So., 02.04.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
USA: New York – Polizisten gesucht
Tag und Nacht – Sirenen. Kein Tag ohne Mord, alle 30 Minuten ein Raubüberfall. Die New Yorker Polizei, kurz NYPD, im Dauereinsatz.
13 Jahre war sie bei der Polizei, auf der Straße, under cover, immer mit Leidenschaft. Jetzt macht Jillian Snider den Nachwuchs fit für den Einsatz in Manhattan. Sie genießen eine der besten Ausbildungen in den USA. Und trotzdem wollen viele später wieder weg aus der größten Polizeibehörde im Land. "Wir müssen respektvoll miteinander umgehen, so meine Botschaft. Aber das sehen wir im Moment nicht. Wir erleben viel Unzufriedenheit und Polizisten, die andere zermürben. Das ist einer der Gründe, warum so viele gehen", erzählt Jillian Snider.
Allein im vergangenen Jahr verließen 3700 Beamte das NYPD, ein Rekord. Von wegen Super-Helden – die Polizist:innen werden längst nicht mehr gefeiert wie früher. "Es ist ein harter Job, jeden Tag aufzustehen, um in einer Stadt zu arbeiten, die deinen Einsatz nicht schätzt. Und ständig dieser negativen Atmosphäre ausgesetzt zu sein", sagt Jillian Snider.
Von New York nach Florida
Die New Yorker und ihre Polizei. Seit den Black Lives Matter Protesten und Ausschreitungen ist dieses Verhältnis endgültig vergiftet. Der Traumjob – in New York für viele ist er zum Alptraum geworden. Nicht nur wegen der Sonne zieht es immer mehr New Yorker Polizist:innen nach Florida. Das politische Klima erleichtert ihnen den Neuanfang, etwa in Port Saint Lucie.
Sean McEneaney tritt hier seit August zum Nachtdienst an. Wie alle Neueinsteiger:innen muss auch Sean erstmal nachts Streife fahren. Trotz seiner neun Jahre beim NYPD. Aber alles besser als in New York, sagt er. Beschimpft und bespuckt in der Stadt, fühlte er sich allein gelassen von seinen Chefs, die ihm ständig mehr Schichten aufbrummten. "Da bist du nur eine Nummer, kein Mensch, was doch ein großer Teil unseres Jobs ist. Ich musste meine Verlobungsparty verschieben, weil ich nicht freimachen durfte, musste stattdessen Überstunden machen", erzählt Sean.
In New York hatte er 20 bis 25 Einsätze in einer Schicht, hier jagt er einem Autofahrer hinterher, der ein Stoppschild überfahren hat. Dennoch ist Vorsicht angesagt: Waffen gibt es hier jede Menge. "Good evening", sagt Sean. Kein Führerschein, kein Ausweis. Er wolle ins Krankenhaus, sich krankschreiben lassen, sagt der Mann. Mitten in der Nacht. "Etwas komisch, ehrlich gesagt", reagiert der ehemalige NYPD-Polizist.
Es bleibt bei einer Verwarnung. Spektakulär sind seine Einsätze hier selten. Wer sich für Florida entscheidet, bekommt 5000 Dollar Bonus, Unterstützung beim Umzug und Hauskauf, zahlt weniger Steuern als in New York. "Gouverneur De Santis ist ein großer Unterstützer der Strafverfolgungsbehörden – in New York war es das komplette Gegenteil. Da hattest du jeden Tag das Gefühl, das sowohl die Leute, für die du im Einsatz bist, aber auch die Politiker dich von oben herab angucken", sagt Sean.
In Florida freut man sich über die Neuzugänge
Nicht nur Florida buhlt um die besten Beamt:innen. In Dallas stammt bereits jede:r zehnte Polizist:in aus New York. Cops wie Sean sind begehrte Mitarbeitende, sagt auch seine Schichtleiterin. "Er bleibt immer ruhig, auch wenn Leute gestresst sind, kann er sie beruhigen. Viele unserer New Yorker Leute bringen viel Erfahrung mit, weil sie aus der Großstadt kommen, mit viel mehr Leuten auf der Straße. Und sie haben eine super Ausbildung", erzählt Alexandra Derrico.
Wir sind verabredet mit Seans Boss. Auch der ist begeistert über den Zulauf aus dem Norden. Seine Stadt wächst und wächst und damit auch der Bedarf an Polizist:innen. Allein in diesem Jahr hat er 41 freie Stellen zu besetzen: "Bei uns kann man sehr schnell aufsteigen. In wenigen Jahren kannst du Detective werden, bei der Wasserpolizei arbeiten, der Motorrad-Einheit, der Hundestaffel, was immer du willst."
Eine Neubausiedlung am Rande der Stadt. Sean hat bis eben geschlafen, der Nachmittag gehört seiner Familie. Vier Nächte Dienst, drei Tage frei, endlich mehr Zeit für die Kinder. Es war seine Frau Kaitlyn, die ein neues Leben wollte: "Ganz ehrlich, für Freiheit. Ich wollte in Florida leben, wo Polizisten respektiert werden. In New York hatten viele Polizisten psychische Probleme. Seans Cousin hat Selbstmord begangen – er war Polizist in New York und davor 20 Jahre im Militär. Wir wollten einfach nur weg."
In dieser Einfahrt parkt Sean ab Mai sein Polizeiauto. In New York hätte er sich das nie gewagt – zu groß die Sorge vor Übergriffen. Aber in Florida freuen sie sich über den neuen Nachbarn in Uniform. "Das ist sehr angenehm, auch für die anderen hier in der Siedlung, die sich sicherer fühlen und sagen: Hey, wir sind eine tolle Gemeinschaft, hier wollen sogar Cops wohnen", sagt Sean und Kaitlyn ergänzt: "Das ist unser amerikanischer Traum. Früher haben wir uns Gehalt zu Gehalt gehangelt, sind gerade so über die Runden gekommen. In einem Haus zu stehen, das eine halbe Million Dollar kostet – das ist irre."
Und so wie es aussieht, wird Sean schon bald befördert. Mehr Geld, eine neue Karriere – New York ist längst Geschichte für die McEneaneys.
Autorin: Marion Schmickler / ARD New York
Stand: 02.04.2023 20:35 Uhr
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