details an", erklärt Axel. "Wir machen alles nach dem Verfahren, das auf internationaler Ebene oder in der Gesetzgebung vereinbart wurde. Und wir machen das respektvoll.”
Auch wenn die russischen Soldaten Feinde sind, ist allen hier der respektvolle Umgang mit den Toten wichtig. Bei ihrer Arbeit müssen sie besonders vorsichtig vorgehen. Auch hier war das Gelände stark vermint, einige Minen wurden noch nicht geräumt. Und nicht selten verstecken Russen unter ihren toten Kameraden Sprengfallen, erzählen die Männer. Deswegen befestigen die Soldaten Seile an den sterblichen Überresten der russischen Soldaten und bewegen sie vorsichtig. "Lass uns von der Ecke aus ziehen." Alles scheint sicher, keine Sprengsätze.
Die Soldaten bereiten die Leichensäcke vor, bevor sie sie verschließen, untersuchen sie die Taschen der Toten gründlich, dokumentieren alles. "Überprüf die anderen Taschen der Uniform.” – "Ein Feuerzeug.” Die Männer finden Feuerzeuge, Zigaretten – aber zunächst nichts, was eindeutig auf die Identität der russischen Soldaten hinweist. Dann plötzlich: "Oh gut! Das brauchen wir!” Die Erkennungsmarke eines Soldaten. Auch Bankkarten finden sie später. Alles Hinweise, die helfen, die Toten zu identifizieren. Die Säcke mit den Leichnamen werden nicht lange in der Ukraine bleiben. Regelmäßig tauschen die Kriegsparteien ihre Toten aus. Die Männer hoffen, dass für diese beiden Russen zwei ihrer toten Kameraden zurückkommen, damit sie in Würde beerdigt werden können und die Ungewissheit für ihre Familien endet.
Autorin: Susanne Petersohn, ARD-Studio Kiew
Stand: 01.05.2023 00:06 Uhr
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