So., 10.09.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
USA: Hawaii nach der Feuerwalze
Noch immer hängt Brandgeruch über Lahaina. 80 Prozent sind zerstört. Holzkreuze am Straßenrand erinnern an die Toten. Wie es mit Lahaina weitergeht, darüber fangen sie erst langsam an nachzudenken. Jetzt geht es erstmal darum, denen zu helfen, die alles verloren haben. Vene Chun kocht mit seiner Familie Essen für die, deren Häuser abgebrannt wurden und jetzt in den Hotels untergebracht sind. Vene Chun ist Cultural Advisor, eine Instanz unter den Hawaiianern. Er engagiert sich für den Erhalt von Traditionen und Kultur. Wie wird es weitergehen, darüber fangen die Menschen gerade erst an zu diskutieren. War der Tourismus mit Schuld an der Brandkatastrophe? Vene hofft jedenfalls, dass alle anfangen umzudenken. Nachhaltigkeit und eine Rückbesinnung auf hawaiianische Landwirtschaft zum Beispiel. Früher hatte nämlich jede Familie einen Fischteich auf ihrem Grundstück. Vielleicht hätte das geholfen, das Feuer einzudämmen.
Der Weltspiegel-Podcast beschäftigt sich ebenfalls mit dem Thema: "Megafeuer im Paradies – Hawaii nach dem Brand". Joana Jäschke spricht mit Sarah Schmidt, ARD-Korrespondentin in den USA und Alexander Held, Forstwissenschaftler. In der ARD-Audiothek und überall da, wo es Podcasts gibt.
Auch nach fünf Wochen immer noch Brandgeruch
Die Feuer brechen gleich an mehreren Orten aus, walzen sich – angefacht durch starken Wind eines vorbeiziehenden Hurrikans – unter anderem vor bis in die Küstenstadt Lahaina. Es gibt Hinweise darauf, dass Funken aus abgerissenen Stromkabeln trockenes Gras entzündet haben könnten. Offiziell steht die Ursache des Feuers noch nicht fest. Auch wenn die Feuer mittlerweile gelöscht sind: Brandgeruch hängt über den Mauern, den Autowracks. Kommt der Wind vom Meer, trägt er ihn auch jetzt, knapp fünf Wochen nach der Katastrophe, herüber zu Elle und Kalei. Beide sind in Lahaina aufgewachsen. Elle vertritt die Stadt sogar im hawaiianischen Parlament. "Ich weiß nicht, was es ist. Vielleicht Akzeptanz?", fragt sich Elle Cochran, Anwohnerin und Abgeordnete. "Ist das eine der fünf Phasen der Trauer oder so? Ich meine...Ich akzeptiere nicht, was ich sehe. Aber ich weiß, dass wir weitermachen, uns davon erholen müssen. Und dass wir die Menschen aufbauen und ihnen helfen müssen."
Kalei nimmt uns mit in ihre Nachbarschaft. Es ist deutlich ist sichtbar, wer hier alles verloren hat und wer nicht. Manchmal liegt nur eine Straße zwischen verbrannten und intakten Häuser. "Es war einfach so schockierend. Niemand wusste, was los war. Niemand hatte Internet. Die Welt wusste Bescheid. Wir nur, dass es ein Feuer gibt. Mehr nicht. Außer, dass wir wegmussten." Bei ihr habe die Polizei geklopft. Andere werden vom Feuer überrascht. "Der Stau mit den Autos und den Leuten, die sich nur ihre Sachen schnappten. Sie sind einfach los. Es gab keine Vorbereitung, keine Vorwarnung. Der Wind war überall. Ich fühlte mich, als würde ich mit dem Auto abheben. Gott sei Dank hatte ich das Auto, in das ich gesprungen bin. Ich weiß nicht, was sonst passiert wäre."
"Wir leben jetzt auf eine Art und Weise, die uns eigentlich fremd war"
Auf Maui brechen alte Konflikte auf: Traumstrände, Surfen, Sonnenuntergänge – dafür ist Hawaii bei Touristen beliebt. Sie bringen das Geld auf die Inseln – das ist die eine Seite. Für die andere Seite sind diese staubigen Mietwagen auf einem trockenen Feld am Flughafen fast ein Symbolbild: Wer vom Festland kommt, hinterlässt seine Spuren, konkurriert mit den Hawaiianern um knappe Ressourcen wie Wasser. Hanalei Colleado hat davon genug. Er hat eine Schweinefarm. Hier kommen heute Familie und Freunde zusammen, um Essen für die Menschen in Lahaina zu kochen. Sie müssen kämpfen, sagt er in seinem Gebet – für Lahaina. Aber auch für eine andere Art, auf den Inseln zu leben. Wenn es nach ihm geht, sollten gar keine Touristen mehr kommen. "Die Leute kommen mit guten Absichten. Aber machen sie unsere Kultur und uns zu ihren Prostituierten. Sie vergewaltigen unsere Ressourcen im Namen von was auch immer und gehen. Wir bleiben mit ausgebeuteter Erde zurück. Und leben jetzt auf eine Art und Weise, die uns eigentlich fremd war." Es gibt zwei Mauis: Grüne Wälder auf der einen Seite der Insel. Lahaina liegt auf der anderen. Hier wächst vor allem Gras, das im Sommer trocken wird. Die lokale Landwirtschaft wurde unter anderem durch Zuckerrohrplantagen verdrängt. Die sind verschwunden. Geblieben ist trockenes Gras, das nach Hawaii eingeschleppt wurde, ein Brandbeschleuniger. An Lahainas Umgehungsstraße ist noch immer zu sehen, wo die Feuerwalze entlangraste.
Hätte nachhaltige, traditionelle Landwirtschaft die Feuer verhindern können? Vene Chun ist Cultural Advisor. Er gibt in dieser Funktion sein Wissen über die hawaiianische Kultur, aber auch traditionelle Anbaumethoden weiter. Im Moment organisiert er vor allem Hilfe für Lahaina. "Unser Gott, hat uns zwei Hände gegeben: Eine Hand, um uns selbst zu helfen. Und die zweite, um anderen zu helfen. Wir haben das Glück, dass wir von den Bränden verschont geblieben sind. Jetzt ist es unsere Verantwortung, die zu unterstützen, die Hilfe brauchen." Im so genannten Imu, einer Art Ofen im Boden, werden Schweine gegart. Eingewickelt in Bananenblätter, abgedeckt von in Wasser getränkten Jutesäcken. Heiße Steine sorgen für die richtige Temperatur. Wir dürfen zusehen, wie sie das Fleisch aus dem Imu holen, vom Knochen trennen und für diejenigen, die alles in den Flammen verloren haben, verpacken. "Warum ist dieses traditionelle Essen besser für die Menschen als das aus dem Supermarkt?" Vene Chun sagt: "Es zeigt die Liebe, die Aloha meint. Mana, die Energie. Das ist in das Essen eingeflossen. Es ist nicht industriell verarbeitet. Es kommt von arbeitenden Händen. Und das merken die Menschen. Sie sehen vielleicht einen Strang eines Bananenblattes und wissen, dass es frisch gekocht wurde. Im Imu, auf unsere natürliche Art, nicht in einer Folie oder so."
Zerrissen zwischen Tourismus und Tradition
Die touristische Seite Mauis sieht so aus: Restaurants, Cafés, Souvenirshops. Im Moment kommen kaum Reisende wegen der Brände. Dass es hier voll ist, liegt an einer Spendenaktion für Lahaina. Organisiert von einem Profi-Surfer. Die Weltelite der Wellenreiter hat Surfbretter gespendet. Sie werden versteigert. Insgesamt 41.000 Dollar kommen so für Feuerwehr und Retter zusammen. Auch Aaron "Moose” Reichert packt an. Er betreibt mehrere Fahrradläden. Im Moment vermietet er kaum Räder. Ich erzähle ihm von dem, was Hanalei gesagt hat: Keine Touristen mehr auf Hawaii. Was er davon halte, will ich wissen. "Ich glaube, an allem ist etwas Wahres dran. Was unsere Erde angeht, leben wir über den Verhältnissen. Aber die traurige Wahrheit ist: An diesem Ort ist der Tourismus tief verwurzelt. Alles basiert darauf. Und wir brauchen Touristen. Wir Locals, die Hawaiianer und alle, die schon seit Generationen hier leben. Egal in welchem Maße. Wir werden hier immer Tourismus haben."
Ich erlebe eine Insel – zerrissen zwischen Tourismus und dem Wunsch der Hawaiianer zurückzukehren zu alten Traditionen. Vene versucht, beides zu kombinieren. "Wir wollen, dass die Touristen kommen. Aber wir wollen auch in der Lage sein, uns selbst zu versorgen. Wir wollen nicht hilflos sein und betteln: Wir brauchen dies, wir brauchen das. Unsere Vorfahren haben hier ohne Hilfe von außen gelebt. Sie waren erfolgreich durch ihre Lebensweise: Der Harmonie, wie sie in Einklang mit Land und Meer gelebt haben." Er hofft, dass zumindest auf diesen kleinen Inseln mitten im Ozean ein Umdenken stattfindet. Dann wäre etwas Positives aus der Katastrophe auf Maui entstanden.
Autorin: Sarah Schmidt, ARD-Studio-Washington
Stand: 10.09.2023 23:06 Uhr
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