So., 05.09.21 | 19:20 Uhr
Das Erste
USA: Kinder des 11. September
Als die Flugzeuge ins World Trade Center flogen, war Brook Peters fünf Jahre alt. Damals wohnten er und seine Mutter neben einer Feuerwehr-Station direkt in der Nachbarschaft von Ground Zero. Beide überlebten – äußerlich unverletzt. Aber der Terroranschlag hat ihr Leben nachhaltig geprägt. Heute ist Brook 25, Karriere interessiert ihn nicht, er will etwas Sinnvolles mit seinem Leben anfangen, sagt er. 20 Jahre nach dem Terroranschlag, der die Welt so stark erschütterte, und so viel Gewalt und Gegengewalt erzeugte, ist das die ganz persönliche Lehre, die Brook daraus zieht.
Der Weltspiegel Podcast beschäftigt sich auch mit dem Thema des 11. September: "Wie 9/11 den Nahen Osten veränderte."
Der Terror hat die Welt für immer verändert
Die Erinnerung an den 11. September 2001 ist für Brook noch immer gegenwärtig, sie hat sich tief in sein Gedächtnis gegraben, auch wenn er damals noch ein kleiner Junge war. "Wenn ich hierherkomme, fühle ich den Druck in meinem Magen und die Leere unter meinen Füßen. Dann erinnert man sich, was hier geschah, aber auch wie wir die Stadt wieder aufgebaut haben." Brook war fünf Jahre alt und ein großer Fan der Feuerwehr. Die Feuerwache um die Ecke war sein zweites zuhause, die Firefighter seine Helden und Ersatzväter.
Es war Brooks zweiter Tag in der Vorschule, nur 500 m vom World Trade Center entfernt, als der Terror seine Welt für immer veränderte. Wenn Brook heute an seine Schule zurückkehrt, fällt ihm alles wieder ein. Seine Mutter hatte ihn abgeholt und zur Feuerwehr gebracht, dort wähnte sie ihn sicher. Aber dann entschied sie sich doch, mit ihm wegzulaufen. "Es war eine furchtbare Szene. Es war eine Woge von Asche und Glas, die uns traf, als meine Mutter mich aus dem Feuerwehrauto holte und nach Norden rannte. Ich habe über ihre Schulter gesehen, wie die Türme zusammenfielen, wie Leute runtersprangen – alles vor meinen Augen."
Die Erlebnisse müssen verarbeitet werden
Es war 9:59 Uhr als der Südturm einstürzte – eine halbe Stunde später auch der Nordturm. mit ihm verschwanden auch elf seiner persönlichen Freunde von der Feuerwache 24. Bevor die Männer in die Türme gehen mussten, hatten sie dem kleinen Brook in ihrer Verzweiflung Abschieds-Nachrichten für ihre Familien hinterlassen. Aber der Fünfjährige bringt alles durcheinander und hat deshalb jahrelang Schuldgefühle. "Ich musst lernen, mit dieser Schuld umzugehen, mit diesen Gefühlen. Eine der letzten Nachrichten, die ich bekam, lautete: werde ein guter Mensch, kümmere Dich um Deine Mutter, aber vor allem werde ein guter Mensch. Seitdem versuche ich das."
Vor zehn Jahren, als Brook gerade 15 war, hat er einen Film über sich und seine Erlebnisse gedreht. Er hatte sieben Jahre Therapie hinter sich. "Umgeben von so viel Tod und häufigen Beerdigungen wurde ich gezwungen früher reifer zu werden", sagte Brook im Jahr 2011. "Hinter der Kamera war es wie hinter einem Schutzschild, wenn man etwas sieht, was einen eigentlich zum Weinen bringt. Es ist ein Puffer und hilft damit, klarzukommen." Wie allein er mit seinen Erfahrungen war, ist Brook erst später klargeworden. Seine Freundin Claire bewundert ihn für seinen preisgekrönten Film, aber für Brook war er überlebenswichtig, weil er die Perspektive eines Kindes zeigt. "Den Film zu machen, zeigte mir, dass ich nicht allein war. Obwohl ich so viele Vaterfiguren und Vorbilder verloren hatte, war das Trauma, das ich mit meinen Klassenkameraden erlebt hatte, nicht nur mein eigenes."
Zweifel am Krieg der USA in Afghanistan und im Irak
Mit ihrem Hund Lion leben Brook und Claire seit Covid einen ziemlich zurückgezogenen Alltag. Filmemacher ist Brook nicht geworden, er hat stattdessen Philosophie studiert. Jetzt ist er schon länger auf Arbeitssuche. "Ideal wäre etwas, womit ich Menschen helfen kann, ob in der lokalen Regierung oder für eine gemeinnützige Organisation. Ich will etwas verändern, in der Politik oder anderswo." Obwohl Brooks Leben so stark von den Terroranschlägen beeinflusst war, kennt er keine Wut. Er hat auch Zweifel an der damaligen Reaktion seines eigenen Landes. "Ich weiß nicht, ob der Krieg in Afghanistan mir hilft, damit abzuschließen. Wir haben Billionen ausgegeben und Tausende Soldaten sind gestorben. Und noch viel mehr Menschen in Afghanistan und davor im Irak. Wir haben keine Probleme gelöst. Ich glaube nicht, dass man damit Frieden findet."
Die Furcht vor neuen Anschlägen hat Brook durch sein ganzes Leben begleitet, Aber er lässt sich dadurch nicht einschüchtern. "Es geht vor allem um Widerstandsfähigkeit. Alle müssen über diesen Hügel. Sei es ein Berg oder ein Ameisenhügel. Das durchzustehen und konstruktiv zu nutzen, könnte die Welt zu einem besseren Ort machen." Am Jahrestag der Anschläge will Brook seine alte Feuerwache besuchen. Um vielleicht doch Frieden zu finden.
Autorin: Christiane Meier, ARD-Studio New York
Stand: 05.09.2021 20:43 Uhr
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