So., 14.04.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
USA: New York mit Migranten überfordert?
Der republikanische Gouverneur von Texas schickt tausende lateinamerikanische Geflüchtete ins demokratisch regierte New York. Längst sind die mehr als 175.000 Geflüchteten dort zum Wahlkampfthema Nummer eins geworden. Donald Trump nennt die Menschen öffentlich "Tiere" und heizt so die ohnehin brisante Stimmung weiter an. Aber hunderte obdachlose geflüchtete Männer in einem öffentlichen Park – das gefällt selbst vielen liberalen New Yorkern nicht. Power Malu hat schon tausende Menschen in New York in Empfang genommen und hilft ihnen bei ihrer Odyssee durch den bürokratischen Großstadt-Dschungel.
Von Venezuela über Texas nach New York
"Der Zug kommt in drei Minuten an." Zwei Familien sollen es heute sein – Power Malu will sie nicht verpassen. Er weiß: Die Geflüchteten haben eine anstrengende Reise hinter sich. Venezuela, Darién Dschungel, Texas, New York. "Als echter New Yorker weiß ich, diese Leute kommen, weil sie auf eine Chance hoffen. Ich will ihnen zeigen: Ihr seid hier willkommen. Ihnen einen Funken Hoffnung geben." … "Hola, bienvenida." Tausende Flüchtende hat Power schon begrüßt. "Ein Taxi bringt Euch zum Roosevelt Hotel, der zentralen Anlaufstelle."
Texas hat ihnen das One Way Ticket bezahlt. Der republikanische Gouverneur schiebt die Migranten gern ins demokratische New York ab. Längst sind die Geflüchteten zum Wahlkampfthema Nr. 1 geworden. "Wir müssen abwarten, ob die Asylrichter uns hierlassen", sagt Milton Solano. "Wir wollen doch für unsere Kinder arbeiten." Die Hoffnungen und Träume sind überall die gleichen. Ohne Power wären sie hier verloren. Er hat ihnen ein Taxi bestellt, das sie zu dem Flüchtlingsheim bringt, in dem sie sich anmelden müssen. Was sie nicht ahnen: Es ist der Anfang einer bürokratischen Odyssee.
Fast 200.000 Migranten in zwei Jahren
"Es zerreißt mir das Herz", erzählt Power Malu. "Meine Mutter, meine Omas und Verwandten sind damals genauso behandelt worden, als sie aus Puerto Rico hierherkamen, nur weil sie kein Englisch konnten und aus einer anderen Kultur kamen." Sie wohnen in ehemaligen Hotels, bei Verwandten und in einer Zeltstadt vor den Toren von Manhattan. 190.000 Migranten sind in den vergangenen zwei Jahren nach New York gekommen. Schlange stehen vor der Baptisten-Gemeinde. Wie jeden Morgen warten fast 50 Leute, unter der Woche wird die Kirche zum Anlaufpunkt für Geflüchtete. Power Malu ist einer der ehrenamtlichen Organisatoren hier. Anwälte, Sozialarbeiter, Übersetzer, viele Freiwillige, die helfen durch den bürokratischen Dschungel.
"Ich habe Power an dem Tag kennengelernt, an dem ich angekommen bin", erzählt Estefani Guerra. "Er hat uns seine Nummer gegeben. Ich kann ihm jederzeit schreiben und er antwortet mir." Bis ein Asylantrag durchgeht, können Jahre vergehen. Mehr als zwei Millionen Migranten kamen allein 2023 in die USA – die Behörden sind überfordert. "Diese Leute arbeiten hart, wollen ihren Beitrag zur Gesellschaft zu leisten", sagt Power Malu. "Die brauchen nur jemanden, der sie durch die Bürokratie schleust. Stattdessen werden sie abgewiesen, bekommen keine Informationen und werden im Kreis rumgeschickt."
Die Stimmung in New York droht zu kippen
New York ist die einzige Stadt in den USA, die jedem ein Dach über dem Kopf garantiert. Deswegen steht der demokratische Bürgermeister besonders unter Druck. Er ist selbst nach Kolumbien gereist – mit der Botschaft: Bleibt zu Hause! "Nach meinen Erfahrungen aus El Paso und dem Darién-Dschungel kann ich sagen: Wir brauchen eine Lösung an der Grenze", so Eric Adams, Bürgermeister von New York
Fabriziertes Chaos, nennt Power das. Und zeigt uns den Park, in dem jeden Tag hunderte allein reisender Männer darauf warten, sich für eine neue Bleibe zu bewerben. Alle 30 Tage müssen sie raus – und sind oft Wochen obdachlos. "Das sind verzweifelte Menschen, die auf ein Bett warten", meint Power Malu. "Die müssen in dieses Gebäude gehen, sich in eine Schlange stellen, dann bekommen sie eine Nummer. An der können sie sehen, ob sie in einer Woche ein neues Bett bekommen, in zwei oder sogar noch später." Jede Nacht suchen die jungen Männer nach einer Bleibe, tagsüber warten sie im Park. Hoffen, dass die Nummer auf ihrem Bändchen aufgerufen wird.
"30.000 sind hier schon durchgegangen", sagt Vladimir Rubio. "Jeder will doch arbeiten im Leben. Bis man aus der Flüchtlingsunterkunft rauskommt, dauert es ewig. Das ist doch kein schönes Leben, keine Privatsphäre – und nur Probleme." Die Stadt setzt auf Abschreckung, und auch hier springen Freiwillige ein, versorgen die Männer mit Essen und Klamotten. Doch selbst im liberalen New York droht die Stimmung zu kippen – es seien schlicht zu viele Flüchtende. "Die kennen sich nicht aus mit unseren Gewohnheiten" klagt Kevin. "Englisch ist mittlerweile zur Zweitsprache geworden, das war einmal die erste Sprache. Die versuchen nicht einmal, sich anzupassen."
Trump macht Wahlkampf mit den Migranten
Showdown in Texas: Die Kontrahenten zeitgleich an der Grenze. Joe Biden weiß, dieses Thema kann ihn den Wahlsieg kosten. Sechs Millionen Migranten seit seinem Amtsantritt, mehr als unter Trump, Obama und Bush. Und keine Lösung in Sicht. "Das ist meine Botschaft an Herrn Trump. Schließen sie sich mir an, damit der Kongress diesen Gesetzesentwurf zur Grenzsicherung verabschiedet. Zusammen kriegen wir das hin", so US-Präsident Joe Biden. Donald Trump will keinen Deal. Er will das Thema ausschlachten. "Die Demokraten sagen: Bitte nennen sie sie nicht Tiere, das sind Menschen. Nein das sind Tiere. Dieses Blutbad an der Grenze zerstört unser Land."
Zurück in der Kirche: Power Malu graut es vor dem Wahlkampf – je schärfer die Hetze, desto schwieriger wird es für die Menschen, die ihm so am Herzen liegen. New York sei doch die Einwandererstadt, sagt der frühere Hiphop-Star. Hier kochen die Freiwilligen nach Rezepten aus den Herkunftsländern, ein Stück Heimat in der Fremde. "Leider werden Migranten im Wahlkampf immer zum politischen Spielball und missbraucht, weil Politiker das Thema so gerne nutzen, um das Land zu spalten", sagt Power Malu. Dabei brauche das Land Menschen wie sie, sagt Power. Überall fehle der Nachwuchs, ob am Bau oder in der Gastronomie. Doch bis November, so befürchtet er, werden solche Argumente wenig zählen.
Autorin: Marion Schmickler, ARD-Studio New York
Stand: 14.04.2024 21:51 Uhr
Kommentare