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USA: Wer rettet Amerikas Seele?

USA im Wahljahr 2020: Wer rettet Amerikas Seele?
USA im Wahljahr 2020: Wer rettet Amerikas Seele?  | Bild: REUTERS / Erin Scott

Hinter der glänzenden Fassade von Tulsa, Oklahoma, verbirgt sich ein dunkles Kapitel in der Geschichte der USA. Und auch die Gegenwart verrät viel über die Seele Amerikas. 

Amerika im Wandel

USA im Wahljahr 2020: Wer rettet Amerikas Seele?
USA im Wahljahr 2020: Wer rettet Amerikas Seele?  | Bild: REUTERS / Erin Scott

"Diese Autobahn trennt Tulsa in zwei Welten. Auf dieser Seite leben vor allem weiße, wohlhabende Amerikaner. Auf der anderen Seite wohnen vor allem schwarze Bürger, von denen jeder dritte in Armut lebt. Auch die Lebenserwartung auf dieser Seite ist deutlich niedriger als im weißen Teil der Stadt", so Jan Philipp Burgard. Der Rapper Steph Simon hasst die Symbole der Benachteiligung von Schwarzen. Deshalb hat er sein Tonstudio in einer Villa eingerichtet, die früher einem Mitglied des Ku Klux Klan von Tulsa gehörte. Noch heute ist das ganze Stadtviertel nach dem Mann benannt. Die aktuellen Fälle von Polizeigewalt gegen Schwarze seien keine Ausnahmen, sondern Ausdruck der Natur Amerikas, meint der Rapper.   

"Amerika ist auf der Grundlage von Kriegen erbaut worden. Denk an den Unabhängigkeitskrieg von 1812, an den Bürgerkrieg, den Kampf zwischen Cowboys und Indianern. Alles, was ich in der Schule gelernt habe, drehte sich darum. Immer gab es einen Krieg und aus dem Chaos resultierte Wandel. Ich habe das Gefühl, wir befinden uns gerade wieder in solch einem Krieg und wenn wir noch nicht mitten drin sind, dann stehen wir wohl kurz davor", erzählt Steph Simon.   

Amerikas Seele heilen

Steph diskutiert in diesen Tagen viel mit befreundeten Musikern über das politische Klima in den USA. Das Versprechen des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden, die Seele Amerikas zu heilen, empfindet er als lächerlich.

"Ich lege es nicht in die Hände eines Präsidenten oder eines weißen Mannes, uns zu retten. Genau das ist doch seit Generationen das Problem gewesen. Uns wurde beigebracht, dass irgendwer unser Retter sein würde. Aber für mich ist das nicht der Fall", sagt Steph Simon.

Trotzdem wird Steph Joe Biden wählen. Der sei immerhin das kleinere Übel als Donald Trump.

"Ich denke, dass dieser Präsident ein Rassist ist. Ich glaube zwar nicht, dass jeder seiner Anhänger ein Rassist ist. Aber Trump stachelt zu Rassismus an und es ist ihm egal, dass er das tut", so Steph Simon.

Von diesem Balkon aus kann Steph die silberne Arena sehen, in der Trump seine Rede hält.

Verehrung des Präsidenten kennt keine Grenzen

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Familie Harris feiert den Präsidenten mit einem selbst geschriebenen Song. Gott, Waffen, Freiheit. All das bewahre Trump für sie. Und durch seine Politik versöhne er die gespaltene Gesellschaft. "Präsident Trump möchte jedem sozialen Aufstieg ermöglichen. Und wenn Menschen hart arbeiten, wenn sie ohne Sozialhilfe klar kommen, empfinden sie Würde. Dann brauchen sie nicht die Regierung wie eine Mutter. Trump geht es um die Wirtschaft und um Gott. Er betet für unser Land und hält die Bibel hoch – auch wenn er dafür kritisiert wird. Aber wenn man sich fragt, wo die Seele Amerikas geblieben ist, müssen wir zu Gott zurückkehren. Sonst verlieren wir unsere Seelen", sagt Camille Harris.

Die Verehrung des Präsidenten kennt keine Grenzen. Sie alle kampieren schon drei Tage vor Trumps Auftritt vor der Arena, um einen Platz in der ersten Reihe zu ergattern. Die hitzig geführte Debatte über Rassismus und Polizeigewalt gegen Schwarze empfinden viele hier als übertrieben.

"Es gab doch gar kein Problem bis die Demokraten eines daraus gemacht haben. Sie benutzen Schwarze wie Bauern in einem Schachspiel – bei jeder Wahl. Die Demokraten haben nie etwas für Schwarze getan, Trump hingegen schon. 41 Prozent der Schwarzen wollten ihn wählen. Das macht die Demokraten verrückt, weil sie auf keinen Fall gewinnen werden", erzählt Kathy Gennington.

Einen Kilometer weiter werden Trumps Fanartikel demonstrativ durch den Dreck gezogen. Diese Straße nennt man "Black Wall Street". Sie war einst das Paradebeispiel für erfolgreiches Unternehmertum von Schwarzen. Doch 1921 brannte ein Mob von Weißen das ganze Viertel nieder. Heute erinnern überall Gedenksteine an die rassistische Gewalt.

"Das Massaker vor 99 Jahren ist in den Köpfen der schwarzen Bürger von Tulsa sehr präsent. Black Lives Matter haben sie auf die Straße geschrieben, in der damals Hunderte Schwarze ermordet wurden. Viele hier haben das Gefühl, dass sich die Geschichte von Gewalt und Ungerechtigkeit immer wiederholt", sagt Jan Philipp Burgard.

Geschichte, Gegenwart und Zukunft verschmelzen miteinander

Tulsa im Jahr 2016. Der unter Drogeneinfluss stehende Terence Crutcher wird während seiner Festnahme von einer Beamtin erschossen, obwohl er unbewaffnet ist. Die Polizistin wird angeklagt, aber frei gesprochen. Crutchers Vater Joey ist Pfarrer. Doch nach dem Tod seines Sohnes hat er oft an Gott gezweifelt. In seinen Predigten ruft Joey nicht mehr zur Versöhnung auf, sondern bereitet die Gemeinde auf Gewalt vor.

"Im Matthäus-Evangelium heißt es: Ihr werdet von Kriegen hören und Nachrichten über Kriege werden Euch beunruhigen. Es wird Gewalt geben. All das passiert jetzt", so Joey Crutcher, Pfarrer.

"Terence Crutcher", skandiert die Menge in Gedenken an Joeys Sohn. Der Pfarrer sitzt in der ersten Reihe. Bei diesem Festival wird eigentlich das Ende der Sklaverei gefeiert. Aber Geschichte, Gegenwart und Zukunft verschmelzen hier miteinander. Steph Simon rappt seine Vision von der Auferstehung der schwarzen Wall Street.

Sich ohne Gewalt Gehör verschaffen

Präsident Trump wirbt bei seinem Auftritt in Tulsa auf sehr direkte Weise um Stimmen: "Ich habe in vier Jahren mehr für die schwarzen Amerikaner getan als Joe Biden in 47 Jahren."  Rassismus und Polizeigewalt thematisiert Trump in seiner Rede nicht ein einziges Mal. Dafür wird ganz in der Nähe einmal mehr an Terence Crutcher erinnert – und viele andere Opfer.

"Immerhin an Tagen mit großer Symbolkraft leben hier schwarze und weiße Amerikaner miteinander statt nur nebeneinander her. Und besonders viele junge Menschen haben die Hoffnung auf die Heilung der Seele Amerikas noch nicht aufgegeben", sagt Jan Philipp Burgard.

Die Kundgebungen bleiben weitgehend friedlich – entgegen aller Befürchtungen. Tulsa trägt damit eine Botschaft in den Rest der USA: Auch ohne Gewalt kann man sich Gehör verschaffen.

Autor: Jan Philipp Burgard/ARD Studio Washington

Stand: 21.06.2020 20:21 Uhr

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Produktion

Westdeutscher Rundfunk
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