Mo., 08.02.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
USA: Geld verdienen mit Gefangenen
Wallstreet – das Handelszentrum in New York. Hier kommt einer, der so gar nicht hierhin passt: Alex Friedman hat eingesessen, acht Jahre wegen schweren Raubes. Heute ist er ein Aktivist und kritischer Aktionär. Er hat hier Anteile an kommerziellen Gefängnisunternehmen gekauft, um so von innen Druck auf Firmen und Investoren zu machen.
Alex Friedman, Prison Legal News: "Diese Gefängnisunternehmen handeln asozial. Sie haben kein Interesse an Resozialisierung. Sie wollen solange wie nur möglich möglichst viele Strafgefangene wegschließen, denn daran verdienen sie."
Kleinkriminelle im Gefängnis in der Wüste
Die Wüste von Arizona: Jobs sind rar in dieser gottverlassenen Gegend, die Löhne konkurrenzlos niedrig. Mittendrin: ein riesiges Privatgefängnis, gebaut und bislang betrieben von der Firma MTC, weithin der größte Arbeitgeber in der Gegend von Kingman. Hier sitzen 3500 Männer ein, hauptsächlich Kleinkriminelle, die meisten verurteilt wegen Drogenbesitzes oder Leute wie Steven – hier sein Hochzeitsbild: kein Verbrecher, ein Alkoholiker, für sechs Jahre weggeschlossen, weil er mehrmals alkoholisiert Auto gefahren ist.
Besuchen im Gefängnis dürfen wir ihn nicht. Also haben seine Frau und sein Freund ein Telefongespräch arrangiert: Steven geht es schlecht im Kingman-Gefängnis: Er sei dort schwer verletzt worden, und nun verweigere man ihm eine Kernspintomographie. Am Telefon sagt er: "Mein Knie ist kaputt, ich kann es nicht belasten. Während wir jetzt sprechen, sitze ich im Rollstuhl."
Seine Frau Susie Estes sagt: "Die wollen das Geld nicht ausgeben. Wenn sich herausstellt, dass das Gefängnis für die Verletzung verantwortlich zu machen ist, dann könnte es richtig teuer für sie werden. Also verweigern sie ihm die notwendige Kernspinuntersuchung."
Arizona sperrt weg
Strafvollzug in Arizona: Der Bundesstaat ist bekannt für seine drakonischen Strafen auch bei kleinen Delikten, für die exorbitant hohe Rückfallquote seiner Gefangenen und das Faible seiner Politiker für die Belange von Privatgefängnissen.
Patty Altman hat in Kingman fünf Jahre lang Leute wie Steven bei der Resozialisierung betreut. Im vorigen Jahr hat sie völlig frustriert den Job gekündigt. Sie erzählt uns, wie schlimm, wie untragbar die Zustände seien: Die Gefängnisverwaltung spare an allen Ecken und Enden: "Die Ausbildung des Personals ist erschreckend schlecht. Und ständig gibt es Wechsel. Das muss einen nicht wundern, denn MTC hat die Ausbildungszeit für das Personal erheblich verkürzt."
Seitdem Patty offen über die Zustände im Gefängnis spricht, wird sie in Kingman geschnitten: zu viele sind hier auf die Jobs im Knast angewiesen. Bei ihr Zuhause berichtet sie vom tragischen Tod des jungen Neil Early, der im Januar 2015 unter den Augen der Wärter von Mithäftlingen gequält wurde: "Sie haben ihn mit einem Besenstiel vergewaltigt. Über Tage blieb das unentdeckt." Und sie zeigt uns das Bild von Vincent Alonge, ein kleiner Drogendealer, schwer erkrankt an Hepatitis C, seine Leber ist kaputt: "Sie hätten regelmäßig sein Blut untersuchen, ihn pflegen müssen. Aber das haben sie nicht gemacht. Sie haben ihn abgewiesen und zwar so: 'Du hast Dir eine Gelbsucht eingefangen: selber schuld! Glaub bloß nicht, dass wir Dir jetzt helfen.'"
Ein Konzern, der Strafe als Geschäft betreibt
MTC weist alle Vorwürfe als haltlos und unbegründet zurück. In den Werbespots der Firma gibt es nur zufriedene Gesichter. Das Geschäftsmodell der privaten Gefängnisfirmen ist krisenfest und sicher: bezahlt wird pro Tag pro Kopf – wie im Hotel – oftmals kombiniert mit einer Belegungsgarantie.
Alex Friedman von Prison Legal News kennt die Einzelheiten: "Viele Verträge enthalten Klauseln, mit denen die Belegung der Gefängnisse mit Strafgefangenen garantiert wird. Der Staat muss auch dann zahlen, wenn die Belegungsrate nicht erreicht wird."
Alex, der kritische Aktionär, ist Stachel im Fleische der kommerziellen Gefängnisbetreiber. Er kennt ihre großen Geldgeber, die Hedgefonds und Banken von der Wallstreet. Er verfolgt genau, wer wann wieviel spendet, um sich die Entscheidungsträger in der Politik gewogen zu machen. Auch Politiker im Staate Arizona wurden üppig bedacht: "Was die Firmen dafür bekommen? Lukrative Verträge, eben solche, wo der Profit durch eine feste Belegungsrate garantiert wird."
Arizona garantiert für Kingman 97 Prozent Belegung und zahlt 60 Dollar, zehn Cent pro Tag und Häftling. Wie viel MTC hier verdient hat, mag die Firma nicht bekanntgeben.
Aufstand in Kingman
Am 1. Juli 2015 revoltierten die Gefangenen – Auslöser: ein Häftling war von einem Wärter besonders brutal behandelt worden. Die Regierung hat nur diese vier Bilder von dem Aufstand veröffentlicht. Steven, nachweislich an der Revolte nicht beteiligt, haben danach Wärter das Knie zertrümmert, vorsätzlich, wie er sagt: "Die zogen mich raus. Ich sagte ihnen, dass ich am Knie verletzt sei. Da hat mir einer von ihnen noch einmal voll aufs Knie getreten. Und dann ließen sie mich so 17 Stunden am Boden liegen."
Patty Altman: "Ich habe die Revolte kommen sehen; die Häftlinge haben mit mir darüber gesprochen. Und ich habe die Gefängnisleitung gewarnt, von der Wut der Häftlinge erzählt. Aber die wollten nicht hören: 'Wir lassen uns doch von denen keine Vorschriften machen.'"
Übrigens: die Aufsichtsbehörde der Regierung Arizona hat die Anschuldigungen von Patty inzwischen weitgehend offiziell bestätigt. Der Firma MTC wurde die Aufsicht entzogen. Statt MTC übernimmt nun eine andere private Firma – zu denselben Konditionen mit demselben Personal. Business as usual in Arizona!
Autor: Markus Schmidt, ARD New York
Stand: 11.07.2019 02:12 Uhr
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