So., 20.03.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
USA: Tauwetter wegen Ölpreisschock?
Was bis vor einem Monat vollkommend undenkbar schien, ist inzwischen passiert: Fruchtbare Hintergrundgespräche mit Venezuela und Iran. Beides Länder, gegen die von den USA initiierte, harte Sanktionen wirken. Der russische Krieg gegen die Ukraine verändert die US-Ölpolitik fundamental und sorgt ganz nebenbei für Entspannung auf dem diplomatischen Parkett. Im Idealfall schafft es Präsident Biden durch Öl-Importe aus den bis vor kurzem verfemten Staaten Venezuela und Iran die Spritpreise wieder zu senken – ein wichtiges politisches Signal an die amerikanischen Wähler vor den "Mid-Term"-Wahlen im Herbst.
USA: keine Energie-Exporte aus Russland mehr
Es klingt verrückt, aber der US-Amerikaner Gustavo Cardenas verdankt dem russischen Angriffskrieg seine überraschende Freiheit. Venezuela entlässt den US-Manager nach jahrelanger Haft. Fünf seiner amerikanischen Landsleute bleiben zwar vorerst im Gefängnis – aber die Dinge sind eindeutig in Bewegung geraten. Die diplomatischen Verkrustungen zwischen den USA und Venezuela lassen sich offenbar mit einem begehrten Schmiermittel wieder gangbar machen: Öl.
Aber der Reihe nach. Vor knapp zwei Wochen tritt US-Präsident Joe Biden vor die Presse und verkündet mit einer Krawatte in den ukrainischen Nationalfarben einen sofortigen Importstopp für russisches Öl. Biden kündigt einen Schlag gegen das Wertvollste der russischen Wirtschaft an: deren Energie-Exporte. Ab sofort werden die USA kein russisches Öl, Gas und Kohle mehr importieren.
Aber obwohl das russische Öl nur acht Prozent im US-Energiemix ausmachte: jetzt muss es von anderen Ländern gekauft werden. Noch nie war Sprit in den USA so teuer wie heute. Rund einen Euro pro Liter – für Amerikaner grenzt das an Wucher. Joe Biden befürchtet, dass sich "the pain at the pump", also der Schmerz an der Zapfsäule, bei den Wahlen im November gefährlich auswirken könnte.
Diese Gefahr sehen auch Energie-Experten wie Samantha Gross vom Thinktank Brookings Institution. "Der Spritpreis ist so unglaublich politisch in den USA. Absolut jeder kennt diesen Preis, du fährst die Straße runter und siehst ihn auf großen Tafeln. Präsident Biden tut was er kann, um den Spritpreis zu senken, aber viele Werkzeuge hat er dafür nicht. Die Ölpreise werden auf dem Weltmarkt gemacht."
Venezuela: USA verhandeln um Öl
Caracas, Venezuela. Seit vielen Jahren zählt dieses Land zu den Erzfeinden Amerikas. Die Venezolaner forderten Freiheit, aber sie blieb nur ein Traum. So landete Nicolas Maduro auf der amerikanischen Sanktionsliste und mit ihm sein Land. Viele westliche Staaten erkennen Maduro bis heute nicht als rechtmäßig gewählten Staatspräsidenten an. Es ist noch nicht lange her, da gehörten anti-amerikanische Kundgebungen zur Folklore der sozialistischen Regierungspartei. Aber nun verhandelte eine amerikanische Geheim-Delegation in Venezuela und Maduro wird beim Bericht darüber fast lyrisch. "Dieses Treffen fand im Präsidialbüro statt", erzählte Maduro stolz, "die beiden wunderschönen Fahnen waren da, vereint wie es sich für die Flaggen der USA und Venezuelas gehört. Wir hatten ein fast zweistündiges Gespräch."
Aber die neuen Verhandlungen mit Maduro bleiben in den USA umstritten. "Ich war ehrlich gesagt überrascht, dass die Regierung Venezuela kontaktiert hat", sagt Samantha Gross, "Maduro hat wohl ein bisschen weniger böse ausgesehen als Putin, aber er hat sich keinen Deut geändert. Putins Verhalten ist nur schlimmer geworden." In absehbarer Zeit wird das Land kaum substanzielle Öl-Mengen an die USA liefern können. Jahrelange Misswirtschaft und Korruption haben die Ölindustrie fast zum Erliegen gebracht. So musste sich Venezuela, das Land mit den größten Erdölreserven der Welt, ernsthaft mit Benzinlieferungen vom Iran aushelfen lassen.
Iran: erst neues Atomabkommen – dann Ölexport
Geht es nach der Biden-Regierung, könnten die USA bald wieder Öl aus dem Iran importieren. Auch hier haben die jahrelangen Sanktionen ihre Spuren hinterlassen. Voraussetzung für den Öl-Handel ist der Abschluss eines neuen Atomabkommens mit dem Iran. Urplötzlich laufen die Verhandlungen in Wien deutlich besser. Ein Abkommen hieß es zuletzt, sei greifbar nahe. Richard Kauzlarich ist ehemaliger Botschafter der USA in Aserbaidschan und ein ausgewiesener Ölhandels-Experte. Er hat ein Land ausgemacht, das die neue Annäherung zwischen den USA und dem Iran verhindert, indem es das Atomabkommen torpediert. "Ich glaube, die Russen werden es nicht dazu kommen lassen. Bei der letzten Verhandlungsrunde sagten sie: Solange ihr die Sanktionen gegen uns wegen der Ukraine nicht aufhebt, wird das mit dem Iran auch nicht vorwärtsgehen."
Im Iran selbst jedenfalls, ist das Selbstbewusstsein zuletzt stark gewachsen. "Ob sie es wollen oder nicht, der Iran kann nicht mehr vom internationalen Öl- und Gasmarkt ausgeschlossen werden", meint der iranische Journalist Reza Zandi All. "Jetzt ist klar geworden, dass die Welt Irans Öl- und Gasreserven braucht, weshalb der Westen jetzt auch so um Verhandlungen mit dem Iran bemüht ist. Das spüren wir ganz eindeutig." Wer gestern noch amerikanischer Erzfeind war, kann morgen schon wieder Öl liefern: Marktlogik kennt kein Gewissen. Der Iran versucht derzeit den Westen mit Gesten auf neue Handelsbeziehungen einzustimmen. Genau wie Venezuela hat Teheran jüngst zwei britisch-stämmige Geiseln nach jahrelanger Haft ausreisen lassen. Die Journalistin Nazanin Zaghari-Ratcliffe verdankt ihre Freilassung letztendlich dem Krieg Russlands gegen die Ukraine.
Autor: Dirk Schraeder, SWR Stuttgart
Stand: 20.03.2022 22:39 Uhr
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