So., 14.04.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Sudan: Zeugen eines kaum beachteten Krieges
Vor genau einem Jahr eskalierte im Sudan der Machtkampf zweier Generäle. Seitdem versinkt das drittgrößte Land Afrikas in Krieg und Chaos. Mehr als acht Millionen Menschen wurden aus ihren Städten und Dörfern vertrieben. Hunderttausende finden Zuflucht im bitterarmen Nachbarland Tschad. Darunter Ahmed Hajjar, Rechtsanwalt aus dem Sudan, der mit seiner Familie selbst vertrieben wurde und jetzt so viele Kriegsverbrechen wie möglich dokumentiert.
Ein Flüchtling dokumentiert Kriegsverbrechen
An Bord eines Flugzeugs der Vereinten Nationen. Es geht in eine Ecke der Welt, die den Rest der Welt nicht zu interessieren scheint. Hier, vor der Kulisse einer anderswo vergessenen Katastrophe, treffen wir einen Mann, der etwas tun will. Gegen das Verdrängen, gegen die Gleichgültigkeit, gegen das Unrecht. Ahmed Hajjar ist: Anwalt. "Hier ist nur ein Fall, mit dem ich mich gerade befasse. Es geht um eine Studentin, das Wohnheim, in dem sie lebte, wurde von Raketen getroffen. Alle stürmten hinaus und draußen wurde sie dann von sechs Männern vergewaltigt."
Etwa 90 Vergewaltigungsfälle habe er schon dokumentiert, sagt Ahmed. Dazu Hinrichtungen, Misshandlungen. Kriegsverbrechen in seinem Heimatland Sudan. Gewalt, vor der auch er und seine Familie fliehen mussten. So vieles vom einstigen Leben: verloren. Der Anwalt – er ist auch: Flüchtling. "Ich sorge mich vor allem um meine Kinder. Sie müssen doch zur Schule gehen, zu Essen haben, zum Arzt gehen können. Sie sollen ein würdevolles Leben haben, ohne Waffen, ohne Tod."
Machtkampf der Generäle
Wir sind in Adré, einer kleinen, aber inzwischen völlig überlaufenen Stadt im Tschad. Der Tschad ist einer der ärmsten Staaten der Welt. Dass Hunderttausende in den letzten Monaten trotzdem hierher geflohen sind, zeigt wie dramatisch die Lage drüben im Sudan ist. In diesem Krankenhaus kommen so gut wie alle Patienten aus der sudanesischen Region Darfur. Schlecht verheilende Schusswunden in vielen Betten. Schon einmal war Darfur Schauplatz eines Völkermordes. Wiederholt sich die Geschichte? Wenn, dann liegt es vor allem an ihm: Mohammed Hamdan Dagalo, genannt Hemeti.
Vor zwanzig Jahren beging eine von ihm geführte Miliz in Darfur schlimmste Verbrechen an Zivilisten. Später wurde er Befehlshaber der RSF, der so genannten Rapid Support Forces, und schloss dann eine Allianz mit Sudans Armeechef Burhan. Im April letzten Jahres dann der Bruch der vermeintlichen Partner. Seither kämpfen die beiden Befehlshaber gegeneinander. Und in Dafur begeht die RSF offenbar wieder furchtbare Verbrechen. Aufnahmen aus der Stadt Geneina aus dem letzten Sommer. Leichen auf den Straßen. Die meisten Toten: Angehörige der afrikanischen Volksgruppe Masalit. Frei arbeitende Medien gibt es keine mehr in Darfur, aber im Internet finden sich auch so immer wieder Videoclips von Misshandlungen und anderen Gewalttaten. Sie sind kaum zu ertragen.
Ahmed, der aus Darfur vertriebene Anwalt, schaut sie sich trotzdem alle an. Prüft, ob sie echt sind. Ordnet den Taten Orte zu, Zeitabfolgen, versucht die Täter zu identifizieren…"Die Milizionäre, so erzählt er, nehmen den Menschen die Handys weg. So würden wichtige Beweisvideos vernichtet. Und doch werde immer wieder Geschehenes veröffentlicht. Immer noch würde man nahezu täglich auf Social Media irgendwelche Videos über die Taten in Darfur finden."
Immer mehr Opfer äußern sich
Genauso wichtig aber sind Zeugenaussagen. Neue Flüchtlinge hätten sich bei ihm gemeldet, sagt Ahmed. Er bittet uns, ihn zum Treffen in eines der großen Flüchtlingslager von Adré zu fahren. Er habe Angst, sich offen auf der Straße zu bewegen. Auch hier im Tschad ist die RSF präsent, bespitzelt und bedroht hierher geflohene Sudanesen – Ahmed sagt, es fühle sich an, als trage er eine Zielscheibe auf dem Rücken. "Ich muss hier sehr auf der Hut sein. Vor allem wenn ich ins Lager rein- und rausgehe, muss ich aufpassen." Und doch macht er weiter. Die Menschen, die irgendwann einmal seine Mandanten werden sollen, hätten es verdient, dass ihre Geschichten Gehör finden.
"Ich habe so viele Sachen gesehen" erzählt eines der Opfer, "Menschen, die auf dem Boden lagen. So viele Tote. Einige habe ich mit weggetragen. Unzählige Tote waren das." Immer mehr Menschen kommen dazu, wollen Ahmed ihre Berichte mitgeben. Alle haben sie den blanken Horror erlebt. "Mein Bruder und mein Onkel wollten fliehen, doch auf der Straße wurden sie dann einfach getötet." Eine andere Frau erzählt: "Die das alles getan haben, waren Monster. Sie redeten mit uns wie Monster, nicht wie Menschen. Sie haben uns mit Peitschen geschlagen." Ahmeds großes Ziel: irgendwann mit allen Indizien und Beweisen im Gepäck in Sudans Hauptstadt Khartum den Kriegsverbrechern einen Prozess machen. Klar, es sei auch wichtig, dass es internationale Ermittlungen gebe, aber am Ende müsse der Sudan doch selbst alles aufarbeiten. "Ich fühle mit den Leuten, sehe das große Unrecht, das ihnen widerfahren ist. Nur Gott kann diese Menschen entschädigen, aber ich will meine Arbeit machen, damit die Verbrecher bestraft werden."
Dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist, weiß nicht nur Ahmed. Nach einem Jahr Krieg im Sudan gibt es derzeit wenig Hoffnung auf Gerechtigkeit oder Frieden. Noch immer erreicht viel zu wenig Hilfe das umkämpfte Land. Und an der Grenze erleben wir dann noch eine Szene wie aus einem Spielfilm: Ein Helikopter der Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen wird flugunfähig aus dem Sudan herausgefahren. Zwölf Monate hat er nicht einen Sack Mehl nach Darfur gebracht, während um ihn herum Menschen hungerten. Menschen, die auch weiterhin Krieg und Gewalt schutzlos ausgeliefert sind.
Autor: Simon Riesche, ARD-Studio Kairo
Stand: 15.04.2024 11:52 Uhr
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