So., 23.06.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Ungarn: Hoffnung gegen Rechts?
Nur 19 Mitglieder zählt seine Partei und erst seit Anfang des Jahres macht er landesweit Politik. Und doch erobert der 43-jährige Péter Magyar mit seiner Partei Tisza bei der Europawahl fast 30 Prozent der Stimmen. Magyar verspricht die Korruption des "Systems Orban" und das Zerwürfnis mit den EU-Partnern zu beenden. Einst war er selbst Zögling von Orbans Fidesz Partei. Doch nach dem Bruch mit den Herrschenden fängt er im Stile eines Influencers die Stimmen einstiger Orban-Anhänger und die der zersplitterten Opposition. Wer ist dieser Péter Magyar wirklich? Ist er das Mittel gegen Rechts, nach dem ganz Europa sucht?
Eine neue pro-europäische Kraft in Ungarn
NEUE Hose oder doch die ALTE? … fragt Ungarns Newcomer Peter Magyar auf Instagram. 40.000 Stimmen, 51% für NEU … Das ist knapp, kommentiert der Mann, der in Ungarn Viktor Orbans Herrschaft beenden will. Die Wahl von sieben seiner Kandidaten ins EU-Parlament ist eine Sensation. Denn Magyars Tisza Partei existiert erst seit April. Jeder Abgeordnete wurde per Online-Voting Kandidat. Abstimmen durfte jeder Ungar registriert auf der Homepage der Partei. Der 43-jährige Jurist geht nun selber ins Brüsseler Parlament – auch das abgestimmt im "Netz". "Wir sind aktuell das zweitärmste und das korrupteste Mitgliedsland der Europäischen Union. Die Menschen haben genug davon. Sie wollen etwas Neues. Eine saubere Kraft, eine korruptionsfreie Partei ohne Lügen, ohne Propaganda."
Nur wenige Tage nach der EU-Wahl reist Manfred Weber, Chef der Fraktion der Europäischen Volkspartei, zum politischen Newcomer in Budapest. Magyars neue Partei soll und wird der EVP-Fraktion beitreten. Ein Pro-Europäer als Hoffnungsträger gegen den ungeliebten Viktor Orban? "Da gibt es neue Kräfte. Da gibt es ein Aufbäumen, auch der Bürgerschaft gegen eine einseitige Anti-Europäische und leider Gottes in einigen Bereichen auch korrupte Art Politik zu machen. Und das freut viele Freunde in Europa." Aktuell zählt diese "neuen Kraft" aber nur 19 Mitglieder. Es gibt keine Parteistrukturen, kein Programm und wenig Geld, um sich von Budapest aus im Land zu etablieren. "Wir sind wie eine Garagenfirma", sagt Peter Magyar. "Wir haben es geschafft, diese 30 Prozent zu erreichen, obwohl wir nur in Budapest und nicht landesweit Kandidaten aufstellen konnten. Wir werden aber die Partei aufbauen und wir werden noch ein Parteiprogramm erarbeiten."
Vom Anhänger Orbans zu dessen Gegner
Doch wer ist dieser Politiker im Stile eines Influencers eigentlich? Über Jahre war Magyar ein enger Gefolgsmann von Viktor Orban, bekleidete wichtige Posten im Fidesz System. Doch im Zuge eines landesweiten Pädophilie-Skandals und politischer Kungeleien bricht er mit Orban. Auf einem YouTube-Kanal spricht Magyar offen über die Vetternwirtschaft in Ungarn. Millionenfach wird das Video geklickt und der Politiker landesweit bekannt. In der Kleinstadt Kaposvar im Westen Ungarns erreichte Magyars TISZA-Partei über 33 Prozent. Aber warum? In dem Rathaus gleich neben der Kirche regiert seit 30 Jahren der Bürgermeister der Fidesz-Partei – stets gewählt mit absoluter Mehrheit. Die Stadt scheint wirtschaftlich gesund – auch dank vieler Millionen Euro von der EU. Ältere Stammwähler, die wir hier treffen, wollen keine "Experimente" mit politischen Neulingen. "Die Tisza-Partei? Was ich von der halte? Ich denke sie kommt von nirgendwo und geht auch nach nirgendwo. Ich halte Peter Magyar für einen unintelligenten, unkultivierten Menschen – so wie der spricht."
Dennoch – auf seiner Wahlkampfveranstaltung in Kaposvar feiern tausende Anhänger Peter Magyar, direkt vor dem Rathaus der Fidesz-Partei. Wird das System Orban erschüttert? Orbans Partei verliert in Kaposvar zwar sieben Prozent. Doch in Massen wechseln die Wähler der alten linken und liberalen Opposition zur Tisza-Partei. Dazu kommen viele bisherige Nichtwähler. Offen reden über den neuen Herausforderer Orbans will in der Stadt aber kaum einer. Man spürt Zurückhaltung, Angst. Immerhin Gabriella redet mit uns. "Jeder hier hat Angst, seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Vielleicht ist es in Budapest ein bisschen einfacher, aber wenn man auf dem Land seinen Job verliert, kann man völlig mittellos sein, dann man kann buchstäblich verhungern."
Erfolgreiche politische Alternative oder Ein-Mann-Show?
Karoly Farkas und Tomaz Kovacs sind Aktivisten, sie wollen in Kaposvar die neue TISZA-Partei aufbauen. Das restliche Team will sich öffentlich nicht zeigen. Doch die beiden Männer haben nicht viel zu tun. Die Homepage der Partei, Facebook, Instagram oder TikTok füllt Peter Magyar als Influencer praktisch allein mit politischen und privaten Inhalten. Es geht um Follower und clicks. …. Jeder Ungar mit bekannter E-Mailadresse darf mitmachen.
"Es gibt ja gerade eine Abstimmung über die Hose – ob sie so bleibt oder er sich eine Neue kaufen soll", sagt Karoly Farkas. "Es ist wohl etwas ungewöhnlich in der Politik aber dennoch interessant für den einfachen Menschen." Als Pro-Europäer haben Orbans Herausforderer Peter Magyar und sein Team in Kaposvar und ganz Ungarn einen Erfolg erzielt. Doch ohne eine schlagkräftige Partei und ohne Einfluss auf die von Orban-Getreuen gesteuerten Medien scheint die Eroberung der Rathäuser und der Köpfe der Mehrheit der Ungarn noch fern.
Autor: Bernhard Niebrügge, ARD-Studio Wien
Weltspiegel Podcast auch zu diesem Thema: "Ist Ungarn ein Hoffnungsschimmer für die EU?" mit Anna Tillack, ARD-Korrespondentin Osteuropa und Jana Puglierin vom European Council on Foreign Relations (ECFR). Host: Joana Jäschke, Redaktion: Steffi Fetz. In der ARD Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt.
Stand: 24.06.2024 13:34 Uhr
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