So., 02.08.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
USA: Joe Biden – Wahlkampf aus dem Keller
Einmal im Jahr wird im kleinen Städtchen Punxsutawney, Pennsylvania, ein Murmeltier geweckt und aus seinem Bau gezerrt. Es soll wie ein Orakel das Wetter vorhersagen.
Eine Biografie voller Schicksalsschläge
Das gefeierte Murmeltier heißt Punxsutawney Phil. Als "Punxsutawney Joe" verspotten die Republikaner den in Pennsylvania geborenen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden. Denn der Demokrat verlässt sein Haus Corona-bedingt derzeit ähnlich selten wie ein Murmeltier.
Aus dem heimischen Keller tritt Biden per Liveübertragung im Internet auf. Hier spricht er mit Angehörigen von Gewaltopfern und versucht zu trösten.
Joe Biden: "Ich habe zwei Kinder verloren. Eins bei einem Unfall und eins durch Krankheit. Und das ist etwas, das Eltern niemals erwarten. Du hast das Gefühl, von einem schwarzen Loch in Deiner Brust verschluckt zu werden. Du gehst verloren und das geht niemals weg."
Joe Biden ist mit 29 Jahren gerade in den US-Senat gewählt worden, als seine Frau und seine Tochter bei einem Autounfall sterben. Die beiden Söhne überleben verletzt. Biden legt im Krankenhaus den Amtseid als Senator ab.
Während seiner Zeit als Vizepräsident muss Biden einen weiteren Schicksalsschlag hinnehmen. Sein Sohn Beau stirbt an einem Gehirntumor.
Stärken von Joe Biden
Selbst politische Gegner wie der republikanische Politikberater Liam Donovan sagen, dass Biden angesichts seiner Biografie über Eigenschaften verfüge, die viele Wähler bei Präsident Trump vermissen würden.
"Die größte Stärke von Joe Biden ist etwas, das sogar republikanische Wähler respektieren: Seine Authentizität wenn es um seine Familie geht, wenn es um den Verlust geht, den er als junger Mann erlitten hat. Ihm gelingt es, Ernsthaftigkeit und Empathie zu zeigen", so Liam Donovan, Politikberater.
Für den 77-jährigen Biden sei es ein großer Vorteil, gerade nur selten auftreten zu müssen. Denn man merke ihm sein hohes Alter an. Er sei anfällig für Versprecher.
Der Republikaner Donovan glaubt, dass es für Präsident Trump extrem schwer wird, das Weiße Haus zu verteidigen.
"Der Präsident verliert gerade nicht gegen Biden. Er verliert gegen das Virus. Diese Wahl dreht sich um das Virus und der Präsident hat es nicht in den Griff gekriegt und auch keine Ernsthaftigkeit gezeigt, es zu kontrollieren. Das ermöglicht es Joe Biden bisher, dass der Wahlkampf sich nicht um ihn drehen muss", erzählt Liam Donovan, Politikberater.
Vertrauen ist Biden wichtig
Nur gelegentlich gibt Biden Pressekonferenzen in einer nahe gelegenen Turnhalle. In dieser Woche verschärft er die Attacken auf Präsident Trump. Joe Biden: "Donald Trump hat bei seiner Bewährungsprobe versagt. Als Präsident wird man an der Pflicht gemessen, sich um das ganze Land zu kümmern und nicht nur um seine Chancen auf die Wiederwahl. Er hat gezeigt, dass er die Pandemie nicht besiegen kann und Sie nicht schützen kann."
Joe Bidens Wahlkampf ist ungewöhnlich, aber erfolgreich. In den landesweiten Umfragen führt er deutlich vor Präsident Trump. Auch in wichtigen US-Bundesstaaten, die letztes Mal Trump für sich gewinnen konnte, hat Biden einen Vorsprung.
In den kommenden Tagen will er das Geheimnis lüften, wen er als Vize-Präsidentschaftskandidatin nominiert.
Vertrauen ist Biden wichtig. Das spricht für Susan Rice, die ehemalige Nationale Sicherheitsberaterin von Präsident Obama. Sie hat allerdings keine Wahlkampferfahrung.
Die bringt Kamala Harris mit. Die Senatorin aus Kalifornien griff jedoch im Vorwahlkampf der Demokraten Biden frontal an. Elizabeth Warren wäre die richtige Kandidatin, um den linken Parteiflügel zu mobilisieren.
Rennen ist noch offen
Sollte Biden tatsächlich ins Weiße Haus einziehen – wie würde sich das Verhältnis zwischen den USA und Deutschland ändern? Karen Donfried war Europa-Beraterin von Präsident Obama und ist auch mit Bidens Denken gut vertraut.
"Es ist klar, dass Joe Biden ein Deutschland-Kenner, ein Europa-Kenner ist. Er war jahrzehntelang in unserem Senat, er war Vize-Präsident. Ich habe auch mit ihm gearbeitet, er hat auch großes Interesse an Deutschland und Europa. Ich glaube das wird eine Priorität für ihn sein", sagt Karen Donfried, Präsidentin German Marshall Fund.
Doch auch unter einem Präsidenten Biden würden die Amerikaner viel von Deutschland fordern, betont Donfried.
"Sie werden immer weiter verlangen, dass Deutschland und Europa mehr für ihre eigene Verteidigung machen. Ich glaube wir werden auch schwierige Gespräche über das Verhältnis zu China haben. Ich glaube vom Stil her wird das sehr anders sein. Aber die Probleme werden immer weiter da sein", erzählt Karen Donfried.
Noch sind es drei Monate bis zur Wahl. Die Chancen scheinen groß, dass der als Murmeltier verspottete Joe Biden gewinnt. Doch es kann noch viel passieren. Und auch Umfragen können falsch liegen. Genau wie Punxsutawney Phil. Dessen Wettervorhersagen trafen nur in 39 Prozent der Fälle zu.
Autor: Jan Philipp Burgard/ARD Studio Washington
Stand: 03.08.2020 07:51 Uhr
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